Wirtschaft

Wirtschaft jagt ein Phantom Die Mär vom Fachkräftemangel

Weil die deutsche Wirtschaft hierzulande zu wenig gut ausgebildete Mitarbeiter findet, gehen Arbeitgeber gezielt auf Jagd nach qualifizierten Kräften aus Griechenland, Portugal oder Spanien. Das klingt einleuchtend, denn schließlich herrscht ja Fachkräftemangel – oder etwa nicht?

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(Foto: picture alliance / dpa)

Der Fachkräftemangel scheint allgegenwärtig. Ob Ingenieure, IT-Fackräfte oder Pflegepersonal, die deutsche Wirtschaft sucht nach eigenem Bekunden händeringend und erfolglos nach qualifizierten Mitarbeitern, und das nicht erst seit der kräftigen Konjunkturerholung nach der Finanzkrise. Schon vor drei Jahren mahnte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt: "Die Auswirkungen des Fachkräftemangels in den Unternehmen werden immer deutlicher sichtbar und führen zu erheblichen Verlusten in der Wirtschaft." Seitdem ringen Arbeitgebervertreter um bessere Beschäftigungsmöglichkeiten für Mitarbeiter aus dem Ausland.

Nun geht die Bundesagentur für Arbeit in die Offensive und will gezielt in schuldengeplagten und wachstumsschwachen Euro-Staaten nach gut ausgebildeten Mitarbeitern fischen. Qualifizierte Zuwanderer aus Spanien, Portugal und Griechenland sollen gegen den Fachkräftemangel in Deutschland helfen. Damit haben sie in der Krise eine neue Chance und helfen zugleich der deutschen Wirtschaft weiter auf die Beine. Erstaunlich, dass dies bisher in den Plänen der Arbeitgeber keine besondere Rolle spielt. Denn anders als in ihren Forderungen gibt es für Facharbeiter aus diesen Ländern schon lange keine rechtlichen Hürden mehr - der europäischen Errungenschaft der Freizügigkeit sei dank. War die Not am Ende bislang doch gar nicht so groß? Gibt es am Ende gar keinen echten Fachkräftemangel?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kommt in einer Studie zu einem klaren Ergebnis: "Für einen aktuell erheblichen Fachkräftemangel sind in Deutschland kaum Anzeichen zu erkennen." Ein Kernproblem der deutschen Wirtschaft, am Ende nur ein willkommener Phantomschmerz, um die Lohnkosten im Zaum zu halten? Ein Blick auf die Fakten.

Löhne:

Ist die Nachfrage größer als das Angebot, dann treibt das den Preis nach oben. Das gilt nicht nur für Aktien, sondern auch am Arbeitsmarkt. Die Bruttostundenlöhne für Fachkräfte sind jedoch in den vergangenen Jahren weder in der gesamten Wirtschaft noch in spezialisierten Sektoren wie dem Verarbeitenden Gewerbe oder unter den Investitionsgüterproduzenten gestiegen. Auf einen Fachkräftemangel deutet die Lohnentwicklung daher nicht hin, denn gefragte Köpfe hätten auf breiter Front höhere Gehälter durchsetzen können.

Arbeitslose:

Die Zahl der Arbeitslosen ist der DIW-Studie zufolge bei fast allen Fachkräften höher als die Zahl der offenen Stellen. Lediglich in einigen wenigen Berufen sieht die Untersuchung tatsächlich Hinweise auf eine echte Knappheit in der Arbeitslosenstatistik. Das sind im Einzelnen Vulkaniseure und Elektroinstallateure sowie Ärzte und Krankenschwestern.

Arbeitgeber melden bei weitem nicht alle offenen Stellen auch der Arbeitsagentur. Bei einem akuten und dramatischen Mangel würde ein Arbeitgeber jedoch wohl eher jede Gelegenheit beim Schopfe packen, geeignete Mitarbeiter zu finden.

Nachwuchs

Die Absolventenzahlen der Universitäten in einschlägigen technischen und naturwissenschaftlichen Fächern liegen bei weitem über dem jährlichen Bedarf an Mitarbeitern, die etwa aus Altersgründen ersetzt werden müssen. Fehlender akademischer Nachwuchs sollte einen Mangel an Fachkräften also nicht auslösen.

Bei der betrieblichen Ausbildung setzen Unternehmen seit Jahren konsequent auf Sparflamme. Das gilt selbst für jene Jahre, in denen der Ruf der Arbeitgeberverbände nach mehr qualifizierten Kräften besonders laut erschallt. Das DIW kommt daher zu dem Ergebnis, dass Unternehmen bei sinkender Ausbildungsbereitschaft keinen allzu großen Mangel an Fachkräften spüren können, denn sonst würden sie selbst für mehr Nachwuchs sorgen.

Forderungen nach erleichterten Zuzugsmöglichkeiten sind einfach gestellt. Doch wenn Arbeitgeber mehr Eigeninitiative und Flexibilität zeigen würden, dann wäre eine Debatte um fehlende Fachkräfte überflüssig. Was bleibt, ist der Eindruck, dass nicht die besondere Qualifikation neuer Arbeitnehmer jenseits der Grenzen Europas gesucht sind, sondern insbesondere ihre niedrigeren Gehaltsvorstellungen. Mit Fachkräftemangel hat das aber nichts zu tun.

Quelle: ntv.de

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