Wirtschaft

Lahmer Reformeifer in Frankreich EZB-Chef attackiert Hollande

Trüber Ausblick: Frankreichs Wirtschaft ist nicht nur stark zentralisiert und auf die Region Paris ausgerichtet, sondern hinkt auch beim Reformeifer im europaweiten Vergleich deutlich hinterher.

Trüber Ausblick: Frankreichs Wirtschaft ist nicht nur stark zentralisiert und auf die Region Paris ausgerichtet, sondern hinkt auch beim Reformeifer im europaweiten Vergleich deutlich hinterher.

(Foto: dpa)

Frankreichs Staatspräsident Hollande muss sich warm anziehen: Auf europäischer Ebene schlägt ihm ein eiskalter Wind entgegen. Kaum verhüllt wirft ihm Europas obersterer Währungshüter wirtschaftspolitisches Versagen vor. Kritik übt Draghi auch an den Deutschen.

Bei den wirtschaftlichen Eckdaten macht sein Land derzeit keine gute Figur: Francois Hollande, hier mit seinem Wirtschaftsminister Pierre Moscovici (l., Archivbild).

Bei den wirtschaftlichen Eckdaten macht sein Land derzeit keine gute Figur: Francois Hollande, hier mit seinem Wirtschaftsminister Pierre Moscovici (l., Archivbild).

(Foto: REUTERS)

Es sind ungewöhnlich harte Worte, mit denen Mario Draghi der französischen Regierung ins Gewissen redet: Der EZB-Präsident hat die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs ausdrücklich als mangelhaft bezeichnet und die Verantwortlichen in Paris zu weiteren Reformen aufgerufen.

Frankreich sollte sich ein Beispiel an Deutschland nehmen, erklärte Draghi und bekräftige damit frühere Aussagen, die in französischen Ohren durchaus provokant klingen dürften. "Deutschland geht es besser, weil sich das Land mit mutigen Strukturreformen die Mittel für mehr Wettbewerbsfähigkeit verschafft hat", sagte der Italiener der französischen Zeitung "Le Journal du Dimanche". Draghi verwies dabei unter anderem auf die seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts eingeleiteten Arbeitsmarktreformen. Die Bundesrepublik sei ein "nachahmenswertes Vorbild" für die anderen EU-Mitgliedstaaten.

Deutschland darf sich "nicht ausruhen"

Die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs bezeichnete der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen als weiterhin unzureichend. Zudem brauche das Land finanzpolitische Stabilität, um ein investitionsfreundlicheres Klima zu schaffen. Auch Deutschland kam bei dem Rundumschlag des Notenbanker nicht ungeschoren davon: Draghi forderte die Bundesregierung dazu auf, verstärkt Investitionen in die Infrastruktur zu fördern. Die Bundesrepublik dürfe sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sagte der Italiener.

Mit Blick auf die Bemühungen in Frankreich sagte er, es seien zwar große Anstrengungen unternommen worden. Wichtig sei nun aber, den Weg der Reformen weiter zu verfolgen. "Die Wettbewerbsfähigkeit bleibt ungenügend und die öffentlichen Finanzen können nicht länger über Steuererhöhungen saniert werden", betonte der EZB-Chef. Frankreich müsse haushaltspolitische Stabilität zurückgewinnen, damit Unternehmen wieder anfangen könnten zu investieren.

Draghi setzt damit die französischen Staatsfinanzen in einen Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Perspektiven des Landes, das als zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone eine zentrale Rolle innerhalb der Währungsgemeinschaft spielt. Als oberster Währungshüter der Eurozone vertritt der gebürtige Italiener eine Geldpolitik, die über eine extreme Ausweitung des Liquiditätsangebots versucht, die Banken zu einer verstärkten Kreditvergabe anzuregen.

Bislang zeigen diese Lockerungsbemühungen noch keine sichtbaren Ergebnisse: Der im Euroraum maßgebliche EZB-Leitzins liegt seit Mitte November auf dem historisch niedrigen Niveau von 0,25 Prozent. Kreditinstitute, die nicht benötigte Mittel kurzfristig - zum Beispiel über Nacht - bei der Zentralbank lagern wollen, bekommen dort bereits seit Juli vorigen Jahres bereits keinerlei Zinsen mehr gutgeschrieben.

Bislang bleiben die erwünschten Effekte offenbar weitgehend aus. Zugleich mehren sich die Anzeichen, dass die extreme Liquiditätspolitik an andere Stelle - etwa bei den Immobilienpreisen oder einer wachsenden Neigung zu rein spekulationsgetriebenen Geschäften - schädliche Nebenwirkungen hervorruft.

"Ja, es könnte negative Zinsen geben"

Um der Wirkung des bisher angewandten Instrumentariums zum Durchbruch zu verhelfen, könnte die EZB beim Zinsssatz für kurzfristig geparkte Einlagen erstmals in ihrer Geschichte in den negativen Bereich vordringen. Das zumindest geht aus Äußerungen hervor, die hochrangige Notenbanker in den vergangenen Wochen wiederholt ins Spiel gebracht hatten. Negativ-Zinsen sind allerdings hoch umstritten. Innerhalb der Bankenbranche ist in diesem Zusammenhang sogar von "Strafzinsen" die Rede.

Kurz vor dem Wochenende meldete sich Währungshüter mit beruhigenden Signalen zu Wort: Die EZB steht nach Darstellung ihres Ratsmitglieds Bostjan Jazbec nicht unmittelbar vor unorthodoxen Schritten zur Ankurbelung der lahmen Konjunktur. Negative Einlagenzinsen bei der Europäischen Zentralbank seien als Konzept nur "sehr schwierig zu verstehen", sagte der Chef der slowenischen Notenbank. "Ja, es könnte negative Zinsen geben, aber ich denke, dass wir noch immer sehr weit von irgendwelchen extremen Maßnahmen entfernt sind."

Die wirtschaftliche Lage Frankreichs stellt sich - ganz anders als in Deutschland - unverändert düster dar. Trotz einiger Reformen von Präsident Francois Hollande verharrt die Arbeitslosigkeit in der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas bei 11 Prozent. Innerhalb der Eurozone lag der Durchschnitt zuletzt bei 12,1 Prozent. Frankreich ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der deutschen Exportunternehmen. Damit sind die konjunkturellen Perspektiven Deutschlands eng mit dem ökonomischen Wohlergehen der Franzosen verknüpft.

Den zuletzt verfügbaren Daten zufolge driften die beiden größten Wirtschaftsmächte Europas weiter auseinander: Die französische Wirtschaftsleistung verringerte sich im dritten Quartal um 0,1 Prozent, während das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in diesem Zeitraum um 0,3 Prozent zulegte.

"Der Euroraum fragmentiert sich"

Auf ein ganz anderes Problem wies zuletzt EZB-Direktor Benoit Coeure hin. Der französische Top-Ökonom zeigte sich über "Tendenzen zur Renationalisierung" innerhalb der Eurozone besorgt. "Die Finanzierung der Wirtschaft hat sich in nationale Grenzen in einer Art und Weise zurückgezogen, die in einigen Bereichen eventuell nicht mehr zurückgedreht werden kann", sagte Coeure bei einer Veranstaltung des französischen Finanzministeriums. "Das ist eine der wichtigsten Fragen, die wir beantworten müssen: Können wir es umkehren oder nicht?"

Der Franzose spielte damit auf eine Entwicklung an, die den Währungshütern offenbar wachsende Sorgen bereitet. In Krisenjahren neigen Anleger, Investoren und Banken dazu, ihr im Ausland angelegtes Geld aus anderen Euro-Staaten zurück in die Heimat zu holen. Ähnliche Effekte bereiten den Schwellenländern auch im Abfluss von Dollar-Mittel große Schwierigkeiten. Der für die Währungsgemeinschaft fundamental bedeutsame freie Fluss im Kapitalverkehr könne dadurch ins Stocken geraten, hieß es. Der Euroraum fragmentiere sich. Dieses Risiko, so Coeure, bestehe weiter.

Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts

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