Wirtschaft

Manipulation bei Libor-Zinsen Fed warnte Briten schon 2008

Nicht immer einer Meinung: Englands oberster Notenbanker Mervyn King und der heutige US-Finanzminister Timothy Geithner (bei einem G20-Gipfel 2011).

Nicht immer einer Meinung: Englands oberster Notenbanker Mervyn King und der heutige US-Finanzminister Timothy Geithner (bei einem G20-Gipfel 2011).

(Foto: REUTERS)

Der Skandal um manipulierte Zinssätze zieht immer größere Kreise: Kein geringerer als der heutige US-Finanzminister Geithner warnte bereits vor vier Jahren die Bank of England vor geschönten Zinsen. Damit geraten die britischen Währungshüter zunehmend in Erklärungsnot, denn bisher haben sie Andeutungen von Verstrickungen stets von sich gewiesen.

Neue Enthüllungen im Libor-Skandal: Die britischen Notenbanker wurden schon im Jahr 2008 von ihren New Yorker Kollegen der Federal Reserve davor gewarnt, die Geldinstitute zu Falschauskünften über Interbank-Zinsen zu ermutigen. Das geht aus einer privaten Notiz hervor, die Timothy Geithner vor vier Jahren an die Bank of England schrieb.

Geithner, heute US-Finanzminister, fungierte damals als Präsident der New Yorker Notenbank. Die Finanzindustrie stand kurz vor einer der schlimmsten Phasen der Finanzkrise. Zur selben Zeit tauchten in den Gremien der US-Regulierungsbehörden laut Insidern erste Sorgen über mögliche Manipulationen des Interbanken-Zinssatzes und deren Konsequenzen auf.

Brisante Aktennotiz

Was ist der Libor?

Libor steht für London Interbank Offered Rate. Dieser so genannte Interbankenzins gibt an, zu welchen Konditiionen sich große Banken untereinander Geld leihen.

Es gibt nicht nur einen, sondern viele unterschiedliche Libor-Sätze. Sie werden in insgesamt zehn Währungen mit unterschiedlichen Laufzeiten zwischen einem Tag und einem Jahr berechnet. Beispiel: Der USD-3-Monats-Libor gibt an, zu welchem Zins sich Banken untereinander US-Dollar-Kredite mit einer Laufzeit von 3 Monaten gewähren.

An jedem Werktag wird er um 11 Uhr Londoner Zeit von den wichtigsteninternational tätigen Banken der British Bankers' Association (BBA) festgestellt. Die Institute melden dabei, zu welchen Konditionen sie sich bei anderen Banken Geld mit unterschiedlichen Laufzeiten leihen können. Der jeweils geringste und höchste Zinssatz wird als Ausreißer gestrichen, von den übrigen Angaben wird dann der Durchschnitt errechnet - fertig ist der Libor-Satz. Kontrolliert werden die Angaben der Banken nicht.

Der Libor ist weltweit Grundlage für die Bewertung von Finanzprodukten, Swaps, Krediten undHypotheken. Er ist Berechnungsbasis für Geschäfte im Volumen von rund 360 Billionen Dollar. Neben dem Libor gibt es auch den Euribor für Geldleihen der Banken aus dem Euro-Raum oder den Tokioter Tibor.

In dem Memo riet Geithner dem Chef der Bank of England, Mervyn King, "Anreize für falsche Berichte" für die Banken abzuschaffen. Die Nachricht wirft ein neues Licht auf den Skandal um die Manipulation des Libor-Zinssatzes.

Nachdem die britische Barclays-Bank von der englischen und US-amerikanischen Finanzaufsicht zu einer Geldstrafe von 450 Mio. US-Dollar verdonnert worden war, ergriff das traditionsreiche Geldhaus die Flucht nach vorne. Die Bank veröffentlichte Memos aus dem Jahr 2008. Die lassen den Schluss zu, dass die Notenbanker die Geldhäuser aufgefordert haben, nicht die tatsächlichen Refinanzierungskosten im Interbankenhandel an den Bankenverband zu melden, sondern niedrigere. Die Bank of England bestreitet die Vorwürfe. Verschiedene ehemalige Führungskräfte der Bank haben im Zuge des Skandals ihren Hut genommen.

In dem Memo empfahl Geithner der BBA auch, den Libor-Zins von zufällig ausgewählten Banken statt von immer den gleichen großen Geldhäusern abzufragen, um Manipulation zu verhindern. Ebenso verlangte er eine "glaubwürdigere Berichtsstruktur" bei der Erhebung der Kreditraten. Mehr US-Banken sollten in die Libor-Maßnahmen einbezogen werden, außerdem sollten die Banken die berichteten Zinsraten mit mehr Details zur Höhe der getätigten Transaktionen untermauern.

Eine Frage des Kredits

Falsche Angaben zu den Krediten zwischen den Geldinstituten hätten Vorteile sowohl für die privaten Banken als auch für die Notenbanken gehabt: Die privaten Banken hätten durch nach unten verfälschte Zahlen den Vorteil, kreditwürdiger zu wirken als sie es tatsächlich sind. Die Notenbanken wiederum könnten mit derartigen Manipulationen das Ziel verfolgt haben, das System zu stabilisieren.

Das Memo zeigt, dass die amerikanischen Notenbanker von den Schwächen im System wussten, die potenziell Einfluss auf die Zinsen für die verschiedensten Finanzprodukte weltweit hatten. Unklar ist aber, wie weit Geithner und Kollegen gingen, um das Problem auf die Agenda zu bringen. Aus Kreisen erfuhr das Wall Street Journal, dass King sich empfänglich für Geithners Argumente zeigte. Inwieweit er die Aufforderungen in die Tat umsetzte, ist aber unklar.

Druck aus Brüssel

Den Druck erhöht auch die EU: Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia drohte mit eingreifenden Maßnahmen in den Bankensektor, sollte sich der Manipulationsverdacht bestätigen. Die Untersuchungen konzentrierten sich auf ein mutmaßliches Kartell, das bei der Feststellung von Interbanken-Zinsen zusammengearbeitet habe, erklärte er. Sollte sich der Verdacht der Beeinflussung bestätigen, "werden wir die notwendigen Schritte unternehmen, um einen Kulturwechsel im Bankensektor anzutreiben", sagte Almunia. Die EU räume der Untersuchung eine hohe Priorität ein. Es gehe neben dem Libor auch um den Euribor und den Bankenzinssatz in Tokio.

Der Libor ist zwar der weltweit bedeutendere Satz, in Europa jedoch spielt der Euribor für einige Produkte eine wichtigere Rolle. Die EU-Kommission hatte vergangenes Jahr Untersuchungen gegen zahlreiche europäische Großbanken wegen mutmaßlicher Manipulationen des Euribor eingeleitet.

Der Euribor steht auch im Fokus von Untersuchungen der deutschen Finanzaufsicht BaFin, die Regulierungskreisen zufolge mehrere hiesige Banken unter die Lupe nimmt. Laut informierten Personen gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dass deutsche Banken versucht haben, den Euribor zu manipulieren. Die Prüfung beziehe sich auf die Organisationsstrukturen der Häuser.

Analysten der US-Großbank Morgan Stanley schätzen, dass auf die in den Skandal verwickelten Institute bis 2014 Zahlungen von 14 Mrd. Dollar zukommen könnten.

Quelle: ntv.de, nne/DJ/rts

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