Wirtschaft

Exit oder Weitermachen? Der Krisenkurs der Fed

Krisenpolitik ohne Ende? Ben Bernanke vor dem gemeinsamen Wirtschaftsausschuss im US-Kongress (Archivbild).

Krisenpolitik ohne Ende? Ben Bernanke vor dem gemeinsamen Wirtschaftsausschuss im US-Kongress (Archivbild).

(Foto: REUTERS)

In der US-Notenbank streiten Währungshüter über Fragen von globaler Tragweite: Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um die multimilliardenschweren Konjunkturhilfen zu beenden? Und: Wird der Ausstieg ohne schädliche Nebenwirkungen gelingen? Washington bestellt Fed-Chef Bernanke zum Rapport.

Mehr Geld bewegt niemand auf diesem Planeten: Ben Bernanke leitet die US-Notenbank seit Anfang 2006.

Mehr Geld bewegt niemand auf diesem Planeten: Ben Bernanke leitet die US-Notenbank seit Anfang 2006.

(Foto: REUTERS)

Es ist eine Entscheidung, die die Märkte erschüttern wird: Die obersten Währungshüter der USA sind sich zutiefst uneins, wie und vor allem wann die US-Notenbank damit beginnen sollte, sich aus ihrer Politik der konjunkturstützenden Maßnahmen zurückzuziehen. Irgendwann muss diese Entscheidung fallen: Selbst die Federal Reserve (Fed) kann die Welt nicht auf ewig mit endlos billigem Geld versorgen. Doch ein Kompromiss zwischen Anhängern einer strafferen Fed-Politik, den "Falken", und den Befürwortern einer anhaltenden Geldschwemme, den "Tauben", ist nicht in Sicht.

Schlimmer noch, Tauben und Falken stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die eine Seite fürchtet die dramatischen Nebenwirkungen, die die enormen Mengen zusätzlich zur Verfügung gestellter Liquidität im US-Finanzsystem anrichten könnten. Die andere Seite warnt vor einem zu frühem Einstieg in den Ausstieg, der die schleppende Konjunkturerholung gefährden könnte.

Mitten drin steht Fed-Chef Ben Bernanke: Er muss die Wirtschaftslage und den Krisenkurs der US-Notenbank vor Kongressabgeordneten erläutern.

Euro / US-Dollar
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Seit Wochen bemühen sich die Wortführer beider Seiten um die Meinungshoheit in der US-Öffentlichkeit. Immer wieder schicken sie den einen oder anderen Vertreter vor, um öffentlich für die jeweils favorisierte Strategie zu werben - entweder die Drosselung oder die Fortführung von Quantitative Easing, Teil III ("QE3"). Gefochten wird dabei mit den bevorzugten Waffen der Währungshüter: minimal abweichende Phrasen, vage Andeutungen, verklausulierte Signale.

Derzeit pumpt die Fed allein im Rahmen ihres Anleihenkaufprogramms Monat für Monat zusätzliche 85 Mrd. Dollar in die Märkte. Zum Vergleich: Das ist jeden Monat mehr als dreimal so viel wie das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Gesamtjahr für Straßenbau, Schienen, Städtebau und alles weitere insgesamt ausgeben darf; oder monatlich mehr als das Zweieinhalbfache des deutschen Verteidigungshaushaltes für das Jahr 2013.

Die Fed saugt mit diesem Geld Staatsanleihen und Hypothekenpapiere aus dem Handel, um die allgemeinen Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Konsumenten zu verbessern und dem Immobilienmarkt auf die Sprünge zu helfen. Im Kern geht es jedoch immer um mehr als nur um hohe zweistellige Milliardensummen.

Enorme Nebenwirkungen

Zu diesen gewaltigen Geldmengen kommen jene starken Effekte hinzu, die der geldpolitische Krisenkurs der Fed auf den Handel mit Rohstoffen, den Kauf von Aktien und das übrige allgemeine Anlageverhalten der Investoren in aller Welt ausübt. Nicht nur an der Wall Street sprechen Börsianer längst von einer enormen, hauptsächlich liquiditätsgetriebenen Rally. Im Kern geht es bei der Fed-Debatte also um die Frage, wie lange die glückliche Phase an den Märkten noch anhält. Die Ära des billigen Geldes könnte schneller enden als manchem Anleger lieb sein kann.

Die Fed-Falken halten die Zeit für reif: Sie wollen sofort damit beginnen, das Programm nach und nach zurückzufahren. Der erste Schritt dazu wäre die unverhüllte Ankündigung in Form einer verbindlichen Absichtserklärung, wie und ab wann die US-Notenbank sich aus ihrer Rolle als Geldschleuder zurückziehen will. Denn noch immer gibt es keinen verbindlichen Zeitplan für jene wirtschaftswissenschaftliche Großoperation, die Fed-Chef Ben Bernanke angesichts zusammenbrechender Großbanken im Herbst 2008 notgedrungen angestoßen hat.

Als energische Befürworter für einen raschen "Exit" gelten die Präsidenten der regionalen Fed-Filialen in Dallas, Richmond und Philadelphia. Sie befürchten, dass es infolge des starken Eingriffs der Notenbank zu Fehlallokationen kommt - dass sich also die schieren Mengen frei strömender Investmentgelder an unerwünschten Stellen sammeln und damit gefährliche Preisblasen erzeugen. Außerdem sind die genannten Währungshüter überzeugt, dass die Erholung auf dem Häusermarkt mittlerweile genug angeschoben ist.

Ein weiteres, freilich informelles Alarmsignal: Selbst John Williams, Präsident der San Francisco Fed und einst lautstarker Unterstützer von "QE3", will jetzt im Sommer die Ankäufe runterfahren. "Ich glaube, wir können zu Recht einen Sieg an der Häuserfront erklären und unsere Käufe zurückfahren, mit dem Ziel, die Käufe bis zum Jahresende auslaufen zu lassen", beschrieb Williams die Gründe für seinen Meinungswandel.

Experimente an der laufenden Volkswirtschaft

Aus dem Lager der geldpolitischen "Tauben" hält Eric Rosengren dagegen: Er könne sich sogar vorstellen, dass die Fed noch mehr Wertpapiere auf die Bilanz nehmen sollte. Die jüngsten Konjunkturdaten könnten "darauf hinweisen, dass die Politik bisher noch nicht genügend wachstumsfördernd ist", erklärte Rosengren. Genau aus der unterschiedlichen Interpretation dieser Daten, ziehen Falken und Tauben ihre Munition: Vor den Augen der Welt entwickelt sich ein Lehrstück, das zeigt, wie schwer sich selbst ausgewiesene Experten mit der Lagebeurteilung tun.

Während die Anhänger einer strafferen Geldpolitik die positiven Daten von Immobilienmarkt und den Autoabsatz hervorheben, führen ihre Gegenspieler die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit und die schwächelnde Industrie ins Feld. Mit einer Quote von 7,5 Prozent bewegt sich die wichtigste Messlatte am US-Arbeitsmarkt noch immer über dem selbst gesteckten Zielwert der Fed, ab dem sie den Jobmarkt als halbwegs intakt betrachten kann. Weil die Inflation zugleich weit unter der angepeilten Marke von 2 Prozent liegt, verfügen die Geldpolitiker theoretisch hier noch über genügend Handlungsspielraum, der Wirtschaft noch stärker unter die Arme zu greifen.

Über den Kurs der Zentralbank entscheiden letztlich die stimmberechtigten Mitglieder im Offenmarktausschusses (Federal Open Market Committee, FOMC), dem zentralen zinspolitischen Gremium im US-Notenbanksystem. Unter dem Vorsitz von Fed-Chef Bernanke kommen in dieser Runde insgesamt zwölf Währungshüter zusammen: Neben Bernanke sind das derzeit William C. Dudley aus New York, James Bullard aus St. Louis, Charles L. Evans aus Chicago, Esther L. George aus Kansas City, Eric S. Rosengren aus Boston sowie Janet L. Yellen, Jeremy C. Stein, Daniel K. Tarullo, Jerome H. Powell, Elizabeth A. Duke und Sarah Bloom Raskin aus dem Fed-Kontrollrat, dem sogenannten Board of Governors.

Ein Teil der stimmberechtigten Sitze im Offenmarktausschuss wird nach einem festgelegten Schema jährlich neu vergeben. Als nicht-stimmberechtigte FOMC-Mitglieder nehmen aktuell an den Sitzungen teil: Richard W. Fisher aus Dallas, Narayana Kocherlakota aus Minneapolis, Sandra Pianalto aus Cleveland, Charles I Plosser aus Philadelphia und Christine M. Cumming, Vize-Präsidentin der New-York-Fed. Obwohl sie die Abstimmung nicht direkt beeinflussen können, sehen und hören sie sehr wohl die Daten und Argumente beider Seiten - und können anschließend mehr oder weniger unverblümt in der Öffentlichkeit darüber reden.

Den "kalten Entzug" vermeiden

Bei der jüngsten Sitzung des wichtigen Offenmarktausschusses - der unter anderem auch über das Niveau der Leitzinssätze entscheidet -  hielten sich die Mitglieder Anfang Mai die Möglichkeit offen, das Wertpapierprogramm aufzustocken, je nachdem, wie sich die Wirtschaft entwickelt: "Der Ausschuss ist vorbereitet, das Volumen der Ankäufe zu senken oder zu erhöhen, wenn sich der Ausblick für den Arbeitsmarkt oder die Inflation verändert", hieß es im Protokoll zur Sitzung. Die zinspolitischen Tauben behalten innerhalb der US-Notenbank noch die Oberhand.

Andererseits bereiten sich die Experten der Fed offenbar bereits auch für den Fall vor, dass sich im Offenmarktausschuss die Falken durchsetzen und der Ausstiegsbeschluss langsam näher rückt. Mit dem vorsichtigen Vorgehen soll die Flexibilität an den Märkten erhöht und Unsicherheiten abgefangen werden. Einen kalten Entzug gilt es, unbedingt zu vermeiden.

Wegen des offensiv geführten Streits der Notenbanker um die richtige Linie richteten sich zuletzt alle Augen auf Fed-Chef Bernanke, der vor dem Kongress Rede und Antwort zur Wirtschaftslage stehen muss. Falls er eine klare Position bezieht, dürfte sich der weitere Kurs der Fed schon aus seiner Wortwahl ableiten lassen. Und wenn das nicht genügt: Parallel zu seinem Termin auf dem Kapitolhügel steht in seinem Haus die Veröffentlichung der Protokolle aus der vergangenen Fed-Sitzung an. Wenn auch darin noch nicht vom Exit die Rede ist, kann die Börsenrally an der Wall Street und damit auch weltweit - bis zur nächsten Weichenstellung - weitergehen.

Quelle: ntv.de, mit DJ

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