Wirtschaft

"Wir nennen es Mordor" Der Schlund, aus dem das Kupfer kommt

Ein Kilometer tief: die größte Grube von Chuqicamata.

Ein Kilometer tief: die größte Grube von Chuqicamata.

(Foto: Codelco)

Seit 100 Jahren ist die größte offene Kupfermine der Welt in Betrieb: Chuquicamata in Chile. Der Tagebau in der Atacama-Wüste hält eine Stadt am Leben, eine andere frisst er auf. Die Arbeiter kämpfen um ihre Jobs. Ihre Zukunft liegt unter der Erde.

Enrique weiß, wem er die Hände schütteln muss. Und Michelle Bachelet weiß, was sie in solchen Situationen tun muss. Also lächeln sie beide breit in die Kameras, neben ihnen stehen Mitarbeiter, Begleiter. Die Präsidentin Chiles braucht das Geld aus dem Norden des Landes für den Staatshaushalt. Enrique hat in der Sozialistin eine sichere Unterstützerin für seinen Arbeitgeber. Drei gemeinsame Fotos stehen hinter ihm im braunen Regal, Holzfurnier, gut sichtbar für alle, die er im fünften Stock empfängt.

An den getönten Fensterscheiben von Enriques Büro schiebt sich ein schier endloser Güterzug vorbei. Auf den Waggons funkeln große, rotbraune Platten in der hellen Wüstensonne. Der Transport entlang der Hauptstraße ist eine Erinnerung für die Menschen in Calama, wovon sie abhängig sind. Vom Kupfer. Das Metall hält ihre Stadt am Leben. "Alles hier hängt mit der Mine zusammen", sagt Enrique im Aufzug nach unten, auf dem Weg zum Parkplatz: "Direkt oder indirekt".

12 Kilometer Wegstrecke müssen die Lastwagen nach oben zurücklegen.

12 Kilometer Wegstrecke müssen die Lastwagen nach oben zurücklegen.

(Foto: REUTERS)

Sein Arbeitgeber Codelco hat einen Anteil von 10 Prozent am Kupferweltmarkt, mehr als jedes andere Unternehmen. Einer der Standorte ist die größte unterirdische Mine überhaupt, "El Teniente", - ein weiterer der größte Tagebau, "Chuqicamata". Redet man mit den Menschen in Calama, sprechen sie von "Chuqui". Doch die 15 Kilometer entfernte Mine ist nicht niedlich oder klein; im Gegenteil. Sie ist ein wachsendes Monster. Ein Ungetüm, das sich in die Atacama-Wüste frisst. Der chilenischen Regierung zufolge lagern 209 Millionen Tonnen Kupfer in dem südamerikanischen Land. Das sind ein Drittel der weltweiten Reserven.

Anfang Mai feierte Chuqui offiziell ihren hundertsten Geburtstag. Die älteste Grube misst an ihrem oberen Rand inzwischen fünf mal drei Kilometer; rund einen Kilometer tief haben sich die riesigen Schaufeln im Laufe eines Jahrhunderts gegraben. Und natürlich war auch zu diesem Anlass Michelle Bachelet wieder zu Besuch.

"Ein Drecksloch"

Der U-förmige Glas- und Betonbau der Chuqui-Verwaltung wirkt in Calama deplatziert. Ähnlich modern erscheint nur das Einkaufszentrum gegenüber, auf der anderen Seite der Schienen. Ansonsten dominieren Flachbauten, simpel geplant, flüchtig gezimmert. Das Licht brennt in den Augen, die Straßen sind staubig. "Ein Drecksloch" sei die Stadt im chilenischen Hochland, lästert ein Reiseführer. Calama und Chuqi liegen fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Steine, Sand, Kupfer, eine halb verschüttete, versunkene Siedlung direkt neben der monströsen Mine; mehr gibt es hier nicht.

(Foto: REUTERS)

Das staatliche Bergbauunternehmen hat von Januar bis März 2015 an neun Standorten 428.000 Tonnen Kupfer gefördert. Aus Chuqi kamen 49.000 davon, ein Jahr zuvor waren es 76.000 Tonnen. Codelco brachte dem Staatshaushalt so 312 Millionen US-Dollar in die Kasse. Fast zwei Drittel der Exporte des Landes sind Rohstoffe und Metalle. Rund 60 Prozent des Kupfers gehen nach Asien, der größte Abnehmer ist China.

Das rotbraune Metall ist der Wachstumstreiber in Fernost. Es steckt unter anderem in Kühlschränken, Klimaanlagen und Autos. Dass Chinas Wirtschaftswachstum schwächelt, bekommt auch Chile zu spüren. Schon länger zeigt die Kurve nach unten: Innerhalb von vier Jahren ist der Weltmarktpreis um 40 Prozent gesunken.

Die größte offene Kupfermine der Welt und die zugehörigen Sektoren sind so weitläufig, dass sie ein eigenes Straßennetz haben. Bis vor wenigen Jahren gab es die gleichnamige Kleinstadt, inklusive Krankenhaus, Kindergarten und Schule. Arbeiter wohnten hier, aber auch hochrangige Mitarbeiter. "Hier herrschte Segregation, alles war getrennt", erzählt Enrique, während wir mit einem der firmeneigenen Geländewagen durch die verlassenen Straßen fahren. Die früheren Eigentümer des US-amerikanischen Bergbauunternehmens Anaconda Copper Company hatten sich ihr eigenes Wohnbiotop geschaffen: Das Campamento Americano. Die Häuser waren großzügig angelegt, mit Gärten, Platz für Bedienstete, und hierarchisch angeordnet. Je höher die Lage, desto höher die Position im Unternehmen. Chilenen waren hier nicht erwünscht.

In der Gießerei wird das Kupfer aus dem Stein gewonnen.

In der Gießerei wird das Kupfer aus dem Stein gewonnen.

(Foto: REUTERS)

Bei der Fahrt durch die verlassenen Straßen überlegt Enrique, wie lange er schon für die Mine arbeitet. "27 Jahre müssten es sein", sagt er dann, leicht zweifelnd, dass es schon sein halbes Leben sein soll. Er ist ein Urgestein. Auch seine Kinder sind hier aufgewachsen. "Da hinten war unser Haus." Enrique zeigt in Richtung Ende der Teerstraße, wo nur noch eine Wand aus Sand und Geröll zu sehen ist. Links und rechts stehen zwar noch ein paar Wohndomizile, doch der Tagebau und sein Abraum breiten sich immer weiter aus. Alle Einwohner mussten ins nahe gelegene Calama umziehen, die Minenstadt ist seit 2007 geräumt. Chuqui verschlingt, was es geschaffen hat.

Prostituierte, Drogen, soziale Kälte

Eine Teilung gibt es auch in Calama, aber eine ökonomische. Etwa 800 Euro kostet eine Wohnung pro Monat. Wer nicht einen international konkurrenzfähigen Lohn wie von Codelco erhält, kann eine solche Miete nicht bezahlen. Die meisten kommen wegen des Geldes in die Stadt, nicht, um etwas aufzubauen. Mit den Arbeitern kamen die Prostituierten, die Drogen, neue soziale Kälte. "Ich hatte das satt", sagt Cecilia, die in Calama groß wurde. Sie zog ins 100 Kilometer entfernte San Pedro de Atacama, wo sie ein Hostel mit ihrem Mann betreibt. Ihre Tochter könne über den Innenhof toben, ohne dass sie Angst um sie haben müsse, sagt sie. Den Ort ihrer Kindheit zu erkennen, fällt Cecilia heute schwer. "Die Mine lockt Arbeiter an, die nur das tun – arbeiten. Sie bringen nichts mit. Keine Familie, kein Herz, keinen Sinn für Heimat." Sie kommen, treiben die Preise nach oben und lassen nach ein paar Jahren ihre Kinder mitsamt den Müttern zurück.

In Chuqui arbeiten derzeit 12.000 Menschen: Ingenieure, Kumpel, Fahrer. Auf dem Weg durch das Minengelände beäugen mehrere Kontrollposten skeptisch die Pässe, fragen, ob eine Besichtigung angemeldet sei. Leute wie Enrique erklären, was er und seine Kollegen bei Codelco in Calama und Chuqui machen. Alvaro arbeitet derweil daran, was sie machen werden: Die Förderung fortsetzen, aber unter Tage. Deshalb kam Alvaro im Jahr 2010 ins Unternehmen, vorher war er bei ähnlichen Bergbauprojekten in Peru und Kolumbien beschäftigt.

Alvaro (l.) und Enrique an einem Förderturm, der das Geröll nach den Sprengungen nach oben bringt.

Alvaro (l.) und Enrique an einem Förderturm, der das Geröll nach den Sprengungen nach oben bringt.

(Foto: Roland Peters)

Codelco geht von etwa 11,9 Millionen hier unterirdisch lagernden Tonnen Kupfer aus. Mehrere Versorgungstunnel treiben die Experten momentan nach unten, um so bald wie möglich mit dem Abbau beginnen zu können. "Im Schnitt vier Meter pro Tag, aber das ist abhängig von der Beschaffenheit des Gesteins", erklärt Alvaro. Ein Geomechaniker klassifiziert es in fünf Stufen: 5 ist die weichste, 1 die härteste. Je härter der Stein, desto weniger Befestigung ist nötig, also kann in schnellerer Abfolge gesprengt werden. So treiben sie die Röhren voran, zehn Meter breit und acht Meter hoch, und zwar nach unten, immer weiter. 400 Meter tief sind die Spezialisten bislang gekommen.

Riesiger Treibstoffhunger

Geplant sind Stollen, die noch einmal 900 Meter unter dem tiefsten Punkt des Tagebaus liegen und aus denen bis ins Jahr 2060 gefördert werden soll. Damit die Arbeiter beim Abbau atmen können, graben sie einen seitlich abfallenden Tunnel für Frischluft in die Tiefe. Durch einen weiteren wird das Kupfer und das Gestein an die Oberfläche gebracht. Ein dritter ist als Personalzugang gedacht. Nur der "Pique" erstreckt sich grade nach oben; ein Schornstein, durch den das Kohlenmonoxid der geatmeten Luft an die Oberfläche entweicht.

Dort hoffen die Arbeiter, dass der Gang in den Untergrund die Lebensdauer der Mine verlängert und damit auch ihre Jobs rettet. Der Durchschnittslohn in Chile beträgt 14.000 US-Dollar pro Jahr, die Fahrer verdienen 9000 US-Dollar - pro Monat. Dafür schuften sie im Drei-Schicht-System, 24 Stunden am Tag. Die riesigen Speziallastwagen bringen die Bodenschätze über die kaskadischen Terrassen in schier endlosen Schleifen nach oben; Für jeden Lastwagen mit Kupfer rollen drei mit Abraum aus dem Schlund heraus. Die Laster verschlingen Unmengen Diesel. "Jeder Transporter verbraucht an einem Tag etwa so viel Treibstoff wie ein Pkw in zwei Jahren", sagt Enrique, während mehrere der monströsen Maschinen vorbeiröhren.

Von den rund 1200 Fahrern wird ab dem Jahr 2020 ein großer Teil seine Jobs verlieren und Codelco viel Geld sparen. "Wir gehen unter die Erde, weil die Transportkosten so immens sind", sagt Alvaro. "Irgendwann würde es sich nicht mehr lohnen, das Kupfer unter offenem Himmel nach oben zu bringen." Der sinkende Kupferpreis bringt den Zeitpunkt schnell näher. Also graben sie.

Plötzlich ist Gestank wahrnehmbar, ein wenig Teergeruch, leicht verbrannt riecht es. Neben der Straße zur großen Grube ragen zwei schwarze Schornsteine hervor. Hier wird das Kupfer aus dem Stein gewonnen. Die Anlage leitet das erhitzte Metall in offene Becken - wie Lava erhellt es die Abenddämmerung und später die Nacht. "Wir nennen die Anlage Mordor", sagt Alvaro. Das feuerrote Glühen am Horizont ist auch von der Verwaltung in Calama aus zu sehen.

Quelle: ntv.de

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