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Autoindustrie im Exportrausch Kleinere Brötchen backen

Weltpremiere des Audi A8 Langversion auf der Motorshow in Peking: Der chinesische Markt sorgt bei den deutschen Autobauern für ungeahnte Höhenflüge.

Weltpremiere des Audi A8 Langversion auf der Motorshow in Peking: Der chinesische Markt sorgt bei den deutschen Autobauern für ungeahnte Höhenflüge.

(Foto: REUTERS)

Die deutsche Autoindustrie steht blendend da. Volle Auftragsbücher und immer neue Absatzrekorde lassen die Autokrise von 2009 fast vergessen. n-tv.de spricht mit dem Experten für Automobilwirtschaft, Dr. Helmut Becker, über boomende Exportmärkte, die schwindende Bedeutung des deutschen Marktes, die Zukunft der heimischen Produktionsstandorte und die künftige Rangliste der weltweit bedeutendsten Autobauer.

n-tv.de: Den deutschen Autobauern geht es derzeit sehr gut. Vor allem die steigenden Exporte beflügeln die Konzerne. Wie begründet sich der Erfolg deutscher Autos in ausländischen Märkten?

Dr. Becker: Dieser Erfolg hat zwei Väter. Einmal gibt es einen Nachholbedarf im Ausland. In fast allen ausländischen Märkten gab es 2009 deutliche Absatzrückgänge in Folge der Finanzkrise. Da wird jetzt aufgeholt und zwar im Eilzugtempo. Zum anderen haben die deutschen Fahrzeuge im Laufe der letzten Jahre einen erheblichen qualitativen Verbesserungsprozess erlebt. Alle deutschen Unternehmen sind dadurch wettbewerbsfähiger geworden.

Qualitativ sind die deutschen Autos sicher gut, aber sie sind auch teuer. Ist das nicht gerade in den aufstrebenden Automärkten ein Problem?

Offensichtlich ist das kein Problem. Die Welt will Autos, auf die man sich als Kunde verlassen kann, da darf es dann auch mal ein bisschen mehr kosten. Sogar die Chinesen haben das inzwischen begriffen. Gerade Märkte wie China tragen zu dem Absatzzuwachs bei. Und der chinesische Markt hat eine ähnliche Struktur wie der deutsche Markt vor 40 Jahren. Das heißt, er ist in der Anfangsphase seiner Entwicklung, die von unten nach oben führt.  Alleine das Topsegment dieses Marktes reicht inzwischen aus, um diese beachtlichen Zuwachsraten beim Absatz deutscher Premiumfahrzeuge zu erreichen.

Was machen die Deutschen denn anders? Während sich beispielsweise Audi über hohe zweistellige Zuwachsraten in China freuen darf, muss Toyota sogar einen Rückgang hinnehmen. 60.000 Einheiten dort zu verkaufen ist ja fast lächerlich für den weltgrößten Autobauer.

Dr. Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

Dr. Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

Sie verweisen auf den weltgrößten Autobauer, aber das ist ein Titel, der der Vergangenheit angehört. Der weltgrößte Autobauer im eigentlichen Sinne, nicht unbedingt nur die Produktionszahlen berücksichtigend, ist der Volkswagenkonzern. Das ist der erste Punkt. Punkt zwei ist, dass die deutschen Autobauer erheblich wettbewerbsfähiger geworden sind. Sie haben sich in und auch schon vor der Krise strategisch neu aufgestellt und vor allem  personell und in ihren Modellpaletten erneuert. Jetzt können sie qualitativ hochwertige Produkte anbieten, die auf den ausländischen Märkten gesucht werden, weil sie sonst kaum zu finden sind.  Daher haben die Deutschen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Was Toyota angeht, die haben in den letzten Jahren erheblich an Nimbus eingebüsst. Vor allem durch die massiven Rückrufaktionen. Und ist der Ruf erst ruiniert…

Was bedeutet diese Verlagerung des Absatzes denn für den deutschen Markt? Wird der langfristig unbedeutend für die heimischen Hersteller?

Das ist eine diffizile Frage. Rein volumenmäßig betrachtet wird der deutsche Markt mit Sicherheit an Bedeutung verlieren, gemessen am Gesamtabsatz der deutschen Automobilhersteller. Der deutsche Markt ist gesättigt und stagniert, genauso wie die meisten westeuropäischen Märkte. Ähnliches gilt für die USA und der japanische Markt schrumpft sogar schon strukturell. Das steht uns noch bevor. Im Gegenzug dazu gewinnen die aufstrebenden Märkte der Schwellenländer stetig an Bedeutung. So gesehen wird sich die Absatzstruktur der deutschen Autobauer nachhaltig verändern.

Was bedeutet das für die hiesigen Produktionsstandorte? Werden die den aufstrebenden Märkten nachfolgen?

Die sind den Märkten schon gefolgt. Dieser Prozess ist aus meiner Sicht schon sehr weit gediehen, aber noch nicht abgeschlossen. Alle Hersteller produzieren bereits im Ausland. Sie haben angefangen mit dem unteren Marktsegment und werden zunehmend auch andere, höherwertige Fahrzeuge, der Nachfrage folgend, dort produzieren. Sie können das am Beispiel BMW gut sehen. Man hat mit dem 3er angefangen und ist jetzt beim 5er. Alle Luxuslimousinen kommen aber immer noch aus deutscher Produktion. Sei es der Audi A8, der 7er von BMW oder die Mercedes S-Klasse. Das heißt aber nicht, dass das immer so bleibt. Wenn der chinesische Markt beispielsweise in vielleicht zehn Jahren groß genug ist, könnten auch diese Fahrzeuge dort gebaut werden. Dann werden wir hier kleinere Brötchen backen müssen, gebacken wird aber noch!

Wie verhält es sich denn mit Know-how? Wird zumindest die Forschung und Entwicklung in Deutschland bleiben?

Gerade das gibt mir Zuversicht. Der Standort Deutschland ist für die deutschen Hersteller eigentlich unverzichtbar. Ein Auto besteht aus 30.000 und mehr Teilen. Um das zusammen zu fügen, bedarf es einer unendlichen Zulieferkette. Um die hohe Qualität zu halten, den die deutsche Autoindustrie hat, muss diese Zulieferkaskade und vor allem ihre Innovationsfähigkeit erhalten und ausgebaut werden. Sonst wird es nicht gelingen den Innovations- und Qualitätsnimbus, den die deutschen Autohersteller mittlerweile wieder haben, aufrecht zu erhalten und auszubauen. Nirgendwo auf der Welt bündelt sich, gerade wenn man noch Österreich und die Schweiz hinzu nimmt, so viel Automobil-Know-how wie in Deutschland.

Betrachten wir mal die anderen Märkte neben China. Indien, Russland oder auch Südamerika. Da gibt es ja auch noch ein riesiges Potenzial. Wie sind da die deutschen Autobauer positioniert?

Recht unterschiedlich, auch wenn sie im Grunde genommen auf all diesen Märkten vertreten sind, teilweise sogar mit eigenen Fertigungen. Genau dieser Globalisierungsgrad unterscheidet uns strategisch von unseren europäischen Kollegen. Wenn es vor fünf Jahren vielleicht noch eine Globalisierungslücke gab, dann hat man die mittlerweile geschlossen. Ein gutes Beispiel dafür ist VW. Die haben sich mit Suzuki, dem größten Autoproduzenten für Indien zusammengetan und werden so nach China den zweitgrößten Markt der Welt erschließen. Man muss aber abwarten, wie sich diese Märkte weiterentwickeln. Die reine Größe eines Landes ist kein Kriterium für einen großen Automarkt. Das ist an Russland ganz gut zu sehen. Da gehört noch mehr dazu. Eine richtige Wirtschaftsstruktur beispielsweise oder ein kaufkräftiger Mittelstand. In China oder in Indien bildet der sich derzeit aus. In Russland habe ich so meine Bedenken. Für die deutsche Automobilindustrie lässt sich aber sagen, dass sie heute global gut aufgestellt ist. 

Globalisierte Märkte könnten auch andere Produkte erfordern. Nissan zeigte mit dem Micra jüngst eine Art Weltauto, das auf allen Märkten funktionieren soll. Ford plant mit dem Focus ähnliches. Ist das ein Trend im Automobildesign und der Entwicklung?

Das funktioniert, das haben die deutschen Premiumhersteller schon lange vorgemacht. Im Grunde genommen ist das ein alter Hut. General Motors hat das schon vor Jahren mit dem Saturn-Projekt versucht und ist damit gescheitert. Das hing aber nicht an dem Konzept. Es hängt an dem Produkt, das man zum Weltauto deklariert. Es funktioniert nur für bestimmte Segmente der Weltmärkte. In den so genannten BRIC-Staaten gibt es völlig unterschiedliche Marktstrukturen mit unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten. Die können sie mit einem Weltauto der Unterklasse nicht erreichen. Das können sie aber mit einem BMW oder einem Daimler! Das einzige Segment, was immer gleich ist, ist das Top-Segment. Die Kunden wollen ein bestimmtes Produkt. Wenn ein Kunde einen Daimler bestellt, dann will er einen Daimler geliefert bekommen. Und zwar aus Untertürkheim. In Indien und China genauso wie in Stuttgart. BMW und Daimler haben also schon lange Weltautos.

Sie haben vorhin gesagt VW ist eigentlich schon der weltgrößte Autobauer. Wie sehen Sie denn die Rangfolge der Automobilkonzerne in ein paar Jahren?

Das ist keine einfache Frage. Ich will mich ihr dennoch stellen. Eines möchte ich vorwegschicken: Das wichtigste für mich sind nicht die reinen Zahlen. Nicht wer die meisten Autos produziert, vielleicht noch geschönt durch unterschiedliche Abrechnungsjahre, ist das Top-Unternehmen. Dazu gehört ein internes Potenzial an technologischem Wissen und Können. Ich sehe Volkswagen heute als die absolute Nr. 1 der Welt! Wenn ich Volkswagen vorne sehe, dann meine ich, dass dieses Unternehmen eigentlich alles kann, was vier Räder hat. Von Micro-Car bis zum 400-km/h-schnellen Bugatti Veyron. Das technologische Potenzial zählt. Da ist VW sicher vorne. Dann dürfen wir Toyota oder Honda natürlich nicht abschreiben. Danach folgen aber die übrigen deutschen Premium-Hersteller, die zwar technologisch und vom Image her sicherlich führend sind, denen aber gewisse Größenvorteile fehlen, wie sie ein Volkswagen-Konzern  eben inzwischen hat. Insgesamt befindet sich die deutsche Automobilindustrie mit an der Spitze beziehungsweise im oberen Drittel der Hersteller-Pyramide. Die beiden amerikanischen Tochtergesellschaften Ford und Opel sind dabei nicht mitgezählt, deren Mütter ganz am Schluss rangieren, zusammen mit Fiat und Chrysler.

Mit Dr. Helmut Becker sprach Markus Mechnich.

Quelle: ntv.de

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