Wirtschaft

Erneut Proteste in Griechenland Europa ringt mit dem Rating

Syntagma-Platz am 6. Juni 2011: Das alte und das neue Griechenland treffen aufeinander.

Syntagma-Platz am 6. Juni 2011: Das alte und das neue Griechenland treffen aufeinander.

(Foto: dpa)

Der Troika-Bericht zur finanziellen Lage in Athen bringt keine Erleichterung: Die Schuldenkrise ist noch lange nicht vom Tisch. In der Debatte um das nächste Hilfspaket für Griechenland geht es um die vor allem von Deutschland geforderte Beteiligung privater Investoren - und damit auch um die griechischen Staatsanleihen in den Bilanzen europäischer Banken.

Zu tausenden protestieren die Menschen in Athen gegen die Sparpolitik der Regierung.

Zu tausenden protestieren die Menschen in Athen gegen die Sparpolitik der Regierung.

(Foto: AP)

Die Banken sollen sich nach den Worten von EU-Währungskommissar Olli Rehn freiwillig an der Unterstützung Griechenlands in der Schuldenkrise beteiligen. Eine Restrukturierung von Schulden sei nicht auf dem Tisch, sagte Rehn bei einer Anhörung im Europäischen Parlament in Straßburg. Doch die EU und die Euro-Länder arbeiteten laut Rehn mit der Europäischen Zentralbank (EZB) an einem Modell nach dem Vorbild der Wiener Initiative. Dabei gehe es vor allem um die griechischen Staatsanleihen in den Depots der Banken. In diesem Zusammenhang werde unter anderem eine Laufzeitenverlängerung der Anleihen untersucht. Banken müssten diese Titel damit womöglich länger halten als ursprünglich vorgesehen - was indirekt einem Wertverlust entspricht und Griechenland finanzielle Spielräume verschafft.

Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker ergänzte, die EZB arbeite an einer Formel zur Beteiligung der privaten Investoren, die die Ratingagenturen nicht dazu veranlassen würde, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands festzustellen. "Das sind sehr harte Verhandlungen, das kann ich Ihnen sagen", sagte Juncker. Doch in einigen Ländern gebe es Schwierigkeiten, Hilfen für Griechenland durchzusetzen ohne Einbeziehung privater Gläubiger.

Was ist ein Zahlungsausfall?

Insgesamt erweisen sich damit die möglichen und zu erwartenden mittlerweile als größtes Hindernis auf dem Weg zu einer Rettung Griechenlands aus dem Schuldensumpf. So könnte zum Beispiel ein Schuldentausch in Griechenland nach Einschätzung der Ratingagentur Fitch als Zahlungsausfall gewertet werden. Dies könne selbst dann der Fall sein, wenn der Schuldentausch auf freiwilliger Basis vollzogen werde und sich der Staat in einer finanziellen Notlage befinde, teilte Fitch mit. Zudem könne dies auch gelten, wenn die Bedingungen für die Gläubiger in den neuen Papieren schlechter wären als zuvor.

Zuletzt warnte die Ratingagentur Standard & Poor's in einem Bericht, dass Staatsanleihen mit dem Ausfall-Status "default" versehen werden würden, wenn private Gläubiger in Griechenland de facto zu einem freiwilligen Forderungsverzicht genötigt würden. Dies sei der Fall, wenn ihnen andernfalls noch höhere Forderungsausfälle drohten. In der Folge könnten etwa Kreditausfall-Versicherungen fällig werden. Griechenland hängt seit einem Jahr am Tropf des IWF und seiner Euro-Partner, weil es sich wegen zu hoher Zinsen am Kapitalmarkt kein Geld besorgen kann. Zwischen Kreditzins und Bewertung durch die Ratingagenturen besteht ein direkter Zusammenhang: Je schlechter die Note, desto höher die Kreditkosten.

Wo liegt die Masse der Hellas-Bonds?

Eine Beteiligung der Banken an einem zweiten Rettungspaket für Griechenland hängt dabei allem Anschein nach vor allem von deutschen und französischen Instituten ab. Sie alleine hielten zum Jahreswechsel mit insgesamt rund 26 Mrd. Euro mehr als zwei Drittel der griechischen Staatsanleihen, die im Besitz ausländischer Gläubiger sind. Nach Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) verringerten die deutschen Banken ihr Engagement im vierten Quartal 2010 auf rund 15,5 Mrd. Euro. Das der französischen Konkurrenz lag bei gut 10 Mrd. Euro. Das sind zusammen 70 Prozent der Staatsanleihen über rund 38 Mrd. Euro, die Banken in 24 Ländern in ihren Büchern haben.

Die Experten der Ratingagentur Fitch sehen in dem Anleihen-Engagement der deutschen Banken allerdings kein großes Problem. Keine deutsche Großbank müsse bei einer Umschuldung Griechenlands um ihre Bonitätsnote bei Fitch fürchten, hatte die Agentur erst kürzlich erklärt. Die französischen Banken sind jedoch weitaus stärker im griechischen Privatsektor engagiert: Sie haben rund 27 Mrd. Euro an Krediten an Unternehmen und Privatkunden in Griechenland vergeben. Das ist vier Mal mehr als das Kredit-Engagement der deutschen Institute. Mit Abstand am stärksten engagiert in Hellas-Anleihen sind die griechischen Banken selbst mit einem Volumen von etwa 50 Mrd. Euro. Hier wären dann wohl auch die größten Ausfälle zu erwarten.

Neue Proteste in Athen

Nach der Vorlage des sogenannten durch Vertreter von IWF, EZB und EU-Kommission zum Fortschritt der griechischen Sparbemühungen Ende vergangener Woche, diskutieren die Regierungen der Euro-Zone über ein zweites Hilfspaket für das hoch verschuldete Land. Auf verschiedenen europäischen Ebenen wird EU-Diplomaten zufolge über neue Griechenland-Szenarien gesprochen - dazu gehöre auch die Einbeziehung von Privat-Banken in die Rettung des Krisenstaates. Im Gespräch ist unter anderem eine freiwillige Laufzeitverlängerung von fälligen griechischen Staatsanleihen, um Athen mehr Luft zu verschaffen. Es wäre das erste Mal, dass in der Eurozone Banken bei der Rettung von Krisenstaaten förmlich in die Pflicht genommen werden.

Unterdessen sind in Athen erneut tausende Griechen gegen den harten Sparkurs der griechischen Regierung auf die Straße gegangen. Die Zahl der Demonstranten am Montag war aber deutlich kleiner als am Vorabend, als mehr als 100.000 Menschen den Platz vor dem Parlament gefüllt hatten. Aufgerufen zu den Protesten hatte vor allem die Bewegung der "Empörten Bürger", die sich über das Internet organisiert.

Auch zu Wochenbeginn riefen die Demonstranten "Diebe, Diebe" in Richtung des Parlaments. Einige Demonstranten machten auch die EU und Bundeskanzlerin Merkel verantwortlich für ihre Misere. Auch Touristen wurden unter den Demonstranten gesichtet. Offenbar wollten sie sich so über die Lage im Land informieren. Die Proteste verliefen friedlich. Die Organisatoren erklärten, "solange es geht" gegen die Sparmaßnahmen demonstrieren zu wollen.

Eine ausgemachte Sache?

Ein neues milliardenteures Hilfspaket für den Schuldensünder Griechenland ist nach Informationen aus Brüssel noch lange nicht unter Dach und Fach. "Eine mögliche Vereinbarung müsste von den Euro-Finanzministern fertig verhandelt und angenommen werden", sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Rehn. Das nächste Treffen der Euro-Finanzchefs ist für den 20. Juni angesetzt. Griechenland soll verschärfte Sparziele umsetzen. Athen räumte . In Deutschland reagierten Koalitionspolitiker mit Empörung.

In der schwarz-gelben Koalition gibt es große Unruhe wegen möglicher neuer Milliarden-Hilfen für Griechenland: Fraktionspolitiker der Union und FDP warnen davor, dass Athen zu einem Milliarden-Fass ohne Boden werden könnte. Kanzlerin Angela Merkel gerät dabei immer mehr unter Druck. Direkt nach ihrer USA-Reise wird sie am Mittwoch den Fraktionen ihr Krisenmanagement erklären müssen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte die Bundeskanzlerin auf, an diesem Freitag eine Regierungserklärung zu den weiteren Griechenland-Hilfen und zum Euro im Bundestag abzugeben. Er hoffe, die Koalition wisse, dass sie für dieses Paket eine eigene Mehrheit brauchen, sagte Steinmeier vor einer SPD-Fraktionssitzung. Der sich abzeichnende erhebliche Widerstand in der Union deute darauf hin, dass viele offenbar nicht mehr bereit seien, die notwendige europäische Solidarität mitzutragen.

Kleiner Beitrag toter Rentner

Hohe Wellen schlugen die Zahlungen Athens an Tote, von denen Sozialbetrüger profitieren. Die griechische Arbeitsministerin Louka Katseli sagte der Athener Zeitung "Ta Nea", die fehlerhaften Überweisungen für Renten an Tote kosteten den Staat jährlich fast 16 Mio. Euro. Damit trägt der Betrug mit Sozialleistungen nur zu einem vergleichsweise gut überschaubaren Teil zum Schuldenberg im griechischen Staatshaushalt bei.

Athen hatte schon vor Monaten versichert, es werde juristisch gegen alle vorgegangen, die den Tod ihrer Verwandten, "vergessen hätten" zu melden. Die Ministerin sagte, ihre Behörde nehme jetzt auch alle 9000 der Fälle "unter die Lupe", bei denen Menschen über 100 noch Rente kassierten.

Eine Steilvorlage für Eiferer

"Die Tatsache der Rentenzahlung an über 4500 verstorbene Bedienstete ist ein neues Detail des unglaublichen Skandals griechischer Regierungspolitik und Misswirtschaft", sagte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk.

Diplomaten verwiesen darauf, dass Athen zunächst die verschärften Bedingungen umsetzen müsse, die Voraussetzung zur Auszahlungen der nächsten Tranche aus dem laufenden Programm im Juli sind. Dazu gehöre die Einrichtung einer unabhängigen Privatisierungsagentur, die Tafelsilber im Wert von rund 50 Milliarden Euro verkaufen soll. Mehr Klarheit werde es von der am Mittwoch erwarteten Ministerratssitzung in Athen geben.

Die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationalem Währungsfonds hatte Ende vergangener Woche die Auszahlung der neuen Tranche von 12 Mrd.  Euro in Aussicht gestellt. Am Freitag soll im Bundestag ein gemeinsamer Antrag von Union und FDP zur Euro-Rettung beschlossen werden. Das Papier ist als Wegweiser für die Beratungen des nächsten EU-Gipfels am 23. und 24. Juni in Brüssel gedacht.

Widerstand im Bundestag

Union und FDP wollen vor allem eine stärkere Beteiligung privater Gläubiger wie Banken durchsetzen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte: "Ich halte die Beteiligung des privaten Sektors für sehr wichtig." Der Bundeshaushalt dürfe nicht zum "Selbstbedienungsladen anderer Länder" werden. Die FDP knüpft ihre Zustimmung an harte Auflagen. "Klar ist, dass wir erkennen müssen, dass Griechenland Anstrengungen zeigt. Das ist uns als FDP besonders wichtig und ein Gebot der Vernunft", sagte FDP-Chef Philipp Rösler. Der CDU-Haushaltsexperte Klaus-Peter Willsch kündigte in der "Mitteldeutschen Zeitung" an, er werde neuen Hilfen nicht zustimmen. Die Datenlage aus Athen sei eine Zumutung: "Das ist unterirdisch."

Quelle: ntv.de, dpa/rts

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