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Schuldendrama nach der Wahl? Die Dollar-Schmelze

Eine Währung, die nur vom Mythos lebt?

Eine Währung, die nur vom Mythos lebt?

(Foto: dpa)

Eine Staatshaushalts-Blockade in den USA könnte ein Schuldendrama auslösen, das die Euro-Finanzkrise wie ein Sturm im Wasserglas aussehen lässt. Die USA sind nicht "too big to fail", sagt die Journalistin Myret Zaki. Kommt das Ende des Dollars?

Als Myret Zaki in New York vor der National Debt Clock, der US-amerikanischen Schuldenuhr steht, wird ihr schwindelig, der Boden von Manhattan wankt unter ihren Füßen und die Wolkenkratzer sehen auf einmal wie eine Studiokulisse aus Pappmaché aus, die jederzeit über ihr zusammenbrechen kann. Der Grund für ihre Anspannung: Der Betrag der US-Staatsverschuldung, der im Stundentakt in zweistelliger Millionenhöhe wächst und für den irgendwann vielleicht Platz für eine 15 digitale Ziffer geschaffen werden muss: 100.000 Milliarden Dollar.

Der Schwindel dürfte sich seither verstärkt haben, denn seit die französische Originalausgabe des Buches "Dollar-Dämmerung" ("La Fin du dollar") der Schweizer Politologin und stellvertretende Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazin "Bilan" 2011 auf dem Markt erschienen ist, ist der amerikanische Schuldenstand weiter gestiegen. Der Fehlbetrag für das Ende September abgelaufene Haushaltsjahr 2012 lag bei 1,1 Billionen Dollar (850 Mrd. Euro). Auch wenn das Defizit damit im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, als die Finanzierungslücke im US-Budget noch 1,3 Billionen Dollar umfasste, ist Myret Zaki überzeugt, dass die Vereinigten Staaten schon lange einen Punkt erreicht haben, an dem sich die Schuldenuhr nicht mehr zurückdrehen lässt: "Der Dollar stellt heute die größte Bedrohung für die Weltwirtschaft dar", ist die These ihres Buches. Und die Finanzkrise 2008 habe die Gefahren zum ersten Mal deutlich gezeigt.

Schwindelerregender Anblick: die Schuldenuhr in New York (Stand: 24. Juli 2011)

Schwindelerregender Anblick: die Schuldenuhr in New York (Stand: 24. Juli 2011)

(Foto: REUTERS)

Die Politologin und Finanzanalystin ist nicht der Meinung, dass die Vereinigten Staaten zu groß sind für einen Bankrott ("too big to fail") – so wenig wie frühere Imperien. In der Geschichte habe ein radikaler Verzicht auf Währungs- und Haushaltsdisziplin stets in dasselbe Unglück geführt, argumentiert die 39-Jährige. Das von den USA kreierte Schuldenungetüm könne nur eine Konsequenz haben: Ein Crash des Dollars. "Die Tage des Dollars sind gezählt, eine rigorose Umkehr zur Sparsamkeit ist für die USA unvermeidlich."

Zumindest mit letzterer Ansicht ist Frau Zaki nicht alleine. Auch wenn er sich hüten wird, den Bankrott des Dollars zu erklären, wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht müde, die USA zu deutlich mehr Haushaltsdisziplin aufzurufen. Zuletzt nutzte Schäuble das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer für einen erneuten Appell, das Staatsschuldenproblem entschieden anzugehen: "Die USA und Japan tragen genau so Verantwortung wie wir Europäer", mahnte Schäuble.

Zerreißprobe nach der Wahl

Die Haushaltsdisziplin wird den USA schon bald aufgezwungen werden: Denn wenn sich der amtierende Präsident mit dem jetzigen Kongress nicht einigen kann, greift Anfang 2013 eine automatische Schuldenbremse – die sogenannte "fiscal cliff". Dann werden die Budgets für verschiedene Regierungsbereiche automatisch gekürzt, gleichzeitig laufen Steuererleichterungen für Arbeitnehmer, Vermögende und Unternehmen aus. Dieser 500 Mrd. Dollar schwere Mix könnte das Bruttoinlandsprodukt um bis zu fünf Prozentpunkte drücken.

Sollte die Wahl am heutigen Dienstag zu einer Patt-Situation führen und es erneut zu einer Blockade wie einst zwischen dem Demokraten Obama und der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus kommen, werden sich nicht nur die Verhandlungen über die Finanzierung des Staatshaushalts quälend lange hinziehen. Die US-Notenbank Fed könnte sich durch den politischen Stillstand veranlasst sehen, zu weiteren quantitativen Lockerungsmaßnahmen (QE) zu greifen. Statt die Realwirtschaft durch eine Strukturreform wieder auf die Füße zu stellen, würde es wieder einmal nur die schnelle Geldschwemme geben.

Gezahlt wird morgen

Wachstum auf amerikanisch bedeute unbegrenzt die Notenpresse anzuwerfen und gleichzeitig zu beteuern, dass dadurch keine Inflation entsteht, stellt Zaki in ihrem Buch fest. Amerika pflege eine "kreative Rechnungsführung", die der Griechenlands in nichts nachstehe. So sei Washington schon immer der Auffassung gewesen, dass eine Rückzahlung der staatlichen Schulden nicht wirklich nötig sei, schlimmstenfalls würden sich künftige Generationen darum kümmern.

Die mageren Wachstumsraten des Landes würden nicht nur nicht reichen, um die Verschuldung abzubauen, sie stützten sich auch fast ausschließlich auf die Ausgaben für den Konsum, so die Journalistin. Das könne nicht wirklich als Wachstum gelten. In Wirklichkeit leihe man sich Geld auf Kosten des zukünftigen Wachstums, das zwangsläufig geringer ausfallen werde, weil man dann den Konsumkredit mit Zinsen zurückzahlen müsse. Ein Staat, der sich auf Basis eines hypothetischen künftigen Wachstums überschuldet, handele nicht anders als ein Hedgefonds, der geliehenes Geld für hypothetische Börsengewinne einsetzt, schreibt die Journalistin. Die USA hätten ein produktives BIP durch ein geliehenes BIP ersetzt und statt des "Buy American" gelte für sie nun "Spend American". Die jüngsten offiziellen BIP-Zahlen dürften Zaki in ihrer These bestärken – der lahmende Konsum sorgte dafür, dass die US-Regierung für 2012 die BIP-Prognose auf 2,6 Prozent nach unten korrigierte.

Alle schauten auf Griechenland, ein Land mit zehn Mio. Einwohnern, das gerade mal zwei Prozent des Eurozonen-BIPs ausmache, beobachtet Zaki verständnislos. Aber auf Kalifornien, mit seinen 38 Mio. Einwohnern, einer Verschuldung von 90 Prozent und einem Anteil von 12 Prozent an der amerikanischen Wirtschaft schaue niemand, obwohl eine Zahlungsunfähigkeit dieses Bundesstaates größeren Schaden in den USA anrichten würde, als eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands in Europa es je könnte.

Der Dollar-Kult

Wenn die Lage jedoch so verzweifelt ist – wie kommt es, dass die Medien, Ökonomen und Ratingagenturen sich weltweit auf die Euro-Schuldenkrise kapriziert haben? Sind sie alle auf dem amerikanischen Auge blind? Der Mythos, dass die USA immer noch die Fähigkeit hätten, wieder in Gang zu kommen und sich neu zu erfinden, rette den Dollar, glaubt Zaki. "Der Kult um den Dollar ist so unhinterfragt wie die Heilige Schrift."

Doch der Tag rücke näher, an dem die ausländischen Investoren keine amerikanischen Staatsanleihen mehr erwerben wollten, um das amerikanische Defizit zu finanzieren, prophezeit die Autorin. Im Blick hat Zaki dabei vor allem die asiatischen Gläubiger, allen voran die Chinesen. In der Eurokrise hätten die Asiaten die eher pessimistische Haltung des Marktes gegenüber dem Euro bereits ausgenutzt, um schon in die europäische Gemeinschaftswährung umzuschichten – dies sei auch die Erklärung für die Stärke des Euros in den turbulenten Zeiten.

Nicht nur Myret Zaki, auch das US-Verteidigungsministerium treibt die Frage um, was passiert, wenn die Chinesen ihren Berg an US-Staatsanleihen auf einen Schlag auf den Markt werfen. Das Pentagon gab im Sommer eine Studie in Auftrag, die klären sollte, ob die Asiaten so die Supermacht USA ins Wanken bringen könnte. Beruhigendes Ergebnis: Ein "plötzlicher und bedeutender" Verkauf stelle keine Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA dar. Ohnehin habe China wenig attraktive Anlagemöglichkeiten außerhalb der US-Treasuries für die Masse seiner umfangreichen Devisenreserven, hieß es in dem Bericht weiter.

Das könnte sich in Zukunft ändern, glaubt Zaki. Mit dem relativen Niedergang des Dollars sinke auch die Motivation, Währungen an den Dollar zu binden oder die Verschuldung Amerikas zu finanzieren. Sie wettet darauf, dass es höchstens noch zehn Jahre dauert, bis sich eine Alternative abzeichnet. So werde der chinesische Yuan seinen Aufstieg fortsetzen. Schon jetzt würden multinationale Unternehmen wie McDonald's, Ikea oder Nokia den Yuan bei ihren Handelsgeschäften einsetzen. Doch auch der Euro ist in den Augen der Schweizerin geeignet, vor allem weil sich Europa an die undankbare Aufgabe gemacht hat, die Defizite abzubauen und kurzfristig den Preis für eine langfristige solide Grundlage zu zahlen.

Schonungslose Analyse oder Verschwörungstheorie?

Artikel und Bücher, die den Untergang einer Währung, die Super-Inflation oder Ähnliches heraufbeschwören, haben besonders in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Auch bei der Lektüre der "Dollar-Dämmerung" bleibt die Frage im Hinterkopf, ob die Beschreibung der amerikanischen Schuldenkrise nicht übertrieben ist. Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, was passieren würde, wenn wir tatsächlich das Ende der Dollar-Ära erleben. Man solle sich aktiv auf den Wandel einstellen und dem schwerkranken Dollar einen eleganten und geordneten Abgang ermöglichen, empfiehlt Zaki.

Ihr wurde im Vorfeld von Analysten und Ökonomen empfohlen, ein Buch über den Tod des Euros zu schreiben, das lehnte sie ab und untermauerte stattdessen ihre Thesen durch eine akribische Faktensammlung und viele Querverweise auf andere Ökonomen. Die Crux (auch oder gerade in der Ökonomie) ist jedoch, dass Statistiken bekanntlich von jedem Betrachter anders gelesen werden können. In jedem Fall wird jedoch der Blick auf die vielen US-Konjunkturdaten, wie beispielsweise Arbeitsmarktstatistiken aus denen unzählige mutlose Amerikaner bereits rausgefallen sind, durch "Dollar-Dämmerung" noch einmal geschärft.

Am Ende des Tages könnte genau der kritisierte Dollar-Mythos dazu beitragen, dass der Greenback überlebt. Zumal, auch wenn man Zakis Argumentation folgt, auch der "Untergang" des Dollars sich wahrscheinlich vor allem dadurch ausdrücken würde, dass der Dollar seine Vorrangstellung verliert und sich stattdessen in eine Reihe mit anderen Währungen von großer Bedeutung wie den Yuan eingliedern wird.

Der neue US-Präsident – egal, wie sein Name lauten wird - wird in jedem Fall als eine der ersten Amtshandlungen wohl die Defizitgrenze verschieben müssen. Und dann wird er gegen die Folgen davon ankämpfen müssen.

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Quelle: ntv.de

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