Wirtschaft

Lenovo greift zu Google beendet Motorola-Abenteuer

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(Foto: REUTERS)

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Verzweiflungstat: Google verschleudert Motorola und versenkt damit Milliarden. Doch hinter dem Geschäft steckt mehr. Google ändert die Machtverhältnisse im Smartphone-Markt - zum eigenen Vorteil.

Nur zwei Jahre nach dem milliardenschweren Kauf stößt Google überraschend den Handyhersteller Motorola an den chinesischen Computer-Konzern Lenovo ab. Dafür bekommt der Internet-Gigant 2,9 Milliarden Dollar und damit nur ein Viertel der Summe, die er auf den Tisch gelegt hatte.

Deshalb muss sich Google-Chef Larry Page mehr denn je fragen lassen, warum er den schwächelnden Handy-Pionier für so viel Geld gekauft hatte. Zwar kassierte Google rund drei Milliarden Dollar für die Settopbox-Sparte von Motorola und verrechnete beim Finanzamt Verluste aus dem laufenden Motorola-Geschäft mit den gigantischen Gewinnen aus der Internet-Werbung. Aber ein guter Deal sieht im Silicon Valley völlig anders aus.

Das aktuelle Geschäft ist dagegen nach dem Geschmack der Investoren. Die Google-Aktie legte nachbörslich an der Wall Street 2,6 Prozent zu. Für das Lenovo-Papier ging es am Donnerstag indes in Hongkong mehr als acht Prozent nach unten. Anleger befürchteten, dass Lenovo zu viel für Motorola bezahlt hat.

Mit dem Milliarden-Deal wird der Lenovo zur neuen weltweiten Nummer drei von Googles Gnaden. Mit der Marke Motorola können die Chinesen ihre internationale Expansion vorantreiben und zu einem echten Herausforderer von Samsung werden. Den Smartphone-Marktführer Samsung konnte Google gleichzeitig mit einer großen Patent-Partnerschaft enger an sich binden. Zudem verzichten die Südkoreaner zugunsten von Google-Diensten angeblich auf einige Eigenentwicklungen.

Mit dem Verkauf will Google vermutlich auch die Gerätehersteller beschwichtigen, die Googles Handy-Betriebssystem Android nutzen. Denn obwohl Google versucht hat, Motorola als unabhängige Sparte weiterzuführen, gefiel es den großen Smartphoneherstellern nicht besonders, dass sie plötzlich ihre Software von einem Konzern kaufen sollten, der gleichzeitig mit ihnen auf dem Gerätemarkt konkurriert.

Konzentration auf Android-Entwicklung

Der verstärkte Wettbewerb zwischen den Chinesen und den Südkoreanern dürfte vor allem Google zugutekommen, die damit bei der Preisbestimmung wieder in eine bessere Verhandlungsposition geraten. Google behält zudem einen Großteil der Motorola-Patente und kann sich wieder auf sein erfolgreiches Handy-Betriebssystem Android konzentrieren, mit dem die Mehrheit aller Smartphones ausgestattet ist.

Wegen der Patente dürfte Google bei seinem etwa zweijährigen Motorola-Abenteuer - dem größten Zukauf in der Firmengeschichte - letztlich nicht so viel Verlust gemacht haben wie es scheint. Der Konzern kaufte damals rund 17.000 Schutzrechte, deren Wert von Google mit fünf Milliarden Dollar veranschlagt wurde, und von denen nun nur rund 2000 Patente an die Chinesen übergehen. Beide Unternehmen gaben allerdings keinen Einblick darin, welche Schutzrechte den Besitzer wechseln.

"Dieser Schritt wird es Google ermöglichen, alle Energie auf Innovationen im Android-Geschäft zu legen - zugunsten aller Smartphone-Besitzer", sagte Page. Bislang fuhr Google mit Motorola die Strategie, Software und Geräte aus einer Hand anzubieten. Das ist die Grundlage von Apples Erfolg. Und auch Microsoft schwenkte mit dem Kauf des Nokia-Handygeschäfts auf diesen Kurs ein. Doch Google befand sich mit dem Betriebssystem Android in einer heikleren Position. Denn es musste den anderen Anbietern von Android-Geräten wie Samsung und HTC versprechen, dass Motorola nicht bevorzugt wird - und setzte sich damit selbst enge Grenzen.

Samsung stoppt Entwicklungen

Zugleich gewann Samsung mit dem Aufstieg zur klaren Nummer eins im Smartphone-Geschäft mit fast einem Drittel Marktanteil ein eigenes Gewicht, dem Google Rechnung tragen musste. Erschwerend kam hinzu, dass immer mehr Android-Geräte ohne Google-Dienste verkauft werden. "Android gewinnt in China, aber ohne Hilfe von Google und ohne Google-Dienste wie die Download-Plattform Play Store", sagt Analyst Ian Fogg von der Marktforschungsfirma IHS. In diesen Fällen verdient Google keinen Cent, sondern muss zusehen, wie andere auf der Android-Plattform ihr eigenes Geschäft aufziehen.

Für viele Verbraucher ist die Marke Samsung ohnehin präsenter als Android. Anfang vergangenen Jahres warnte der damalige Android-Chef Andy Rubin die Südkoreaner öffentlich vor einem Alleingang, beispielsweise mit einem eigenen Betriebssystem. Samsung trieb danach unbeirrt den Aufbau eigener Dienste zum Beispiel für Videos oder die Übertragung von Dateien voran, die mit Google-Angeboten konkurrierten.

Nun sollen diese Solo-Projekte aber drastisch zurückgefahren werden, wie das Technologie-Blog "Recode" kurz vor Bekanntgabe des Motorola-Deals berichtete. Neue Geräte von Samsung sollen verstärkt auf Google-Dienste für Filme, Musik und andere Inhalte zugreifen, und auch die eigene Benutzeroberfläche werde zum Teil wieder aufgegeben, hieß es.

Lenovo betritt US-Markt

Für Lenovo ist der Milliarden-Kauf die Gelegenheit, einen Fuß in den wichtigen amerikanischen Markt zu bekommen, um Weltmarktführer Samsung und den iPhone-Hersteller Apple dort anzugreifen. "Es macht eine Menge Sinn, Motorola zu nutzen, um im Handygeschäft an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und Zugang zu interessanten Märkten zu erhalten", sagte Technologieanalyst Frank Gillett.

Lenovo hat eine Historie als Konzern, der sich mit Hilfe von Zukäufen stärkt: Im Jahr 2005 hatte Lenovo bereits für 1,7 Milliarden Dollar das IBM-Computergeschäft erworben. Erst vergangene Woche kauften die Chinesen für 2,3 Milliarden Dollar einen Teil der IBM –Serversparte. In Deutschland ist Lenovo vor allem wegen des Aldi-Lieferanten Medion bekannt, der seit 2011 zum Konzern gehört.

Zudem ist es nicht so, dass Lenovo noch keine eigenen Erfahrungen im Smartphone-Geschäft gesammelt hat. Mit seinen "Lephones" konzentriert sich die Firma auf Schwellenländer wie Russland und Indien und stieg auf dem riesigen Heimatmarkt zur Nummer zwei auf. In die USA hat sich der Konzern allerdings bisher nicht gewagt. Dort zögern Kunden häufig beim Kauf chinesischer Hardware - Gründe dafür sind unter anderem Sicherheits- und Qualitätsbedenken.

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa

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