Wirtschaft

Parlamentswahl in Griechenland Scherbengericht für die Euro-Retter

Die Parlamentswahl wird zur Volksabstimmung über den Sparkurs: Die Euro-Zone zittert vor einem Austritt Griechenlands.

Die Parlamentswahl wird zur Volksabstimmung über den Sparkurs: Die Euro-Zone zittert vor einem Austritt Griechenlands.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach der Spanien-Hilfe zittert Europa vor dem Hellas-Horror: Bei der Parlamentswahl am Sonntag stimmen die Griechen über den Sparkurs ab. Stellt sich die künftige Regierung quer, wollen EU und IWF den Geldhahn zudrehen. Dann drohen Griechenland Euro-Aus und Staatspleite. Drei Szenarien gibt es - mit potenziell katastrophalen Folgen.

Wenn die Zahl der öffentlichen Äußerungen von Politikern zu einem Thema ein Maß für ihre Nervosität ist, dann liegen bei den Euro-Rettern die Nerven blank. Der neue französische Finanzminister Pierre Moscovici ist da keine Ausnahme: Auch er schließt einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht mehr aus. Sollte Athen nach der Parlamentswahl am 17. Juni seine Sparpolitik nicht fortsetzen, werde sich die Frage "zweifellos stellen", sagte Moscovici. "Aber wir wünschen uns sehr, dass Griechenland in der Eurozone bleibt".

Darüber entscheiden die Griechen selbst. Sie stimmen am kommenden Sonntag zunächst über die Zusammensetzung einer neuen Regierung ab. Doch die Schicksalswahl ist für Griechenland auch eine Volksabstimmung darüber, ob das Land in der Eurozone bleibt. Denn das Land steckt in einem Dilemma: 80 Prozent der Griechen wollen den Euro behalten, die Hälfte lehnt aber den strikten Sparkurs ab, den die internationalen Geldgeber Athen im Gegenzug für das 130 Mrd. Euro schwere zweite Rettungspaket auferlegt haben. Die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) hat unmissverständlich klargemacht, dass sie Griechenland den Geldhahn zudrehen will, falls die neue Regierung den beschlossenen Sparkurs aufkündigt - auch wenn dies verheerende Folgen für den Euro haben kann.

Die Griechen sind Kummer mit ihren Geldgebern gewohnt: Beim Schuldenschnitt zwangen sie erst ihre privaten Gläubiger, auf rund die Hälfte ihrer Forderungen zu verzichten. Diesmal legen sie sich mit ihren staatlichen Geldgebern aus dem Rest der Eurozone an. Ob die Sparkurs-Gegner oder die Euro-Retter den Zweikampf gewinnen oder es zum Griechen-Gau kommt, hängt davon ab, ob eine von beiden Seiten in dem Pokerspiel nachgibt. Die kommende Parlamentswahl in Griechenland gleicht einer Notoperation am offenen Herzen der Währungsunion, bei der die Finanzmärkte live zuschauen.

Szenario 1: Die Sparkurs-Parteien gewinnen

Am liebsten wäre es den Euro-Rettern in Berlin, Paris und Brüssel, wenn es gar nicht zum Showdown mit Athen käme. Dafür müssten entweder die konservative Nea Dimokratia (ND) oder die sozialistische Pasok die Abstimmung gewinnen - sie tragen die harten Budgeteinschnitte mit. Ob es dazu kommt, ist offen: Zwei Wochen vor der Richtungswahl liefern sich ND und das Linksbündnis Syriza, das den Sparkurs strikt ablehnt, ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat den Griechen ins Gewissen geredet und klargestellt, dass es keine weiteren Hilfen ohne Gegenleistungen geben wird. Zudem drohen er und seine Kollegen in den Hinterzimmern der europäischen Politik Griechenland offenbar längst mit dem Rauswurf aus der Eurozone: Die Neuwahl am 17. Juni sei Griechenlands "letzte Chance", hat Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker laut "Spiegel" gesagt. Sollte es keine Regierung geben, die die Sparauflagen erfülle, "dann ist es aus". Die Drohung richtet sich vor allem an die Syriza, die den Wählern die Quadratur des Kreises verspricht: den Euro behalten, aber ohne die schmerzhaften Reformen, die die Troika verlangt. Wie genau das gehen soll, darüber hüllt sich die Koalition der radikalen Linken in Schweigen. Schäuble warf ihr dafür Wählertäuschung vor: "Wer den Griechen einredet, sie bräuchten sich an das vereinbarte Sparprogramm nicht zu halten, der belügt das griechische Volk."

Ob dieses Säbelrasseln von Erfolg gekrönt ist, steht in den Sternen. Denn um der ND oder der Pasok zum Sieg zu verhelfen, müssten die Griechen ausgerechnet die abgewirtschafteten Parteien wählen, die das Land mit ihrer Vetternwirtschaft und Korruption erst in den Bankrott getrieben haben. Bestenfalls geht das Gezerre nach der Wahl weiter wie gehabt: Griechenland verspricht Reformen und hangelt sich von einer Hilfszahlung zur nächsten. Solange die Wirtschaft weiter schrumpft, steuert das Land auf weitere Rettungspakete oder einen zweiten Schuldenschnitt zu. Und selbst wenn die altgedienten Eliten den Sieg davontragen sollten, droht neuer Ärger: Die ND will den Sparkurs zwar grundsätzlich fortsetzen, im Falle eines Wahlsieges aber von der Troika zumindest niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten für die geplanten Kredite fordern.

Szenario 2: Poker zwischen Sparkurs-Gegnern und Euro-Rettern

Syriza-Chef Alexis Tsipras will den Sparkurs beenden, aber im Euro-Raum bleiben, Griechenlands Geldgeber drohen deshalb mit einem Ende der Hilfszahlungen.

Syriza-Chef Alexis Tsipras will den Sparkurs beenden, aber im Euro-Raum bleiben, Griechenlands Geldgeber drohen deshalb mit einem Ende der Hilfszahlungen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Syriza hat noch radikalere Vorstellungen: Sie will den Sparkurs beenden, Privatisierungen einfrieren und die Kreditverträge mit der EU kündigen. Falls die EU sich auf neue Verhandlungen nicht einlässt, will das Linksbündnis den Schuldendienst einfach einstellen - es wäre die Staatspleite mit Ansage. Falls Syriza die Wahl gewinnt, läge der Ball also bei der EU. Sie müsste entscheiden, ob sie ihre Drohung wahr macht und Athen den Geldhahn zudreht.

Die Hardliner in Athen versuchen Brüssel mit martialischer Rhetorik zu erpressen: Griechenland und die Troika befänden sich im Kalten Krieg, sagte Syriza-Chef Alexis Tsipras. Beide Seiten halten Atomwaffen in den Händen. "Unsere Kreditgeber besitzen als Atomwaffe die Einstellung ihrer Zahlungen. Wir dagegen drohen damit, die Begleichung unserer Staatsschulden zu stoppen." Allen sei aber bewusst: "Drückt einer auf den roten Knopf, dann gibt es keine Sieger. Nur Verlierer."

Tsipras spekuliert mit einigem Recht darauf, dass die EU nachgibt, weil die Folgen einer griechischen Pleite für die Geldgeber noch verheerender wären, als für Griechenland selbst. "Wer den Griechen den Stecker zieht, provoziert den totalen Zusammenbruch der Eurozone", warnt etwa Krisen-Ökonom Nouriel Roubini. In der Tat kämen eine griechische Staatspleite und ein Euro-Aus für Athen im Juni für die Eurozone zur Unzeit: Der dauerhafte europäische Rettungsschirm ESM ist noch nicht einsatzbereit. Er soll erst Anfang Juli seine Arbeit aufnehmen.

In Deutschland müssen SPD und Grüne dem ESM noch zustimmen. Sie fordern für ihr Ja zum Rettungsschirm und zum Fiskalpakt allerdings eine stärkere Besteuerung der Finanzmärkte. Weil Regierung und Opposition in Berlin über die Ratifizierung streiten, könnte sich der geplante Start des ESM verzögern. Schlimmstenfalls steht also nach der Wahl in Athen am 17. Juni die Brandmauer, mit der Europa ein Übergreifen der Griechen-Krise auf den Rest der Euro-Zone verhindern will, nicht bereit. Europas Finanzminister könnten gezwungen sein, zähneknirschend ihr Wort zu brechen und Griechenland weiter zu finanzieren, auch wenn es den Sparkurs aufkündigt. Zwar wäre das kaum einem Wähler noch zu vermitteln: Ein Land reitet sich in den Bankrott, weigert sich einfach, seine Schulden zu begleichen und wird dafür auch noch mit Milliardenhilfen belohnt - ausgeschlossen ist es aber nicht. Denn welche Folgen der Austritt Griechenlands aus der Eurozone hätte, weiß niemand genau.

Möglich ist aber auch, dass die Sparkurs-Gegner die Wahl zwar gewinnen, ihre Drohungen gegenüber der EU aber aus Angst vor den Folgen für ihr eigenes Land nicht wahrmachen. Es wäre nicht das erste Mal: Finanzminister Evangelos Venizelos hatte den internationalen Gläubigern erst gedroht, sein Angebot für einen Schuldentausch unter keinen Umständen nachzubessern. Doch am Ende zahlte er die Besitzer griechischer Staatsanleihen, die sich dem Schuldenschnitt bis zuletzt verweigerten, doch in voller Höhe aus.

Syriza-Chef Tsipras ist freilich ein anderer Typus Politiker als die bisherigen griechischen Regierungschefs: ein Demagoge, der mit Griechenlands korrupter Elite nichts zu tun haben will. Außer einer bescheidenen Eigentumswohnung und einem Motorrad hätte er bei einem Staatspleite nicht viel zu verlieren, ähnlich wie seine Wähler, über die er sagt: "Ein Durchnässter hat keine Angst vorm Regen."

Die EU geht dagegen geschwächt in den möglichen Konflikt mit den Spar-Rebellen in Athen. Denn bei der Spanien-Rettung hat sie bereits eine Extrawurst gebraten: Madrid bekommt bis zu 100 Mrd. Euro vom Rettungsschirm für seinen maroden Bankensektor, soll dafür aber vergleichsweise geringe Reformauflagen erfüllen. Die Griechen fordern nun die gleichen Bedingungen für sich. Der von den Spaniern ausgehandelte Deal beweise, dass der verordnete Sparkurs erfolglos sei, sagte ein Syriza-Sprecher. ND-Chef Antonis Samaras erklärte, das Vorgehen der Regierung in Madrid zeige, dass Griechenland mehr habe von Verhandlungen als einem Bruch mit den Geldgebern. Um den Konflikt zu entschärfen könnte die Troika Zugeständnisse machen, die die Reformgegner ihren Wählern als Ende des Sparkurs verkaufen können, falls sie dafür ihre Fundamentalopposition einstellen.

Szenario 3: Griechen-Gau bringt den Euro ins Wanken

Doch auch die Griechen haben in dem Poker viel zu verlieren. Denn niemand kann Griechenland zum Austritt aus der Eurozone zwingen. Bei einer Staatspleite würde aber wohl kaum eine andere Möglichkeit bleiben. Griechenland müsste praktisch über Nacht seine Grenzen schließen, um zu verhindern, dass die Griechen ihr letztes Geld ins Ausland schaffen - falls sie es nicht schon vorher getan haben. Griechenlands Banken wären sofort bankrott, falls die Regierung den Schuldendienst einstellt, weil sie ihre griechischen Staatsanleihen nicht länger als Sicherheiten für Kredite bei der EZB hinterlegen könnten.

Die Griechen würden daraufhin die Banken stürmen, um ihre Ersparnisse zu retten. Der Regierung bliebe kaum eine andere Wahl als die Wiedereinführung der Drachme, um den totalen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Explodierende Inflationsraten, sinkende Löhne und Renten und eine weitere Verarmung der Gesellschaft wären die Folge. Die griechische Notenbank rechnet durch die Wiedereinführung der Drachme mit einem Sturz des Lebensstandards der Griechen um 55 Prozent. Die Arbeitslosigkeit könnte von 22 auf 34 Prozent klettern.

Auch für den Rest Europas wäre der Griechen-Gau verheerend. Niemand weiß genau, was ein Austritt Griechenlands kosten würde, weil dabei viele Faktoren im Spiel sind: Für die Regierungen der Eurozone wäre ein Großteil ihrer bereits an Athen überwiesenen Hilfskredite verloren. Die EZB, die seit Mai 2010 Staatsanleihen der Schuldenländer kauft, müsste ihre Griechenland-Papiere abschreiben. Für die Verluste müssten die Euro-Staaten gemäß ihrem jeweiligen Kapitalanteil an der Zentralbank haften. Zudem hat die griechische Notenbank im Rahmen des europäischen Zahlungsverkehrs Auslandsschulden in Milliardenhöhe.

Wie viel von diesem Geld verloren wäre, hängt davon ab, ob Athen überhaupt nichts zurückzahlt oder - wie schon mit seinen privaten Gläubigern - auch mit seinen staatlichen Geldgebern einen Schuldenschnitt aushandelt. Auf Deutschland kommen nach Berechnungen von ifo-Institut und Deutscher Bank bis zu 80 Mrd. Euro Verluste zu. Die Deka-Bank rechnet mit mindestens 86 Mrd. Euro. Der "Spiegel" geht von 66 Mrd. Euro, die "Wirtschaftswoche" von 77 Mrd. Euro aus.

Viel gefährlicher ist allerdings die Ansteckungsgefahr für andere angeschlagene Schuldenstaaten, die von einem Euro-Austritt der Griechen ausgeht. Denn wenn ein Land die Währungsunion verlässt, warum sollten ihm nicht auch andere Länder folgen, deren Wirtschaft und Staatsschulden in eine ähnliche Schieflage geraten sind? Dass Spanien nach monatelangem Widerstand am Samstag plötzlich doch unter den Rettungsschirm flüchtete, hat auch mit der kommenden Wahl in Athen zu tun. Denn ein Euro-Aus für Griechenland würde wie ein Brandbeschleuniger das Feuer in Spanien anheizen, falls das Rettungspaket bis dahin nicht unter Dach und Fach ist. "Sie arbeiten an einem Brandwall, um für alles bereit zu sein, was in Griechenland passieren könnte", sagt Pasok-Chef Venizelos.

Nicht nur Spanien, auch Italien und andere Wackelkandidaten der Währungsunion würden bei einem Austritt Athens ins Visier der Finanzmärkte geraten. Ihr Schuldenberg würde weiter steigen und sie möglicherweise ebenfalls unter den Rettungsschirm zwingen. Doch der bisher existierende EFSF ist zu klein: Nach Abzug aller Hilfskredite bleiben noch 250 Mrd. Euro in dem Rettungstopf - genug für eine Geldspritze für Spaniens Bankensektor, aber zu wenig, um Schwergewichte wie Spanien oder Italien aufzufangen. Wann der dauerhafte Rettungsschirm ESM einsatzbereit ist, steht in den Sternen. Nicht nur Tsipras, auch die Brandschützer in Brüssel und Berlin spielen mit dem Feuer.

Quelle: ntv.de

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