Wirtschaft

Glaubwürdigkeit ein Scherbenhaufen Finanzmärkte quälen Italien

Einen Tag vor einer wichtigen Parlamentsabstimmung in Italien verliert das Land an den Finanzmärkten massiv an Vertrauen. Investoren trennen sich von italienischen Staatsanleihen, was die Renditen auf neue Rekordstände treibt. Daran ändern auch Berichte über den bevorstehenden Rücktritt von Premier Berlusconi wenig.

Eine Marien-Figur, die während einer Demonstration gegen Banken und Finanzsystem in Rom zerstört wurde.

Eine Marien-Figur, die während einer Demonstration gegen Banken und Finanzsystem in Rom zerstört wurde.

(Foto: REUTERS)

Italien gerät immer tiefer in den Strudel der europäischen Schuldenkrise. Für das Land wird es noch teurer, sich zu refinanzieren. Die Rendite für zehnjährige Papiere stieg auf 6,59 Prozent – und damit auf den höchsten Stand seit 1997. Gerüchte um den angeblich kurz bevorstehenden Rücktritt von Ministerpräsident Silvio Berlusconi ließen die Rendite nur leicht absinken.

Zum Vergleich: Die Bundesrepublik kann sich derzeit für 1,8 Prozent verschulden. Die Risikoaufschläge zu deutschen Staatsanleihen sind damit so hoch wie noch nie seit Einführung des Euro. Damit hat die Rendite für italienische Anleihen ein Niveau erreicht, das bereits Griechenland, Irland und Portugal das Genick gebrochen hat - und das trotz der Käufe italienischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), die auch zum Wochenauftakt wieder aktiv sein soll.

Die Märkte testeten die Feuerkraft und den Willen der EZB, die von Italien zu zahlenden Zinsen unter Kontrolle zu halten, sagt Jim Reid, Kreditstratege bei der Deutschen Bank. Auch die Versicherungen gegen den Ausfall italienischer Papiere ziehen an, markieren allerdings noch keine neuen Allzeithochs.

Zinsen in dieser Größenordnung seien "nicht langfristig leistbar", betonte Analyst Giuseppe Maraffino von Barclay Capital. 

Die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat zwar Reformen im Rentensystem und auf dem Arbeitsmarkt sowie Privatisierungen zugesagt, um den Schuldenstand bis 2014 auf 113 von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Allerdings ist die Regierung über die Reformen zerstritten. Die Ratingagenturen hatten die Kreditwürdigkeit Italiens zuletzt herabgestuft. Die EZB kauft immer wieder italienische Anleihen am Markt, um einen weiteren Zinsanstieg zu verhindern.

Italien mache große Sorgen, sagte Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Wenn Italien fällt, ist es sehr schwierig, Frankreich zu retten", ergänzte er. Gehe Italien verloren, sei es sehr schwer den Euro so zu erhalten, wie wir ihn kennen.

Berlusconi kämpft um die Macht

Silvio Berlusconi.

Silvio Berlusconi.

(Foto: REUTERS)

Die entscheidende Frage sei, ob sich Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Amt halten könne oder nicht, hieß es im Devisenhandel. Nach Auskunft zweier ihm nahestehender Journalisten steht er unmittelbar vor dem Rücktritt. "Es ist eine Frage von Stunden, einige sagen sogar: von Minuten", sagte der frühere Minister Giuliano Ferrara, der nun Herausgeber der Zeitung "Foglio" ist und als sehr enger Vertrauter Berlusconis gilt. Ähnlich äußerte sich Franco Bechis, Vize-Direktor der Berlusconi-freundlich eingestellten Zeitung "Libero". Der Ministerpräsident werde noch in der Nacht oder am Dienstagmorgen zurücktreten.           

Im Parlament steht am Dienstag die nachträgliche Abstimmung über den Haushalt 2010 auf dem Programm. Offenbar ist die Zahl der Abweichler im Regierungslager so hoch, dass Berlusconi die Abstimmung verlieren und dadurch stürzen kann. 

"Vor der Abstimmung gibt es zwar eine ganze Reihe offener Fragen, allerdings ist die Verschuldungssituation Italiens tatsächlich gar nicht so schlecht", sagt Christian Weber, Kreditanalyst beim UniCredit. Anders als Frankreich habe das Land etwa kein Primärdefizit. Der Staat nimmt also – den Schuldendienst herausgerechnet – mehr ein als er ausgibt. Noch dazu habe Italien seine Budgetpolitik freiwillig unter die Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) gestellt, so der Analyst.

Doch an den Finanzmärkten wächst der Druck. "Das Volk, die Umfragen und die Märkte sagen Berlusconi, er solle das Land über seine eigenen Interessen stellen und zurücktreten ", twitterte Star-Ökonom Nouriel Roubini. Doch der Ministerpräsident scheine das nicht zu kapieren. 

Auf dem Weg in die Rezession?

Sorge bereiten vor allem die Wachstumsperspektiven des Landes. Da passt es ins Bild, dass die Societe Generale gerade ihre Prognosen für die Entwicklung des italienischen Bruttoinlandsprodukts gesenkt hat. Die Staatsschuldenkrise im Euroraum beeinträchtige die Realwirtschaft stärker als zunächst angenommen, heißt es von den Volkswirten der französischen Bank. Eine Rezession sei unvermeidlich. Für Italien rechnen die Ökonomen jetzt mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent. Dies wäre die schlechteste Entwicklung unter den großen Volkswirtschaften des Gemeinsamen Währungsgebiets, für Deutschland wird ein BIP-Plus von 0,9 Prozent erwartet.

Italien steckt in der Zwickmühle: Es braucht dringend Wachstum. Doch das wirtschaftliche Umfeld macht das fast unmöglich: Die weltweite Konjunktur schwächt sich ab, viele Ökonomen erwarten eine globale Rezession. Zugleich bremsen Sparmaßnahmen die ohnehin schwächelnde heimische Wirtschaft. "Italien und der Rest der Euozone müssen schnell wieder zu Wachstum zurückkehren", so Roubini. Andernfalls würden die "notwendigen Sparmaßnahmen und Reformen die Rezession verschlimmern." Voraussetzung für Wachstum seien aber drei Dinge: Eine aggressive Lockerung der Geldpolitik durch die EZB, ein deutlich schwächerer Eurokurs und Konjunkturprogramme im Kern der Eurozone. 

Unterdessen warnte EZB-Direktoriumsmitglied Jose Manuel Gonzalez-Paramo das hoch verschuldete Land, sich nicht zu sehr auf Schützenhilfe von der Europäischen Zentralbank zu verlassen. Die EZB hat das Land in der Vergangenheit durch Käufe italienischer Staatsanleihen vor zu hohen Renditeaufschlägen bewahrt. "Die Bank hat gehandelt, als es nötig war", betonte Gonzalez-Paramo der spanischen Zeitung "El Pais". "Die italienischen Probleme sind aber zunächst Sache der Italiener, und nur sie werden sie lösen."

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/DJ

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