Wirtschaft

Kontrollierte Hiobsbotschaften Wie Peking die Märkte steuert

Wackelige Angelegenheit: Wenn das Wirtschaftswachstum zu schnell an Tempo verliert, stehen bald schon Millionen an Arbeitskräften auf der Straße.

Wackelige Angelegenheit: Wenn das Wirtschaftswachstum zu schnell an Tempo verliert, stehen bald schon Millionen an Arbeitskräften auf der Straße.

(Foto: REUTERS)

Chinas Konjunktur verliert weiter an Fahrt. Der Regierung in Peking gelingt es bisher, trotz der schlechten Nachrichten eine Panik unter Investoren und Bevölkerung zu verhindern - mit teils waghalsigen Methoden. Selbst der Finanzminister scheint mitzuspielen.

Bemerkenswert niedrige Wachstumsprognose: Pekings Finanzminister Lou Jiwei (hier rechts, beim IWF-Frühjahrstreffen in Washington) bringt wie nebenbei die 7,0 Prozent ins Spiel.

Bemerkenswert niedrige Wachstumsprognose: Pekings Finanzminister Lou Jiwei (hier rechts, beim IWF-Frühjahrstreffen in Washington) bringt wie nebenbei die 7,0 Prozent ins Spiel.

(Foto: REUTERS)

Chinas Wirtschaft setzt seine Talfahrt fort: Die Konjunkturdaten des zweiten Quartals bestätigten die zunehmenden Probleme der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Um nur noch 7,5 Prozent, und damit um 20 Basispunkte weniger als zu Beginn des Jahres, legte das Bruttoinlandsprodukt zwischen April und Juni zu. In Industrienationen würden sie bei solchen Zahlen lauthals jubeln, aber in der Volksrepublik ist es ein Grund zur Sorge. Seit Anfang 2011 hat die Konjunktur des Landes mit einer einzigen Ausnahme an Fahrt verloren. Schwache Exporte, weniger Investitionen und kraftloser Binnenkonsum haben das vermeintliche Wirtschaftswunderland auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ein riesiger Schuldenberg von Städten und Kommunen und ein zum Bersten erhitzter Immobilienmarkt binden der Regierung die Hände.

Irgendwann aber wird Peking eingreifen müssen, glauben Experten. "7,5 Prozent ist die unterste Grenze, die die Regierung akzeptieren kann. Sie wird im kommenden halben Jahr Maßnahmen ergreifen, um den Trend zu stoppen", sagt Ma Jun, Chefökonom der Deutschen Bank in China. Am einfachsten wäre es, die Zentralbank würde Geld günstiger machen, indem sie die Leitzinsen senkt. Dann könnten Banken mehr Kredite vergeben, um neue Straßen, Häuser, Fabriken und Flughäfen zu finanzieren. Doch solch ein Wachstum ist nicht nachhaltig.

Die Partei fürchtet die Blase

Es schafft zu viel Infrastruktur, die überflüssig ist und keine Einnahmen generiert. Kurzfristig hätten Millionen von Arbeitern zwar sichere Jobs, aber keine Perspektive. Damit Peking jedoch sein anvisiertes Jahresmittel von 7,5 Prozent Wachstum erreichen kann, muss die Kreditvergabe für lokale Regierungen etwas gelockert werden. Zurzeit gibt es hohe Auflagen für die Kommunen. Ökonom Ma glaubt, dass vor allem die Finanzierung von Projekten für den Umweltschutz erleichtert wird. Das könnte das Wachstum stabilisieren und Nachhaltigkeit schaffen. Doch die Zentralbank wird die Geldvergabe weiter streng im Auge behalten. Eine drastische Kursänderung halten auch die Analysten von Goldman Sachs China für "unwahrscheinlich", wie sie in einer Notiz mitteilten.

Kredite werden in China seit einer Weile unter der wachsenden Bedrohung eines Schuldenkollaps erteilt. Wenn Peking die Geldschleuse weiter öffnet, wird viel Geld verliehen, das niemals zurück bezahlt wird. Das lehren die Erfahrungen der vergangenen Jahre. Die fatalen Folgen eines Wachstums auf Pump könnte das gesamte Finanzsystem zum Einsturz bringen. Ende Juni gab es bereits Gerüchte über die Zahlungsunfähigkeit der Bank of China, einer der großen vier Staatsbanken. Am Finanzsystem hängen die Wirtschaftsleistung, die soziale Stabilität und damit das Machtmonopol der Partei. Deswegen gibt es bislang keine Signale, dass Peking seinen Kurs ändert und die Geldpolitik lockert. Sie wählt zwischen zwei Übeln. "In China sind Wirtschaftsdaten eng verknüpft mit der politischen Entwicklung. Schlechte Daten können soziale Unruhen auslösen. Die Behörden sind sich wohl darüber im Klaren, wie schwierig die Situation ist, in der sich die Konjunktur befindet", sagt Zhong Dajun vom Pekinger Beratungsunternehmen Dajun.

Verbaler Testballon für die Börsen

Dass es ernst ist, gestand Chinas neuer Finanzminister Lou Jiwei Ende letzter Woche in Washington. Chinas Wachstum könnte bald schon auf unter sieben Prozent purzeln, sagte er. Vermutlich war für den Zeitpunkt seiner Aussage sehr bewusst der Freitagnachmittag gewählt, als die Börsen für das Wochenende schon geschlossen hatten. So hatte die Nachricht Zeit zu wirken, ohne dass jemand panikartig sein Kapital aus China abziehen konnte. Am Sonntag gab es dann sogar die Rolle rückwärts. Wachstum vorerst stabil, korrigierte die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua die Aussagen des Ministers. Doch die Andeutungen entfalten ihre psychologische Wirkung. "Es soll ein Zeitfenster geschaffen werden, in dem sich die Märkte an die Abkühlung der Wirtschaft gewöhnen. So soll Panik unter Investoren und in der Öffentlichkeit verhindert werden ", sagt Analyst Zhong.

Zu einem solchen psychologischen Trick griff die Regierung bereits Anfang des Monats. Sie hielt kurzerhand die Angaben zu Export- und Importaufträgen sowie den Lagerbeständen in chinesischen Unternehmen zurück. Diese Daten sind unverzichtbare Komponenten zur Ermittlung des Einkaufsmanagerindex PMI, der als Stimmungsbarometer der Industrie verwendet wird. Es wurde geunkt, dass die Daten so schlecht waren, dass das Nationale Statistikamt es für eine gute Idee hielt, ihre Bekanntgabe vorübergehend auszusetzen.

Eine fadenscheinige Ausrede vom Vizepräsidenten des chinesischen Verbandes für Beschaffung und Logistik, der die Umfrage organisiert, hielt schließlich als Erklärung her. "Die Zeit ist sehr begrenzt. Es sind viele Kategorien", hieß es mit Verweis auf die wachsende Datenflut. Seit Januar nehmen 3000 statt vormals 820 Unternehmen an der Umfrage teil. Statt 21 gibt es nun 31 Kategorien. Zuvor funktionierte die Umstellung ein halbes Jahr lang allerdings reibungslos.

Wenig später gab der chinesische Zoll das Volumen der Ein- und Ausfuhren bekannt. Die Zahlen stützten die Vermutung eines schwächelnden Exports, der im Juni um 3,1 Prozent nachgab. Auch die Importe lagen im Minusbereiche. Der Zoll gab auch für das kommende Quartal einen "düsteren" Ausblick. Überkapazitäten und mangelnde Nachfrage drücken die Stimmung in den Produktionsbetrieben seit über einem Jahr kontinuierlich in den Keller.

Panik an den Märkten war bis zum Montagnachmittag aber noch keine auszumachen. Die Taktik der kontrollierten Hiobsbotschaften scheint vorerst aufzugehen.

Quelle: ntv.de

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