Wirtschaft

Blick in die Krankenakte Wie steht's um die USA?

Ausgestattet mit einem dicken Fell und einem harten Schädel kann das amerikanische Bison längere Wanderungen mühelos überstehen.

Ausgestattet mit einem dicken Fell und einem harten Schädel kann das amerikanische Bison längere Wanderungen mühelos überstehen.

(Foto: REUTERS)

Den US-Amerikanern läuft die Zeit davon: Im Streit um die Schuldenobergrenze rechnen Experten mittlerweile mit allem - auch mit einem Scheitern. In wenigen Tagen droht dem Land die Zahlungsunfähigkeit. Können die USA wirklich pleite gehen? Und was heißt das für die Welt?

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind - trotz aller Probleme - noch immer die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde. Nirgendwo sonst wird hemmungsloser konsumiert, fleißiger geforscht und schneller gegründet als in den 50 Bundesstaaten. Kann es einem solchen Land schlecht ergehen?

Vom Dach des Rockefeller Centers in Manhattan haben Besucher einen guten Blick: Kann dieses Land pleite gehen?

Vom Dach des Rockefeller Centers in Manhattan haben Besucher einen guten Blick: Kann dieses Land pleite gehen?

(Foto: dpa)

Es kann durchaus. Der Streit um die Schuldenobergrenze im Haushalt droht die USA zu lähmen. Und es wäre ganz sicher nicht das erste Mal, dass innenpolitischer Zwist in Washington die Wall Street auf dem falschen Fuß erwischt. Dort gingen Beobachter bislang stets davon aus, dass es im Budgetstreit zwischen Demokraten und Republikanern ganz sicher noch zu einer Einigung in letzter Minuten kommen wird. "Alles andere wäre Selbstmord", lautet die Devise. Doch langsam wachsen die Zweifel. Je näher der Termin rückt, desto lauter werden die Stimmen, die plötzlich gar nichts mehr ausschließen wollen.

Sicher ist bislang nur: Eine Staatspleite in den USA würde schlagartig alle anderen Schuldenkrisen in den Schatten stellen. Die Probleme Griechenlands erschienen mit einem Mal nur noch wie ein leichtes Zittern vor dem großen Fieber. Wenn den USA das Geld ausgeht, sind Schockwellen an den Kapitalmärkten wohl unvermeidlich. Die Sorgen um Irland, Portugal oder selbst Italien wären mit einem Mal vergessen.

Am Tisch der Entscheidung in Washington: Eric Cantor, Nancy Pelosi, John Boehner, Barack Obama, Harry Reid und Mitch McConnell (von links).

Am Tisch der Entscheidung in Washington: Eric Cantor, Nancy Pelosi, John Boehner, Barack Obama, Harry Reid und Mitch McConnell (von links).

(Foto: dpa)

Hochrangige Beobachter nehmen seit Wochen kein Blatt mehr vor den Mund: "Ein Kreditausfall könnte eine große Krise verursachen", fasste zum Beispiel US-Notenbankchef Ben Bernanke die Lage bei einer Kongressanhörung zusammen. Schockwellen für das Finanzsystem wären die Folge. Die Haushaltssituation der USA sei nicht tragbar und müsse ernsthaft angegangen werden. Auch sein Amtskollege aus Europa, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, sieht in der Staatsverschuldung ein weltweites Problem. "Wir haben eine Krise der öffentliches Kredit-Ratings, die nicht europäisch ist", warnte er mit Blick auf den Schuldenstreit in Washington.

Was passiert, wenn Washington scheitert?

Vier konkrete Beispiele: Ein Zahlungsausfall der USA ist an den Anleihenmärkten schlicht nicht vorgesehen. Ein solcher Fall lag bislang jenseits der Denkhorizonte der Bond-Gläubiger. Anleihenbesitzer wie Banken, Versicherungskonzerne oder Fonds müssten schleunigst umschichten - oder abwerten. Gewaltige Mengen an Geld kämen in Bewegung.

Die Wall Street fürchtet im Pleitefall mehr als nur die Klauen des Grizzly, des größten lebenden Raubtiers der USA.

Die Wall Street fürchtet im Pleitefall mehr als nur die Klauen des Grizzly, des größten lebenden Raubtiers der USA.

(Foto: REUTERS)

Zweitens: Eine Herabstufung der US-Bonität wäre nach dem Selbstverständnis der Ratingagenturen unvermeidlich. Damit steigen die Kreditkosten im US-Haushalt. Washington sinkt also automatisch gleich ein paar Zentimeter tiefer in den Schuldensumpf.

Drittens: Mit einem schwächeren US-Rating müssten sich staatsnahe oder staatlich gestützte Institute plötzlich Sorgen um ihre eigene Finanzierung machen. Die wackeligen Standbeine von Hypothekendienstleistern wie Fannie Mae und Freddie Mac - alte Bekannte aus Lehman-Zeiten - wären aufs Neue schwer erschüttert, neue Milliardengräber täten sich auf.

Und viertens: Ein Zahlungsausfall der USA hätte sofort Auswirkungen auf die Devisenmärkte. Die Rolle des Dollar als Leitwährung der Welt wäre in akuter Gefahr, ein langfristiger Bedeutungsverlust wahrscheinlich. Investoren sähen sich gezwungen, ihre Mittel anderweitig anzulegen. Die Abwanderung aus dem Dollar-Raum bekämen börsennotierte US-Unternehmen - egal wie groß oder bekannt - wohl umgehend zu spüren. Ein Kursrutsch an der Wall Street bliebe auch in Tokio, Hongkong, London oder Frankfurt nicht ohne Folgen.    

Alles in allem bekäme es die Welt dann mit einer Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun, die das Ausmaß der Lehman-Pleite oder die aktuellen Euro-Sorgen bei weitem überstiege - und das zu einer Zeit, da die Steuertöpfe noch von den Kosten der bisherigen Stützungsaktionen, Abwrackprämien und Rettungsschirmen bis zum Anschlag strapaziert sind.

Was unterscheidet die USA von Griechenland?

Ist die große Dollar-Krise also unvermeidlich? Das ist sie ganz sicher nicht. Zu groß ist die wirtschaftliche Kraft der Amerikaner. Schließlich ist das Land riesig, gut erschlossen und reich an Rohstoffen. Gemessen an der Fläche sind nur Kanada und Russland größer. In der Rangfolge der bevölkerungsreichsten Staaten liegen die USA mit ihren rund 313 Millionen Einwohnern hinter China und Indien auf Platz 3. Die US-Bürger werden - selbst im Fall einer Staatspleite - nicht aufhören zu arbeiten oder einzukaufen.

Die US-Wirtschaft wird sich weiter drehen: Zahlreiche Großkonzerne haben in den USA ihren Hauptsitz. Die Bandbreite reicht von Ölmultis über Großbanken bis hin zu IT- und Software-Branchenführern. Namen wie Exxon Mobil, Coca-Cola, Goldman Sachs, IBM, Apple, Microsoft oder Google sind weltbekannt. Sie stehen für milliardenschwere Umsätze, Markt-Dominanz und die beispiellose Konsumbereitschaft der Amerikaner.

Der Weißkopfseeadler, das Wappentier der Vereinigten Staaten: Er steht für Weitblick, Stolz und Erhabenheit.

Der Weißkopfseeadler, das Wappentier der Vereinigten Staaten: Er steht für Weitblick, Stolz und Erhabenheit.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Auch die Weltleitbörsen für Aktien, Derivate und Rohstoffe haben nach wie vor ihren Sitz in den US-Metropolen New York und Chicago. Von hier aus bestimmt der Markt den Preis für Öl, Gas, Kupfer, Lebendvieh und Orangensaft. Abgerechnet wird selbstverständlich in Dollar - und nicht etwa in Euro, Rubel oder Yuan.

Das Bruttoinlandsprodukt der USA beträgt - um nur eine Kennzahl herauszugreifen - etwa 14,7 Billionen US-Dollar. Die Schuldenquote liegt also noch knapp unter 100 Prozent. Damit schneiden die USA deutlich besser ab als etwa Griechenland, Italien oder Japan. Zum Vergleich: Japan kommt auf eine Schuldenquote von rund 190 Prozent. Deutschland hat mit seiner Wirtschaftsleistung von umgerechnet etwa 3,3 Billionen Dollar eine Quote von knapp 79 Prozent.

Getragen wird die Kraft der USA von einer fast legendären unternehmerischen Dynamik. Fast 80 Prozent der Wirtschaftsleistung entspringen im Dienstleistungssektor. Knapp 20 Prozent trägt dazu die Industrie bei. Der private Konsum bestimmt das Wirtschaftswachstum. Und Geld geben Amerikaner - in guten wie in schlechten Zeiten - eigentlich immer aus. Gerne auch auf Kredit.

Quelle: ntv.de

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