Wirtschaft

Griechenland-Schuldenschnitt geglückt Europa zittert vor Kreditereignis

Durch den Schuldenschnitt könnten Kreditausfallversicherungen fällig werden - mit unklaren Folgen für das Finanzsystem.

Durch den Schuldenschnitt könnten Kreditausfallversicherungen fällig werden - mit unklaren Folgen für das Finanzsystem.

(Foto: dpa)

Trotz der hohen Zustimmung zum Schuldenschnitt in Griechenland bleibt eine Unsicherheit: Athen will seine unwilligen Gläubiger zum Schuldentausch zwingen. Damit könnten Kreditausfallversicherungen in Milliardenhöhe ausgelöst werden – mit unklaren Folgen für das Finanzsystem. Doch ob es dazu kommt, liegt bei den Banken selbst.

Mit dem erfolgreichen Schuldenschnitt hat Griechenland einen Durchbruch erzielt: Die Gläubiger von 85,8 Prozent der nach griechischem Recht begebenen Anleihen haben zugestimmt, ihre Forderungen in neue Papiere mit geringeren Zinsen und längerer Laufzeit einzutauschen. Griechenland wird damit auf einen Schlag über die Hälfte seiner Schulden bei Banken, Versicherungen und Finanzinstituten los. Damit sei der Weg zur "historisch größten Umschuldung eines Staates geöffnet", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Doch auch in einer anderen Hinsicht könnte der Tag des Schuldenschnitts ein historisches Ereignis werden, denn eigentlich sollte der Schuldentausch rein freiwillig ablaufen. Erstmals will ein Land in der Eurozone seine Gläubiger nun zwingen, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten - die griechische Regierung will mit Zwangsklauseln dafür sorgen, dass auch ihre unwilligen Gläubiger Ansprüche aufgeben. Erstmals könnten dadurch sogenannte Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) ausgelöst werden, mit dem sich viele Banken und Finanzinstitute gegen einen Zahlungsausfall Griechenlands abgesichert haben - mit unabsehbaren Folgen für das Finanzsystem.

Noch am Nachmittag wird deshalb eine Organisation aktiv werden, die der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sein dürfte: die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) in London. In der ISDA haben sich all die Banken und Finanzinstitute zusammengeschlossen, die regelmäßig Kreditausfallversicherungen und andere außerbörsliche Derivate handeln. Die ISDA muss nun entscheiden, ob der Schuldenschnitt in Griechenland als ein "Kreditereignis", also als Zahlungsausfall ("Default"), zu werten ist, mit dem die Ausfallversicherungen fällig werden.

Unklare Folgen für das Finanzsystem

Die ISDA hat bei ihrer Entscheidung keine leichte Aufgabe: Die Folgen eines solchen griechischen Zahlungsausfalls für das Finanzsystem sind ungewiss, denn einen wirklichen Präzedenzfall gibt es nicht. Klar ist nur: Wenn Griechenland seine unwilligen Gläubiger nach dem Schuldenschnitt zum Umtausch ihrer Forderungen zwingt, erklärt das Land damit zumindest für einen Teil seiner Anleihen faktisch den Bankrott. Die meisten Beobachter erwarten deshalb überwiegend, dass die ISDA ein Kreditereignis feststellen wird, mit dem die Kreditversicherungen fällig werden: "Ich gehe davon aus, dass ein offizieller Kreditausfall festgestellt wird und Kreditausfallversicherungen für diese griechischen Anleihen fällig würden", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken, Uwe Fröhlich.

Das Problem: Dadurch könnten selbst einige Finanzinstitute in Schwierigkeiten geraten, die sich für den Fall einer Griechen-Pleite verpflichtet haben, für die Verluste anderer Banken geradezustehen. Welche Banken davon möglicherweise betroffen sind und wie viele der Versicherungen welches Institut hält, weiß niemand genau, weil die Derivate nur direkt zwischen den Banken und nicht über eine Börse gehandelt werden. Buch darüber führt die zentrale Registrierstelle Depository Trust and Clearing Corporation (DTTC).

Weil viele Banken sich aber sowohl gegen eine Pleite Griechenlands versichert haben als auch Versicherer für diesen Fall gespielt haben, beläuft sich die Schadenssumme, die insgesamt ausgezahlt werden müsste, laut DTCC auf nur 3 Mrd. Euro – gegenläufige Forderungen zwischen den Instituten heben sich auf. Wenn nicht ein Großteil dieses Betrages auf einen einzigen Zahlungspflichtigen entfällt, dürfte sich das Problem also in Grenzen halten. Weil die Regulierer bei vielen Stresstests Einblick in die Bücher der Institute hatten, sei es unwahrscheinlich, dass Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt würden, glaubt ein Analyst der italienischen Unicredit-Bank.

Lehman-Pleite in Zeitlupe

Allerdings gilt das nur, wenn alle Banken ihre Zahlungsverpflichtungen aus den Kreditversicherungen noch erfüllen können, wenn sie die Verluste aus dem Schuldenschnitt verkraften haben: Eine Versicherung ist nichts wert, wenn der Versicherer im Pleitefall nicht zahlen kann. Allerdings dürfte dieses Problem vor allem auf griechische Banken zukommen, die meisten deutschen Institute haben schon vor dem Schuldenschnitt ihre Griechen-Papiere mit hohen Verlusten abgeschrieben. Das sogenannte Gegenparteirisiko könnte dennoch für Unsicherheit am Markt sorgen, weil das Gesamtvolumen der vereinbarten Kreditversicherungen in die Mrd. geht und niemand genau weiß, welche Bank ihre Versicherungen dann noch auszahlen kann. Im schlimmsten Fall führt das zu einer Vertrauenskrise, in der sich die Banken untereinander kein Geld mehr leihen – das Finanzsystem friert ein.

Genau das ist nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 passiert: Hunderte Mrd. an CDS wurden fällig und führten in einem kolossalen Dominoeffekt zur Beinah-Pleite des großen US-Versicherers AIG - seitdem gelten CDS als "Brandbeschleuniger" der Finanzkrise. Bei den Plänen zur griechischen Umschuldung wurde daher bislang alles daran gesetzt, dass Kreditausfallversicherungen nicht fällig werden - deshalb sollte der Schuldenschnitt eigentlich freiwillig ablaufen. "Europa muss jetzt abwarten, wie die Märkte diesen faktischen Zahlungsausfall aufnehmen", sagt daher der Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Da das Volumen der ausstehenden Kreditausfallversicherungen auf Griechenland jedoch viel geringer ist als 2008 und alle Marktteilnehmer sich frühzeitig auf eine Griechen-Pleite einstellen konnten, ist mit heftigen Marktreaktionen diesmal wahrscheinlich jedoch nicht zu rechnen: Griechenlands Bankrott läuft durch die Euro-Rettungspakete eher in Zeitlupe ab und nicht im Zeitraffer wie die Lehman-Pleite. Zudem hat die Europäische Zentralbank diesmal seit Dezember vorsorglich über 1000 Mrd. Euro ins Bankensystem gepumpt.

Banken richten über sich selbst

Ob es zur Auszahlung der Kreditversicherungen und den unkalkulierbaren Folgen für das Finanzsystem kommt, liegt paradoxerweise bei den Banken selbst. Denn bevor CDS fällig werden, muss die ISDA untersuchen, ob ein Kreditereignis wirklich stattgefunden hat. Dazu kommt am Nachmittag einer von fünf ISDA-Regionalausschüssen zusammen, der untersucht, ob ein Zwangsumtausch der Griechen-Anleihen einen Zahlungsausfall im Sinne der ISDA-Derivatedefinitionen von 2003 ist – ein fast einhundertseitiges Regelwerk hochkomplexer technischer Bedingungen.

Doch die Entscheidung hängt nicht nur von den Regeln, sondern von den Interessen der Banken selbst ab. Denn im zuständigen Europa-Ausschuss der ISDA, der über die Folgen des Schuldenschnitts entscheidet, finden sich genau die Finanzinstitute, Versicherungen und Fonds, die sich selbst am Schuldentausch beteiligt und daher möglicherweise gegen eine Griechen-Pleite versichert haben: Bank of America, Barclays, BNP, Credit Suisse, Deutsche Bank, Goldman Sachs, JPMorgan, Morgan, Stanley, Societé Générale und UBS. Dabei sind aber auch Hedgefonds wie Blue Mountain Capital, Citadel und D.E. Shaw.

Jedes der Institute ist im Falle des griechischen Schuldenschnitts nun entweder Versicherer oder Versicherter und sitzt nun selbst über die Schadenssumme zu Gericht, die den Geldhäusern droht - oder die Entschädigung, die ihnen winkt. Je nachdem, wie sie zuvor auf die Zahlungsfähigkeit gewettet haben, dürften sie versucht sein, die Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Denn bei Kreditausfallversicherungen ist es wie bei Hausratversicherungen: Der Versicherte hat den Anreiz, den Schadensfall selbst auszulösen, um die Versicherungssumme zu kassieren, der Versicherer will genau das verhindern. Ob die Institute dabei an die Folgen für das Finanzsystem denken, weiß keiner.

Quelle: ntv.de

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