Politik

Energie der Zukunft "Nichts ist schädlicher als Unruhe"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Ende September will die Bundesregierung ihr Energiekonzept vorlegen, jetzt geht Kanzlerin Merkel auf eine viertägige "Energiereise", auf der sie sich über die Zukunft der Energieversorgung informieren will. Doch Merkels Reise bildet eher den Energiemix der Gegenwart ab - sie besucht auch Kernkraft und Kohle. Dabei gehen Experten davon aus, dass bis 2050 eine vollständige Stromerzeugung aus regenerativen Energien möglich ist. Um das zu schaffen, sind massive strukturelle Veränderungen nötig, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts. Eine Laufzeitverlängerung lehnt er ab: Sie würde dem Ausbau der erneuerbaren Energien schaden und für erhebliche Unruhe sorgen. Er befürchtet, dass das Energiekonzept der Bundesregierung den jahrelangen Streit nicht beenden, sondern anheizen wird.

Telebörse.de: Schwerpunkt der "Energiereise" von Bundeskanzlerin Merkel ist die Stromerzeugung. Wie wird Strom in Deutschland derzeit noch erzeugt?

Manfred Fischedick: Wir haben derzeit in Deutschland einen sehr breiten Stromerzeugungsmix. 23 Prozent kommen aus der Kernenergie, 16 Prozent aus den erneuerbaren Energien. Strom aus Steinkohle hat einen Anteil von ungefähr 18 Prozent, Strom aus Braunkohle liegt bei 24 Prozent. 13 Prozent decken Gaskraftwerke ab. Der übrige Strom kommt aus anderen Energieträgern wie Öl und Müll.

Merkels erste Stationen sind ein Windpark im Landkreis Bad Doberan und der Rostocker Windanlagen-Hersteller Nordex. Was wird sie da erfahren?

Der Anteil der Windkraft ist der größte unter den erneuerbaren Energien

Der Anteil der Windkraft ist der größte unter den erneuerbaren Energien

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Windenergiebereich in Deutschland ist eine große Erfolgsgeschichte: Nach weniger als 1 Prozent im Jahr 2000 hat er jetzt einen Anteil von 7 Prozent an der Stromproduktion - insofern wird die Kanzlerin einen sehr aufdrehenden Energiezweig besuchen und zudem eine Branche, die technologisch viel geleistet hat. Die Anlagen sind leistungsstärker und kostengünstiger geworden. Es ist eine ganz andere Industrie als vor zehn Jahren.

Die Bundeskanzlerin besucht zwar ein solares Plus-Energiehaus, aber seltsamerweise kein Solar-Unternehmen. Könnte das daran liegen, dass die Branche nicht gut auf die Bundesregierung zu sprechen ist?

Die Kürzung der Vergütungssätze hat die Solar-Branche verärgert, das stimmt. Die Bundesregierung hat in den vergangenen zwei Jahren große Unsicherheit auf den Märkten erzeugt. Aber ich glaube nicht, dass das der Grund ist, warum die Kanzlerin kein Solar-Unternehmen besucht, denn es ist eine sehr gute und sehr stabile Branche - die allerdings zunehmend Konkurrenz aus dem Ausland bekommt.

Was setzt die Solar-Branche stärker unter Druck: China oder die Kürzung der Einspeisevergütung?

Die Solarbranche leidet unter der Billig-Konkurrenz aus China - und unter der Politik der Bundesregierung.

Die Solarbranche leidet unter der Billig-Konkurrenz aus China - und unter der Politik der Bundesregierung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Branchen wie die Solarindustrie, die noch sehr jung sind, brauchen gesunde und solide Heimatmärkte. Die politische Debatte der letzten zwei Jahre hat für sehr viel Unsicherheit gesorgt - keine gute Ausgangsbedingung für die Entwicklung von Unternehmen. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass den Unternehmen die zunehmende Billig-Konkurrenz aus China im Moment stärker zu schaffen macht.

Wann wird Deutschland in der Stromerzeugung vollständig auf erneuerbare Energien umsteigen können? 16 Prozent ist ja noch nicht so sehr viel.

Das muss man mit der Situation vor zehn Jahren vergleichen …

… als das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft trat.

Hätten wir im Jahr 2000 telefoniert, hätte ich gesagt, wenn wir 8 bis 10 Prozent bis zum Jahr 2010 schaffen, dann haben wir wirklich etwas erreicht. Jetzt stehen wir bei 16 Prozent - das zeigt, wie viel Dynamik in der Branche steckt. Nebenbei: 300.000 Arbeitsplätze sind so entstanden. Der nationale Aktionsplan der Bundesregierung für den Ausbau der erneuerbaren Energien nennt für das Jahr 2020 mehr als 38 Prozent als Zielmarke. Das Wuppertal-Institut geht davon aus, dass ein Anteil von 100 Prozent im Bereich der Stromerzeugung bis 2050 möglich ist. Das wird aber nur dann gelingen, wenn parallel die Netze für diesen Ausbau fit gemacht werden und das Systemintegrationsproblem gelöst wird. Wir haben es mit fluktuierenden Energiequellen zu tun: Solaranlagen und Windräder speisen dann ein, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Das führt zu Problemen. Die sind zwar lösbar, aber es ist alles andere als ein Selbstgänger.

Merkel besucht auch das RWE-Kernkraftwerk in Lingen. Wie lang muss die von der Union immer wieder beschworene "Brücke" der Kernkraft ins regenerative Zeitalter sein?

23 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen Kernkraftwerke.

23 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen Kernkraftwerke.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für den Energiestandort Deutschland wären Laufzeitverlängerungen vermutlich schädlich. In die energiepolitische Diskussion in diesem Lande würde ein erhebliches Maß an Unruhe kommen, wenn die Bundesregierung sich darauf einlassen würde. Wir stehen vor großen Herausforderungen beim Klimaschutz und wir müssen die Frage der Versorgungssicherheit angehen. In Zeiten, in denen massive strukturelle Veränderungen anstehen, ist nichts schädlicher, als Unruhe zu erzeugen. Das zweite ist: Wir haben seit dem Atomkonsens eine Menge im Bereich der erneuerbaren Energien erreicht. Eine signifikante Laufzeitverlängerung würde die erreichte Dynamik bremsen und damit auch die Vorreiterrolle torpedieren, die Deutschland in diesem Bereich hat, zum langfristigen Nachteil der deutschen Volkswirtschaft.

Auf dem Programm der Bundeskanzlerin steht auch die Baustelle für das umstrittene Kohlekraftwerk in Lünen, gegen das eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anhängig ist. Was sagt dieser Besuch über die Klimapolitik der Bundesregierung?

Der Besuch selbst wird nicht viel Auskunft geben, das wird das Energiekonzept tun müssen, das die Bundesregierung Ende September vorlegen will. Wir haben in Deutschland für die mittelfristige Zeitperspektive relativ ambitionierte Minderungsziele: Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes bis 2020 um 40 Prozent im Verhältnis zu 1990. Das kann sich international durchaus sehen lassen. Die eigentliche Herausforderung und damit die Notwendigkeit zu einem drastischen Umbau der Energieversorgung steht aber danach an. Industrieländer wie Deutschland müssen ihre Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent reduzieren, um einen adäquaten globalen Beitrag zu leisen. Aus dem Energiekonzept muss klar werden, welche Klimaschutzziele die Bundesregierung langfristig verfolgt und wie sie diese erreichen will. Ich bin gespannt, ob sie ihre Versprechen einlösen wird.

Wie zuversichtlich sind Sie?

Manfred Fischedick ist Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sowie außerplanmäßiger Professor an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal.

Manfred Fischedick ist Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sowie außerplanmäßiger Professor an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal.

(Foto: Wuppertal Institut)

Ich bin eher pessimistisch, denn eine wirkliche Orientierungsmarke wird das Energiekonzept nur dann sein, wenn es auch einen möglichst breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens darüber gibt. Nach den Diskussionen über die Laufzeitverlängerung sehe ich nicht, dass die Bundesregierung einen solchen Konsens ansteuert. Die Veröffentlichung des Energiekonzeptes wird den Streit nicht beenden, sondern vermutlich eher noch anheizen.

Wie kann angesichts sehr unterschiedlicher Einzelinteressen ein energiepolitischer Konsens geschaffen werden?

Zunächst muss man dazu in eine transparente Debatte einsteigen, in der man deutlich macht, welche Alternativen zur Verfügung stehen. Der Umbau der Energiesysteme wird auch unpopuläre Infrastrukturmaßnahmen nötig machen. Egal welchen Weg man wählt, es wird die eine oder andere Kröte geschluckt werden müssen, allerdings lässt sich Größe und Farbe der Kröten noch bestimmen. Bisher läuft diese Debatte nur unter Wissenschaftlern und Experten. Das reicht nicht.

Was für Kröten müssen geschluckt werden?

Wenn wir das Ziel einer 100-prozentigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ansteuern, werden wir nicht nur in kleine, dezentrale Anlagen investieren können, sondern müssen in die Offshore-Windenergie einsteigen, wir werden an Land weiter Repowering durchführen müssen, also ältere Anlagen durch größere neue ersetzen, es wird breit verteilt viele neue Biomasse-Kraftwerke geben müssen, vor allem werden wir aber neue Stromtrassen bauen müssen - das wird nicht jedem gefallen. Aber die Alternative heißt massive Laufzeitverlängerung bei der Kernenergie oder CO2-Abtrennung und Lagerung. Ist das für uns eine Alternative? Darüber müssen wir offen sprechen.

Quelle: ntv.de, Mit Manfred Fischedick sprach Hubertus Volmer

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