Wirtschaft

Skandal um manipulierte Libor-Zinsen Staatsanwälte planen Festnahmen

Weil Banker offenbar über Jahre den wichtigen Libor-Zinssatz manipuliert haben, bereiten US-Staatsanwälte nun die Festnahme einer Reihe von Händlern vor. Auch die Finanzhäuser wollen die Aufsichtsbehörden belangen, doch die betroffenen Banken setzen darauf, mit der Verantwortung einzelner Mitarbeiter aus dem Schneider zu sein.

Im Libor-Skandal stehen die US-Staatsanwälte und europäischen Wettbewerbsbehörden Kreisen zufolge kurz vor den ersten Festnahmen von Händlern. Dies sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Demnach haben mehrere Staatsanwälte aus Washington erst kürzlich Kontakt mit den Rechtsvertretern der verdächtigen Personen aufgenommen und ihnen mitgeteilt, dass die Strafanträge und Festnahmen kurz bevorstehen könnten. Die ersten Festnahmen könnte es in den nächsten Wochen geben, hieß es.

Zeitgleich zu den Strafanträgen arbeiten die Wettbewerbsbehörden in der Affäre um Zinsmanipulationen daran, die Großbanken zu überführen und mit Strafen zu belegen. Ein aus Europa stammender Informant sagte Reuters, die Geldhäuser hofften darauf, dass die Regulierungsbehörden die Hauptschuld in dem Fehlverhalten einzelner Händler sähen. In Europa konzentrierten sie sich auf einen Ring aus Händlern verschiedener Banken, die offenbar an der Manipulation des Libor und anderer Zinse beteiligt waren. Es seien mehr als eine Handvoll betroffen.

Bafin rät zu Rückstellungen

Was ist der Libor?

Libor steht für London Interbank Offered Rate. Dieser so genannte Interbankenzins gibt an, zu welchen Konditiionen sich große Banken untereinander Geld leihen.

Es gibt nicht nur einen, sondern viele unterschiedliche Libor-Sätze. Sie werden in insgesamt zehn Währungen mit unterschiedlichen Laufzeiten zwischen einem Tag und einem Jahr berechnet. Beispiel: Der USD-3-Monats-Libor gibt an, zu welchem Zins sich Banken untereinander US-Dollar-Kredite mit einer Laufzeit von 3 Monaten gewähren.

An jedem Werktag wird er um 11 Uhr Londoner Zeit von den wichtigsteninternational tätigen Banken der British Bankers' Association (BBA) festgestellt. Die Institute melden dabei, zu welchen Konditionen sie sich bei anderen Banken Geld mit unterschiedlichen Laufzeiten leihen können. Der jeweils geringste und höchste Zinssatz wird als Ausreißer gestrichen, von den übrigen Angaben wird dann der Durchschnitt errechnet - fertig ist der Libor-Satz. Kontrolliert werden die Angaben der Banken nicht.

Der Libor ist weltweit Grundlage für die Bewertung von Finanzprodukten, Swaps, Krediten undHypotheken. Er ist Berechnungsbasis für Geschäfte im Volumen von rund 360 Billionen Dollar. Neben dem Libor gibt es auch den Euribor für Geldleihen der Banken aus dem Euro-Raum oder den Tokioter Tibor.

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin warnte unterdessen die an der Zinsmanipulation beteiligten Banken vor empfindlichen Geldforderungen. "Wir versuchen derzeit, gemeinsam mit der britischen und der US-Aufsicht herauszufinden, inwiefern deutsche Institute an dem Skandal beteiligt waren", sagte Bafin-Chefin Elke König dem "Spiegel". "Grundsätzlich müssen Banken für eventuelle Schäden angemessene Rückstellungen bilden."

In dem Skandal um die Manipulation des wichtigen Londoner Referenzzinssatzes Libor konzentrieren sich die Ermittlungen in der Bundesrepublik auf die Deutsche Bank. Sie ist seit der Auflösung der WestLB als einziges deutsches Institut an der Libor-Festsetzung beteiligt. Bei der Deutschen Bank läuft deswegen eine Sonderprüfung durch die BaFin - das ist das schärfste Schwert der deutschen Finanzaufseher. Über den Skandal stürzte die gesamte Führungsspitze der britischen Bank Barclays. Sie hat als bisher einziges Geldhaus ein Fehlverhalten von Händlern eingeräumt und muss eine halbe Mrd. Dollar Strafe zahlen. Weltweit wird bei mehr als einem Dutzend Großbanken ermittelt. Mehrere Banken wollen den Skandal Finanzkreisen zufolge mit einem gemeinsamen Vergleich mit den Behörden hinter sich bringen.

Libor abschaffen

Die Bafin-Chefin schloss sich den Forderungen anderer Bankaufseher an, Alternativen zur bisherigen Festsetzung des Libor einzuführen. "Man könnte mehr Geschäfte an die Entwicklung von anderen Papieren knüpfen, Staatsanleihen etwa", sagte König. "Jedenfalls sollte man als Grundlage für die Ermittlung des Libor reale Transaktionen verwenden - nicht irgendwelche Schätzwerte." Für solche Reformen haben sich unter anderem bereits die Notenbankchefs der USA, Großbritanniens und Kanadas ausgesprochen. Der kanadische Zentralbankchef Mark Carney brachte sogar eine Abschaffung des Libor ins Spiel und plädierte dafür, den Referenzzins stärker marktbasiert zu ermitteln.

"Der Libor-Zins lud zu Manipulation geradezu ein", sagte König. "Es gibt keine Kontrollen von außen. Noch dazu geben die Institute lediglich Schätzungen ab, was sie für den Tag erwarten", erklärte die Finanzaufseherin und fügte hinzu: "Aus heutiger Sicht macht mich das sprachlos." Seit vielen Jahren melden große internationale Banken einmal täglich dem britischen Bankenverband die Zinsen, zu denen sie sich von anderen Banken Geld leihen können. Auf dieser Basis ermittelt der Verband in der europäischen Finanzmetropole London den Referenzzins. Er dient als Grundlage für zahlreiche Geschäfte von Hypotheken über Kreditkarten bis hin zu Derivaten.

Die Deutsche Bank hat Finanzkreisen zufolge im Zusammenhang mit dem Libor im vergangenen Jahr nach internen Untersuchungen bereits zwei Händler beurlaubt. Für den neuen Vorstandschef Anshu Jain hat die Aufklärung des Skandals höchste Priorität, da dieser das Institut und die neue Führung in Bedrängnis bringen könnte, wie es in Finanzkreisen heißt. Das Institut sicherte sich in der Affäre um Zinsmanipulationen Insidern zufolge bereits bei der EU und in der Schweiz den Status eines Kronzeugen. Damit würde die Bank im Falle einer möglichen Strafe einen Nachlass bekommen. Die Vereinbarung mit den Ermittlern gehe jedoch nicht mit einem Schuldeingeständnis einher, hatte es im Umfeld der Bank geheißen.

Auch Euribor im Fokus

Parallel zu der Libor-Sonderprüfung bei der Deutschen Bank nimmt die Bafin Finanzkreisen zufolge auch die Mechanismen zur Festlegung des europäischen Referenzzinssatzes Euribor unter die Lupe. Zwar habe die Behörde keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass deutsche Banken versucht haben, den Euribor zu manipulieren. Sie kontrolliere jedoch, ob die Institute ausreichende Vorkehrungen getroffen hätten, um Betrügereien wie beim Libor zu verhindern. An der Festlegung des Euribor beteiligt sind neben der Deutschen Bank die Commerzbank, DZ Bank, LBBW, BayernLB, Helaba, NordLB und Landesbank Berlin. Die Europäische Zentralbank (EZB) dringt Notenbankkreisen zufolge beim Euribor ebenfalls auf Reformen. Auch hier gehe es um die Frage, wie der Zinssatz künftig ermittelt werden soll.

Quelle: ntv.de, nne/rts

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