Wirtschaft

Fragen und Antworten Wie pleite ist Irland?

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(Foto: REUTERS)

Die Angst vor einer Staatspleite in Europa kehrt an die Märkte zurück. Nach Griechenland droht nun vor allem Irland, ohne milliardenschwere Staatshilfen nicht mehr über die Runden zu kommen. Wie schlimm steht es wirklich? Antworten auf die brennendsten Fragen.

Warum reden jetzt alle über Irland?

Die Märkte sind der öffentlichen Diskussion einmal mehr um einige Schritte voraus und setzen damit Fakten und Themen, so auch bei Irland. Seit Mitte Oktober steigt die Nervosität unter Investoren spürbar an. Sichtbar wird das an den Risikoaufschlägen, die Anleger für ihr Engagement in Staatsanleihen von Ländern am Rande Europas verlangen, darunter auch Irland.

Während sich die Rendite der deutschen Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren nicht über Gebühr aus ihrer Spanne bei etwa 2,4 Prozent wegbewegt, legen irische Zinspapiere zeitweise auf bis zu 9 Prozent zu. Der Zins für eine vergleichbare Anleihe Portugals stieg über die Marke von 7 Prozent, Spanien arbeitet sich an die Schwelle von 5 Prozent heran.

Auch im Spiel der großen Währungen kehrt die Schuldenkrise wieder in das Bewusstsein der Akteure zurück. Eigentlich waren die Herbsttage gute Zeiten für den Euro. Die überraschend starke Erholung der Wirtschaft und die Debatte um eine ausufernd lockere Geldpolitik der USA trieb den Euro nach einer längeren Durststrecke zeitweise über die Marke von 1,42 US-Dollar. Doch dann kehrte wie auf einen Schlag die Erinnerung an die schwachen Euro-Staaten zurück ins Gedächtnis der Akteure - und der Euro rutschte in kurzer Frist wieder unter die Marke von 1,36 Dollar.

Wie ernst ist die Lage wirklich?

Irland wurde trotz seines vergleichsweise geringen Gewichts in Europa besonders früh und besonders heftig von der Finanzkrise getroffen. Es war das erste Land der EU, das im Zuge der weltwirtschaftlichen Abkühlung schon in der ersten Jahreshälfte 2008 in die Rezession schlitterte. 2009 schrumpfte die irische Wirtschaft um massive 7,6 Prozent.

Das größte Problem Irlands ist dabei die geplatzte Spekulationsblase am Immobilienmarkt, die auch eine Folge des rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs des Landes ist. Bis zu seinem Beitritt zur Europäischen Union 1974 galt Irland als das Armenhaus Europas. Mit finanzieller Unterstützung der EU und massiven Strukturreformen mauserte sich Irland jedoch Schritt für Schritt zum "keltischen Tiger", der mit niedrigen Unternehmenssteuern Finanzhäuser und Hightech-Firmen aus der ganzen Welt anlockte. Der irischen Konjunktur gab dieses Programm einen sagenhaften Schub und sorgte für 25 Jahre anhaltend kräftigen Wachstums.

Die glanzvollen Zeiten liegen erst einmal hinter den Iren.

Die glanzvollen Zeiten liegen erst einmal hinter den Iren.

(Foto: REUTERS)

Mit dem Boom ging jedoch auch eine scheinbar nicht enden wollende Preisrally am Immobilienmarkt einher. Zum Höhepunkt des Booms im Jahr 2007 trug die irische Bauwirtschaft sage und schreibe jeden vierten Euro zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. Kurze Zeit später platzte jedoch die Blase und flog den Iren sprichwörtlich um die Ohren. Tausende von ihnen sind überschuldet, weil sie Hypotheken auf Immobilien aufgenommen haben, die sie nicht mehr bedienen können und die auch nicht mehr vom tatsächlichen Wert des Hauses gedeckt sind.

Die größte akute Gefahr für eine drohende Pleite Irlands geht im Zusammenhang mit den Immobilienpreisen von den irischen Banken aus. Mit den Immobilienbesitzern gerieten nach dem Platzen der Preisblase auch die Finanzhäuser des Landes in arge Bedrängnis. Sie hatten allzu willfährig Immobilienkredite vergeben, die sich nun als substanzlos erweisen. Allein die Anglo Irish Bank, einer der Platzhirsche des Landes, musste mit staatlichen Finanzspritzen und Umstrukturierungskosten von bislang knapp 30 Mrd. Euro vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Insgesamt summieren sich die Hilfen auf rund 45 Mrd. Euro. Sollte sich die Lage am Immobilienmarkt nochmals verschlechtern, drohen Dublin weitere Bitten um Finanzhilfe - aus einer Staatskasse, die leerer kaum sein könnte. Das Schicksal Irlands hängt daher auch an der Verfassung seiner Banken.

Wie dringend benötigt Irland Geld?

Ganz kurzfristig besteht für die Iren kein frischer Kapitalbedarf, weil sich die Regierung nach eigenen Angaben bereits um die Aufnahme neuer Schulden zur Ablösung fälliger Kredite bis Mitte kommenden Jahres gekümmert hat. Die Refinanzierungstermine eines Landes stehen am Kapitalmarkt grundsätzlich unter besonderer Beobachtung, da vom Marktumfeld an diesen Tagen abhängt, wie hoch die langfristig zu zahlenden Zinsen ausfallen werden. Ist wie derzeit die Nervosität hoch, dann bedeutet das für viele Jahre hohe Zinsen mit entsprechenden Auswirkungen auf den staatlichen Haushalt.

Nach Berechnungen der Investmentbank Morgan Stanley verfügt Irland derzeit über ein Liquiditätspolster von 20 Mrd. Euro. Wenn keine unerwarteten Belastungen durch plötzlich auftauchende Haushaltslöcher oder Bankenrettungen auftauchen, gibt das vorerst Luft. Wenn.

Schon allzu oft hat sich an der Börse bewahrheitet, dass bei Rauch auch das Feuer nicht weit ist. Wenn Zinsen für langfristige Staatsanleihen plötzlich anspringen, darf das wohl getrost als Rauch verstanden werden.

Wie hoch müsste der Rettungsscheck ausfallen?

Lange Zeit hat die irische Regierung kategorisch bestritten, überhaupt Finanzhilfen aus Europa in Anspruch nehmen zu müssen. Rückendeckung erhält sie dabei vom Internationalen Währungsfonds, der ebenfalls keinen Grund für eine Unterstützung des Landes sieht. Erst am 14. November räumte der irische Justizminister Dermot Ahern ein, dass es zu einer solchen Situation kommen könnte. "Die Dinge entwickeln sich Tag für Tag", sagte er auf die Frage, ob er garantieren könne, dass Irland keine EU-Staatshilfen beantragen werde.

So vage wie die Aussichten auf einen Hilferuf Irlands sind bislang auch die Summen, die am Markt als realistische Größen kursieren. Die Spannbreite reicht dabei von 30 Mrd. bis zu 90 Mrd. Euro.

Warum sparen die Iren nicht erst einmal?

Das tun sie bereits. Drei Sparprogramme haben die Iren bereits hinter sich. Dabei wurden Abgaben erhöht und Gehälter deutlich gekürzt. Im öffentlichen Dienst verdienen zahlreiche Beschäftigte heute bis zu einem Fünftel weniger als noch vor zwei Jahren.

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(Foto: REUTERS)

Bis Anfang Dezember erarbeitet Regierungschef Brian Cowen nun ein weiteres Sparpaket für die kommenden vier Jahre, das es in sich hat. Der Haushalt im kommenden Jahr soll dabei um 6 Mrd. Euro schrumpfen, in den darauffolgenden Jahren noch einmal um weitere 9 Mrd. Euro.

Die Crux liegt nun darin, auf der Ausgabenseite möglichst dort die Axt anzusetzen, wo Budgetkürzungen einen möglichst geringen Effekt auf den heimischen Konsum haben. Denn wenn im Gleichtakt mit den Ausgabenkürzungen auch die Steuereinnahmen erodieren, ist wenig gewonnen. Konzepte für intelligentes Sparen sind also gefragt, damit aus einem irischen Notfallplan keine Blaupause zum Harakiri wird.

Müssen wir Irland helfen?

Wenn es darum bittet und die Lage tatsächlich ernst ist, ja. Als eine wichtige Lehre aus der Griechenland-Krise hat die EU dafür ein doppeltes Sicherungsnetz aufgespannt, das klammen Staaten der Eurozone im Fall der Fälle schnell und nach klaren Regeln hilft. Insgesamt stehen dazu 750 Mrd. Euro zur Verfügung.

Wie läuft eine Rettung ab?

Euro-Staaten können Finanzhilfen grundsätzlich aus zwei Töpfen erhalten. Erster Schritt ist der Notfallfonds der EU mit dem wohlklingenden Namen Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus. Er umfasst bis zu 60 Mrd. Euro und wird durch den EU-Haushalt garantiert.

Um Rettungsgelder daraus zu erhalten, müsste sich die irische Regierung an die EU-Kommission wenden, die gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank den Finanzbedarf ermittelt. Im Gegenzug muss das klamme Land ein Konzept zur Sanierung der Staatsfinanzen ausarbeiten und an den Arbeitsausschuss der EU-Finanzminister schicken. Die EU-Kommission handelt dann mit dem Land die Konditionen für die Hilfskredite aus. Damit das Geld tatsächlich fließen kann, muss der EU-Finanzministerrat auf Vorschlag der EU-Kommission mit qualifizierter Mehrheit für den Antrag stimmen. Die Kommission kann dann Geld am Kapitalmarkt leihen.

Reichen die Hilfszahlungen daraus nicht aus, greift das System der Kreditgarantien über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität. Über dieses System stellen die EU-Staaten Garantien über insgesamt 440 Mrd. Euro zur Verfügung, der Internationale Währungsfonds weitere 250 Mrd. Euro.

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(Foto: AP)

Um an diese Gelder zu gelangen, müsste die irische Regierung einen Hilfsantrag an die Euro-Finanzministergruppe richten. Halten die Minister eine Unterstützung für gerechtfertigt, wird eine Delegation der EU-Kommission, der EZB und des IWF in das Land geschickt, um den Finanzbedarf festzustellen und mit der Regierung ein striktes Spar- und Reformprogramm abzustimmen. Das Programm muss dann von der Eurogruppe und - insofern gleichzeitig Kredite vom IWF fließen sollen - vom Internationalen Währungsfonds angenommen werden. Konditionen und Auszahlungsmodalitäten werden in einer Vereinbarung festgehalten.

Wie auch beim Notfallfonds stammt das Geld nicht direkt von den Mitgliedsstaaten. Stattdessen nimmt die Abwicklungsgesellschaft mit den Garantien der Staaten im Rücken Geld am Kapitalmarkt auf und reicht es dann in mehreren Teilen und über Jahre verteilt an das notleidende Land weiter. Deutschland bürgt in diesem Rahmen für bis zu 123,2 Mrd. Euro und kann diesen Betrag im Notfall nochmals auf insgesamt 148 Mrd. Euro aufstocken.

Welchen Beitrag leisten die Gläubiger des Landes?

Bisher werden Kreditgeber von Staaten, also die Käufer von Staatsanleihen, nicht an den Kosten der Rettung beteiligt. Die Idee dabei ist, eine Verschlimmerung der Situation klammer Staaten durch die Gläubiger zu verhindern. Rechnen diese nämlich damit, dass Irland etwa seine Kredite nicht mehr bedienen  kann und deshalb ein Teil ihrer dort investierten Gelder verloren wäre, verkaufen sie ihre Papiere. Das würde die Zinsen für die bereits ausgegebenen Anleihen des Landes nach oben treiben und die Aufnahme neuer Schulden verteuern.

Künftig sollen die Gläubiger jedoch ebenfalls einen Beitrag zur Sanierung leisten und auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Dies soll als neue Regel für den Nachfolger des Systems der Kreditgarantien eingeführt werden, wenn das jetzige System Mitte 2013 ausläuft. An den Märkten hatte die Aussicht auf eine solche Beteiligung bereits zu einem sprunghaften Anstieg der Renditen geführt, da Investoren fürchteten, möglicherweise bereits mit ihrem schon angelegten Geld zur Kasse gebeten zu werden. Auf diese Möglichkeit will die Politik jedoch verzichten, um damit keine zusätzliche Unruhe am Markt zu wecken und damit die Situation zu verschlimmern.

Wer sind die großen Kreditgeber Irlands?

Die größte europäische Gläubigerbank Irlands ist die Royal Bank of Scotland, die mit rund 5 Mrd. Euro in irischen Staatsanleihen investiert ist. Große Summen haben auch die landeseigenen Institute Allied Irish Bank (4,1 Mrd. Euro) und die Bank of Ireland (1,2 Mrd. Euro) investiert. Größter Gläubiger aus Kontinentaleuropa ist die französische Credit Agricole, die mit knapp 1 Mrd. Euro investiert ist.

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(Foto: REUTERS)

Anders als bei der Griechenland-Krise sind die deutschen Banken über Staatsanleihen von der Schwäche in Irland nicht in besonders großem Stil betroffen. Zwar lag das Engagement der Hypo Real Estate einmal bei über 10 Mrd. Euro, für das Institut hat sich diese Sorge jedoch mit der Auslagerung in die Bad Bank erledigt.

Anders sieht es beim insgesamten Engagement deutscher Banken in Irland aus. Rechnet man alle Forderungen deutscher Finanzhäuser an die irische Wirtschaft und insbesondere die Finanzwirtschaft zusammen, so steht Deutschland so prominent da wie kein zweites Land der Welt. Nach jüngsten Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich von Ende Juni 2010 haben deutsche Institute Forderungen in Höhe von 138,6 Mrd. Euro gegen Irland und seine Unternehmen. Damit gehört fast jeder fünfte geborgene Euro einer deutschen Bank. Zum Vergleich: Griechenland steht bei deutschen Banken mit 36,8 Mrd. Euro in der Kreide. Da jedoch auch die Außenstände Griechenlands deutlich niedriger sind, liegt das Engagement deutscher Banken hier bei über 20 Prozent.

Wie teuer wird eine Rettung für Deutschland?

Das kommt darauf an, ob Irland in der Lage wäre, seinen finanziellen Verpflichtungen aus den Hilfskrediten nachzukommen, konkret also Zinsen zu zahlen und Kredite zu tilgen. Gelingt dies, weil Irland durch Hilfsgelder genug Luft zum Atmen bekommt, um finanziell und auch konjunkturell wieder auf gesunde Beine zu kommen, dann könnte dem Rettungsfonds sogar ein Gewinn entstehen. Der Fonds verleiht das Geld an Rettungskandidaten nämlich teurer als es die Gelder selbst ausleiht. Scheitert die Rettung und bleiben Verluste, muss jedes Euro-Land entsprechend seiner Bürgschaft dafür geradestehen.

Unabhängig davon muss Deutschland wohl etwas höhere Zinsen für eigene Kredite zahlen, da es mit den Garantien für einen schwankenden Euro-Staat ein zusätzliches Risiko aufgenommen hat, das auch die eigene Zahlungsfähigkeit beeinträchtigt. Da das Zinsniveau jedoch derzeit auf sehr niedrigem Niveau ist, dürften die Effekte nicht gravierend ausfallen.

Haben die Ratingagenturen die Lage verschlimmert?

Die Kreditratings von Irland sind noch vergleichsweise gut. Insbesondere zu einem Abwertungswettlauf in Richtung des Ramsch-Status, wie er in den kritischen Wochen bei Griechenland zu beobachten war, ist es bislang nicht gekommen.

Das bislang negativste Rating verteilt seit Anfang Oktober die Agentur Fitch. Sie senkte ihr Langfrist-Rating von AA- auf A+ und vergibt einen negativen Ausblick. Weitere Herabstufungen in den kommenden ein bis zwei Jahren sind damit wahrscheinlich. S&P beurteilt die Kreditwürdigkeit Irlands seit August mit der Note AA- und damit vergleichbar der alten Einschätzung von Fitch. Das beste Ratingurteil spricht Moody's aus, die Agentur ratet Irland aktuell mit Aa2 und damit noch eine Stufe besser als S&P.

Wenn Irland Hilfe beantragt, ist dann endlich Ruhe im Karton?

Davon ist nicht automatisch auszugehen. Schon jetzt sind die Risikoprämien für die Staatsschulden Portugals und Spaniens wieder deutlich angestiegen. Denkbar wäre auch, dass sich Investoren nach Irland auf das nächste wankende Euro-Land stürzen. Spätestens im Falle Spaniens dürften jedoch die Rettungsinstrumente der EU an ihre Grenzen stoßen.

Quelle: ntv.de

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