Wirtschaft

Hightech statt Hochofen? ThyssenKrupp muss sich neu erfinden

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(Foto: REUTERS)

Mit Heinrich Hiesinger sollte alles besser werden. Aber die Liste der Probleme von ThyssenKrupp bleibt auch drei Jahre nach seinem Amtsantritt lang: Milliardenverlust, Abschreibungen, Kartellstrafen, Kurseinbruch. Der 150.000-Mitarbeiter-Konzern wankt.

Mit dem Hoffnungsträger Heinrich Hiesinger sollte alles besser werden. Korruptionsskandale, Kartellverfahren, Stahlkrise - die Liste der Probleme von ThyssenKrupp ließe sich beliebig verlängern. Nur wenige beneiden den ehemaligen Siemens-Manager um seinen Job. Manch einer an seiner Stelle hätte wohl längst radikale Schritte angekündigt, um beim größten deutschen Stahlhersteller aufzuräumen. Doch dem heute 53-Jährigen war von Anfang an klar: Das funktioniert in dem fast 200 Jahre alten Traditionskonzern nicht. Bereits vor seinem Amtsantritt 2011 schrieb er den Mitarbeitern: "Ich verspreche Ihnen, dass wir gemeinsam mit Besonnenheit, aber mit großer Beharrlichkeit all das umsetzen, was für unser Unternehmen notwendig ist." 

ThyssenKrupp
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Drei Jahre später prägt Hiesinger diese Besonnenheit noch immer. Die Geduld der Eigentümer ist allerdings strapaziert. Trotz einiger Erfolge ist die Zahl der Baustellen kaum weniger geworden. Im Gegenteil: Der Mischkonzern mit seinen 150.000 Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren in die größte Krise der Unternehmensgeschichte geschliddert. "Hiesinger hat zuviel versprochen", sagen Kritiker. "Er muss das Ruder herumreißen."

Finanzinvestoren wie der neue Großaktionär Cevian drücken aufs Tempo - sie wollen deutliche Kurssteigerungen sehen. Schon auf der Hauptversammlung am kommenden Freitag könnte es für Hiesinger daher ungewohnt ungemütlich werden. Die ThyssenKrupp-Aktie ist seit seinem Amtsantritt um 40 Prozent eingebrochen.

Viel Vorschusslorbeeren für Hiesinger

Weg vom Stahl, hin zum Technologiegeschäft - das Ziel des Konzernumbaus stand für den neuen Chef früh fest. Das Geschäft mit dem Werktstoff Stahl ist stark konjunkturanfällig und in Europa von Überkapazitäten geprägt. Die Technologiebereiche versprechen stabilere Einnahmen und höhere Renditen. Doch die Schwierigkeiten dieses Umbaus hat Hiesinger möglicherweise unterschätzt. Das Scheitern der Trennung vom verlustreichen Stahlwerk in Brasilien und die teilweise Rückabwicklung des Edelstahlverkaufs haben sein Image angekratzt. Weggefährten schließen nicht mehr aus, dass er daher langfristig auch vor großen Einschnitten, wie einem Verkauf des europäischen Stahlgeschäfts, nicht mehr zurückschreckt.

"Herr Hiesinger ist mit viel Vorschusslorbeeren ins Amt gekommen. Einige hatten gedacht, er sei der Mann, der ThyssenKrupp umbauen und wieder nach vorne bringen kann", sagt Union-Investment-Fondsmanager Jörg Schneider. "Aber so richtig hat er das noch nicht erreicht. Er hat die Erwartungen zu hoch gesteckt." Das sei bei den jüngsten Rückschlägen in Brasilien und beim Edelstahldeal offensichtlich geworden. "Hiesinger hat viel in Bewegung gesetzt, aber er hat es noch nicht geschafft, den Konzern umzubauen. Die ganz klare strategische Ausrichtung ist noch nicht zu erkennen." 

Zeitenwende bei ThyssenKrupp  

Das Traditionsunternehmen, das lange wie kaum ein anderes die alte Deutschland AG symbolisierte, steht heute vor einer Zeitenwende. Nach Milliardenverlusten und angesichts leerer Kassen musste der Konzern Hilfe am Finanzmarkt suchen. Bei der Kapitalerhöhung im Dezember hat die mächtige Krupp-Stiftung ihre Sperrminorität verloren. Mit dem Tod der Konzernlegende Berthold Beitz Ende Juli verlor das Unternehmen seinen Übervater. Er hatte Jahrzehnte lang über das Thyssen-Krupp-Schicksal gewacht. In die Stiftung war das Vermögen des 1967 verstorbenen Firmenpatriarchen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach übergegangen. Sie gilt als Bollwerk gegen eine feindliche Übernahme.

Nach dem erneuten Ausfall einer Dividende von ThyssenKrupp sind die finanziellen Mittel der Stiftung begrenzt. Schon jetzt ist ihr Anteil durch die Kapitalerhöhung auf rund 23 Prozent gefallen. Ihr Einfluss auf den Konzern könnte weiter schwinden, wenn - wie von einigen Analysten erwartet - ThyssenKrupp erneut den Kapitalmarkt anzapft. Auf der Hauptversammlung will sich der Vorstand das Recht einräumen lassen, das Grundkapital weiter zu erhöhen. "Wir planen allerdings ganz bestimmt nicht, jetzt jedes Jahr eine Kapitalerhöhung zu machen", sagt ein ranghoher Konzern-Manager.

Finanzinvestoren preschen vor

Bei ThyssenKrupp spielen Finanzinvestoren wie Cevian aus Schweden oder die US-Fonds Blackrock oder Franklin Mutual Advisers künftig eine größere Rolle. Vor allem Cevian mit jetzt knapp elf Prozent dürfte den Druck erhöhen. Der Investor schließt eine weitere Aufstockung seines Anteils nicht aus und wird wohl in den Aufsichtsrat drängen, um von dort aus mehr Einfluss zu nehmen. Bei einigen Aktionären trifft dies auf Zustimmung. Die Sonderrechte der Krupp-Stiftung, die ohne Wahl durch die Hauptversammlung drei Vertreter direkt in den Aufsichtsrat entsandt hat, war einigen Anleger schon lange ein Dorn im Auge.

"Das Entsenderecht der Stiftung ist überflüssig", kritisiert der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer. Im Aufsichtsrat habe es anders als im Vorstand noch keinen grundlegenden Neuanfang gegeben. "Es sind immer noch viele von der alten Garde da." Cevian habe Anspruch auf einen Sitz in dem Kontrollgremium.

Vor dem Aktionärstreffen am Freitag in Bochum nimmt auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre das Gremium aufs Korn. "Der Aufsichtsrat ist seiner Kontrollpflicht gegenüber dem Vorstand nicht gerecht geworden. Als Folge dessen kam es zu schweren Fehlentscheidungen, die sich negativ auf das Konzernergebnis ausgewirkt haben." Der Verband lehnt die Berufung des ehemaligen Deutsche Telekom -Chefs Rene Obermann ab und will den Posten lieber an Cevian vergeben.

Der Investor aus Schweden setzt darauf, dass der Wert von ThyssenKrupp steigen wird: "Der Investor ist der Auffassung, dass die aktuelle Bewertung des Unternehmens den fundamentalen Wert von ThyssenKrupp nicht widerspiegelt." Cevian hat sich hinter Hiesingers Bestrebungen gestellt, den Konzern stärker auf das Technologiegeschäft auszurichten.

Cevian in Deutschland nicht unbekannt  

"Hiesingers Strategie, ganz auf Technologie zu setzen, ist bei den Investoren extrem gut angekommen", sagt ein Banker, der ThyssenKrupp berät. So lange er das weitermache, werde er auch mit Cevian keine größeren Probleme bekommen. Wenn Hiesinger von der Strategie abweicht, stehe Cevian aber auf der Matte. "Hiesinger will gleichzeitig sanieren und strategisch umsteuern - das ist sehr ambitioniert, aber richtig."

Cevian gilt als "aktivistischer Investor", der gerne im operativen Geschäft mitmischt. "Wir suchen Unternehmen, die einen hohen Wert haben, aber die von der Börse vernachlässigt oder unterbewertet werden, weil sie gerade aus der Mode sind", lautet das Motto der Firmengründer Christer Gardell und Lars Förberg. Sie sorgten 2007 mit ihrem Einstieg beim weltgrößten Rückversicherer Münchener Rück für Furore. Die Investoren forderten umgehend operative und strategische Verbesserungen. Im Krisenjahr 2010 stieß Cevian das Aktienpaket allerdings wieder ab - das Engagement warf eine vergleichsweise magere Rendite ab.

Im gleichen Jahr rückten sie dem Düsseldorfer Kranbauer Demag Cranes auf die Pelle. Die Investoren machten den von der Finanzkrise angeschlagenen Konzern als Übernahmekandidaten aus und stiegen mit zehn Prozent ein. Nur ein Jahr danach kam es zur Übernahme durch den US-Baumaschinenkonzern Terex - und Cevian hatte seinen Einsatz verdoppelt. 2011 kauften sich Gardell und Förberg beim Bau-Dienstleister Bilfinger ein. Sie sind inzwischen mit mehr als 18 Prozent größter Anteilseigner des Konzerns.

Möglicherweise werde Cevian bei ThyssenKrupp größere Projekte anstoßen, wie etwa einen Börsengang der Aufzugsparte, sagt ein Banker. Diese sei mit sieben bis neun Milliarden Euro deutlich mehr wert als der Buchwert von drei Milliarden Euro. Hiesinger befeuert solche Spekulationen allerdings nicht. Er hat vielmehr betont, dass er die Aufzugssparte weiter voranbringen will. "Elevator stellt in unserer Strategie eine zentrale Säule dar", betont auch ein Top-Manager des Konzerns.

"So eine Art Heuschrecke"

Die Arbeitnehmerseite ist gegenüber dem neuen Großaktionär misstrauisch. "Für mich ist und bleibt Cevian so eine Art Heuschrecke", sagt Konzernbetriebsratschef und Aufsichtsratsmitglied Wilhelm Segerath. "Wir beobachten die mit Argusaugen", pflichtet ihm der Gesamtbetriebsratschef von ThyssenKrupp Steel Europe, Günter Back, bei. "Herr Hiesinger sagt, Cevian ist ein langfristiger Investor. Mag sein. Aber meine Mutter hat immer gesagt, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, und wenn die runter fällt, ist sie kaputt." Wenn es nach Cevian gehe, würde die Aufzugssparte verkauft werden. "Wir haben die Sorge, dass der Einfluss institutioneller Anleger zu groß wird."

Trotz aller Beteuerungen halten es Weggefährten Hiesingers aus dem Management von Siemens und ThyssenKrupp auch für möglich, dass er eines Tages die europäische Stahlsparte mit ihren 28.000 Beschäftigten abstoßen könnte. "Hiesinger ist ein sehr guter Mann. Der wird sich früher oder später vom Stahlgeschäft trennen, da bin ich mir sicher", sagt ein ranghoher Vertreter des Siemens-Konzerns, der Hiesinger gut kennt. "Es gibt keine heiligen Kühe für ihn. Er weiß auch, dass er mit dem vergleichsweise kleinen Stahlgeschäft von Thyssen gegen die Marktriesen dieser Welt kaum eine Chance hat."

Der ThyssenKrupp-Chef sei mit allen Wassern gewaschen, schilderte auch ein ehemaliger Manager des Konzerns. "Hiesinger wird sich notfalls auch vom Stahlgeschäft trennen, es gibt für ihn keine Heiligtümer." Der Konzern hat schon einmal versucht, das Stahlgeschäft loszuschlagen. Im Jahr 2000 machte das damalige Management bei einem geplanten Börsengang der Sparte in letzter Minute einen Rückzieher.   

Jobverluste drohen

ThyssenKrupp Steel Europe verdiente im Geschäftsjahr 2012/13 vor Zinsen und Steuern 143 Millionen Euro - ein Rückgang von 42 Prozent. Von ihren Glanzzeiten sind die Stahlkocher weit entfernt. In den Jahren 2006/07 und 2007/08 hatten sie jeweils einen Vorsteuergewinn von mehr als 1,5 Milliarden Euro erzielt - und damit zur Hälfte des Konzernergebnisses beigetragen. Die Stahlbranche hofft 2014 wieder auf bessere Zeiten.

Bei einem Verkauf befürchten die Gewerkschaften massive Job-Verluste. Sie vertrauen hier auf Hiesingers Wort, der sich wiederholt gegen eine Veräußerung ausgesprochen hat. "Ich erlebe ihn als verlässlich. Was er verspricht, hat er bisher auch gehalten", sagt der nordrhein-westfälische IG Metall-Chef Knut Giesler. Einen Ausverkauf einzelner Sparten erwartet er nicht. "Ich habe nicht den Eindruck, dass es unter der jetzigen Führung eine Zerschlagung des Konzerns geben wird."

Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung, die großen Einfluss auf den Konzern hat, rechnet nicht mit einem Verkauf. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sitzt im Kuratorium der Krupp-Stiftung, an deren Spitze nach dem Tod von Beitz die Rektorin der Technischen Universität Dortmund, Ursula Gather, gerückt ist. Er habe keine Anzeichen dafür, dass Hiesinger das Stahlgeschäft verkaufen wolle - und er habe sich umfassend umgehört, betont der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin. Der ThyssenKrupp-Chef komme bei der Landesregierung gut an, verlautet auch aus Regierungskreisen in Düsseldorf. Das Thema Arbeitsplätze in der Stahlsparte werde aber weiter mit Sorge gesehen.  

Schafft Hiesinger die Wende?

Verschoben hat Hiesinger die Schwerpunkte im Konzern bereits: "Hightech statt Hochofen" lautet die Devise. Das früher dominierende Stahlgeschäft macht nur noch 30 Prozent des Umsatzes aus. Die Aufzugssparte gilt als Perle im Unternehmen. Sie konnte zuletzt ihren operativen Gewinn um 15 Prozent auf 675 Millionen Euro erhöhen. ThyssenKrupp Elevator hat weltweit einen Marktanteil von etwa 13 Prozent. Sie setzt vor allem auf das Wachstum in China und Indien. In keinem Land der Welt werden mehr Fahrstühle und Rolltreppen neu installiert als in China.

Auch im Geschäft mit Autoteilen wie Kurbel- und Nockenwellen hofft das Unternehmen auf die Kunden im Reich der Mitte. Im Dezember eröffnete der Konzern ein Autozulieferwerk in Chengdu. Neben dem Geschäft mit Aufzügen und Autoteilen will ThyssenKrupp mit Industrieanlagen punkten. Die Palette reicht von Düngemittelfabriken über Produktionsstätten für die Autoindustrie bis zu Förderanlagen für die Bergbauindustrie. Die Sparte profitiert vom Boom zur Förderung unkonventioneller Gasvorkommen, durch die ganze Industriezweige in den USA eine Renaissance erleben. Das Marinegeschäft zog gerade einen milliardenschweren U-Boot-Auftrag aus Singapur an Land.

Doch erhebliche Risiken bleiben. Zwar rechnet ThyssenKrupp nach dem Verlust von 1,5 Milliarden Euro 2012/13 im laufenden Jahr mit einer "deutlichen Verbesserung in Richtung eines wieder ausgeglichenen Jahresergebnisses". Wann der Konzern wieder schwarze Zahlen schreiben und eine Dividende zahlen wird, ist offen.

Das vom finnischen Outokumpu-Konzern zurückkehrende Edelstahlwerk im italienischen Terni sei ein potenzieller Verlustbringer, erklären die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg. "Das bisher verlustträchtige Stahlwerk in Brasilien hat sich als unverkäuflich erwiesen und muss nun weiter optimiert werden." Zudem muss das Werk neue Abnehmer finden. "Es ist noch nicht klar, wie man Brasilien wieder flott kriegen will", sagt Anlegerschützer Hechtfischer.

Weitere Kartellstrafe droht

Wie ein Damoklesschwert hängen zudem die Ermittlungen des Kartellamts über dem Konzern. Beamte hatten 2013 die Geschäftsräume von ThyssenKrupp Steel, ArcelorMittal  und von Voestalpine durchsucht. Dabei ging es um den Verdacht, dass sie Preise bei Stahllieferungen an die Autoindustrie abgesprochen haben könnten. "Auf Grund der derzeitigen Erkenntnislage können signifikante nachteilige Auswirkungen für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage nicht ausgeschlossen werden", heißt es im ThyssenKrupp-Geschäftsbericht. Die Autobranche gehört zu den wichtigsten Kunden.

Eine weitere Kartellstrafe wäre ein großer Rückschlag für den Konzern, der sich gerade durch die Kapitalerhöhung Luft verschafft hat. ThyssenKrupp nahm 882 Millionen Euro ein. Die zuvor auf 7,1 Prozent abgerutschte Eigenkapitalquote stieg auf 9,4 Prozent.

Hiesinger muss immer wieder Altlasten aus früheren Zeiten beseitigen. Als er 2010 berufen wurde, hatte tausende Kilometer entfernt in Übersee das Desaster mit den neuen Stahlwerken in Brasilien und den USA bereits seinen Gang genommen. Doch die Dimension blieb noch verdeckt. Im Sommer des Jahres gingen die Anlagen in Betrieb.

"Wir waren uns immer sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben", jubelte der damalige Vorstandschef Ekkehard Schulz. Der Aufsichtsrat hatte im November 2004 die Pläne für das Werk in Brasilien auf den Weg gebracht. Nach einer Serie von Pleiten, Pech und Pannen explodierten die Kosten. Bis heute haben die Werke fast 13 Milliarden Euro verschlungen. Zuletzt standen sie noch mit 3,1 Milliarden Euro in den Büchern. Der Konzern hat zwar die Verluste verringert, schwarze Zahlen sind aber nicht absehbar.

Als vor gut drei Jahren die ersten Stahllieferungen aus Brasilien im Duisburger Hafen Walsum ankamen, war dies dem Konzern unter dem Motto "Meilenstein in der Wachstumsstrategie von ThyssenKrupp" noch eine Feier wert. Unter den Gästen bei der Einweihung der Anlage im Sommer war der damalige brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva. Die Redner schwärmten in Superlativen. Mehr als 30.000 Menschen seien auf der Baustelle beschäftigt gewesen, 3500 würden es auf Dauer sein. Fünf Millionen Tonnen Stahl sollte das Werk produzieren. Zwei Millionen sollten nach Duisburg gehen.

"Der große Wurf fehlt noch"

Heute freut sich mancher, wenn der Brasilien-Stahl bleibt, wo er ist. Die Arbeitnehmer hatten gehofft, dass Hiesinger beide Werke losschlägt. "Wir wollten immer, dass Steel Americas schnell verkauft wird", erklärte Stahlbetriebsratschef Back. Der Stahl werde in Duisburg deutlich günstiger hergestellt als in Brasilien. "Das, was wir für die Kunden in Europa brauchen, können wir selbst herstellen." Schon jetzt kämpfen die Stahlkocher im Ruhrgebiet mit einer schwächeren Nachfrage. Hiesinger will über 2000 Stellen streichen, die Betriebsräte haben Schlimmeres durch eine Verkürzung der Arbeitszeit verhindert. "Wir gehen nicht hier auf die 31-Stundenwoche runter, um Brasilien zu sanieren", macht Back deutlich.

Hiesinger hatte 2012 die Notbremse gezogen und angekündigt, Steel Americas abzustoßen. Der Plan ging aber nur teilweise auf. ThyssenKrupp konnte lediglich das - ohnehin attraktivere Walzwerk - im US-Bundestaat Alabama für gut eine Milliarde Euro an ArcelorMittal und Nippon Steel losschlagen.

"Man kann Hiesinger nur wünschen, dass er mehr tun kann als Probleme zu lösen, die er geerbt hat. Der große Wurf fehlt noch", sagte Anlegerschützer Hechtfischer. Bei den Stahlwerksverhandlungen habe er in einer Zwickmühle gesteckt. "Jeder Käufer von Steel Americas hatte alle Zeit der Welt. Jeder konnte pokern. Hiesinger hatte den Druck." Dass ThyssenKrupp das Werk in Brasilien auf Dauer behalten wird, gilt allerdings weiter als unwahrscheinlich. Auch das Edelstahlgeschäft mit den Töchtern VDM und vor allem Terni passt nicht in seine Strategie. "Wir wollen auf Dauer kein Edelstahlproduzent bleiben", sagt ein ThyssenKrupp-Manager.

Hiesinger jedenfalls bleibt auch drei Jahre nach dem Amtsantritt bei seiner Strategie der Besonnenheit. "Befreiungsschläge gibt es nicht." Er werde sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Wir lassen uns nicht treiben. Manchmal muss man kleine Schritte gehen." Er wirbt um Geduld: Ein Unternehmen, das über Jahre in die Krise geraten sei, benötige auch Jahre, um wieder herauszukommen. Ob die Investoren die Geduld aufbringen, bleibt spannend. Denn auch für Hiesinger läuft die Zeit. Schon bald stellt sich die Frage einer Vertragsverlängerung. Sein jetziger Kontrakt läuft bis Ende September kommenden Jahres.

Quelle: ntv.de, Tom Käckenhoff und Maria Sheahan, rts

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