Wirtschaft

Autoexperte Becker im Interview "China hungert nach deutschen Autos"

Pekings Auto Show ist im Terminplan der Hersteller fest verankert.

Pekings Auto Show ist im Terminplan der Hersteller fest verankert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Chinas Automarkt boomt. Allein im März legen die Verkäufe um mehr als 13 Prozent zu, im 1. Quartal sogar 17 Prozent. Europas Automarkt dagegen stagniert. Ein Trend, der sich auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. China wird damit für alle Autohersteller immer wichtiger. Das birgt aber auch Risiken, wie n-tv.de-Autoexperte Helmut Becker erläutert.

n-tv.de: Herr Becker, nach dem für die Autobranche insgesamt guten Jahr 2012: Wie schlägt sich die Autoindustrie bisher in 2013?

Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

Helmut Becker ist ehemaliger Chefvolkswirt von BMW und leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK) in München.

2012 war ein Übergangsjahr. Nach den fulminanten Aufholprozessen 2010 und 2011 ist der Automarkt im vergange nen Jahr in eine Beruhigungsphase eingetreten - die auch in diesem Jahr noch anhält. Anstelle der Nachholeffekte der Vorjahre treten die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in den Fokus, Stichwort Euro-Schuldenkrise. Das dämpft die Entwicklung bisher.

Alles in allem also ein eher schwieriger Jahresbeginn?

Ja, absolut.

Und wie sieht die weitere Entwicklung 2013 aus?

2013 wird mit Sicherheit ein schwierigeres Jahr für die Automobilindustrie als 2012. Ich rechne in Europa mit einem weiteren Rückgang der Zulassungen, in Deutschland sogar mit einem deutlichen Rückgang der Zulassungen. Infolgedessen sind die Perspektiven vor allem für die Hersteller, deren Fokus auf dem europäischen Markt liegt, schwieriger als im Vorjahr.

In China dagegen boomt der Markt weiter, allein im März wurden dort 1,59 Millionen Autos abgesetzt, 13,1 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Woran liegt das?

Der chinesische Automarkt ist bei Weitem noch nicht gesättigt. Er hat noch Hunger - im Gegensatz zum europäischen. In Europa haben wir rund 100 Jahre Automobilgeschichte hinter uns, in China dagegen hat sich der Markt erst vor rund 30 Jahren entwickelt. De r Bedarf ist deshalb bei Weitem noch nicht gedeckt. Das ist ein wichtiger Punkt. Ein anderer: Die Einkommenssituation der Chinesen verbessert sich stetig und infolgedessen wächst auch der Autoabsatz. 2012 wurden etwa 12 Millionen Pkw neu zugelassen. In diesem Jahr sollte diese Zahl, bei stabilen politischen Rahmenbedingungen, sollte bis zum Ende des Jahrzehnts auf mehr als 20 Millionen steigen.

China wäre dann vor den USA der weltgrößte Absatzmarkt für die Automobilindustrie.

Richtig. China wird definitiv der größte Autoabsatzmarkt der Welt werden. Er ist es heute bereits bei der Produktion. Nirgendwo sonst werden mehr Pkw und Lkw hergestellt als im Reich der Mitte.

Wann wird China die Spitzenposition beim Absatz einnehmen?

Ich nehme an, dass China bereits in den kommenden Jahren die USA vom Thron des weltgrößten Absatzmarkts stoßen wird. Zum Vergleich: 2012 wurden in den USA rund 15 Millionen Autos neu zugelassen.

Damit wird China für die Automobilindustrie immer wichtiger.

Absolut. Eine neue Studie meines Instituts IWK kommt zu dem Schluss, dass wir in China in den nächsten zehn Jahren einen weiter kräftig wachsenden Automobilmarkt sehen werden. 25 oder 30 Millionen Neuzulassungen im Jahr sind dann möglich. Deshalb sind alle Autohersteller gut beraten, sich an diesem boomenden Markt zu beteiligen.

Welcher Hersteller, welche Marke profitieren derzeit besonders vom chinesischen Absatzboom?

Volkswagen, sowohl der Gesamtkonzern, als auch die Kernmarke VW selbst. Deren Marktanteil liegt derzeit bei über einem Fünftel. Zum Vergleich: Alle chinesischen Hersteller zusammen kommen gerade auf einen Marktanteil knapp unter 30 Prozent. VW verkauft mittlerweile mit über 2 Millionen Autos mehr Fahrzeuge in China als auf dem deutschen Heimatmarkt. Das geht aber auch anderen deutschen Herstellern so, BMW etwa. Man kann sagen, dass sich die deutsche Automobilindustrie sehr gut in China positioniert hat. China nimmt in der Marktpositionierung der Konzerne einen immer wichtigeren Anteil ein.

Das birgt natürlich auch Risiken.

Ja. Die Hersteller machen sich in gewisser Weise von China abhängig. Im Gegensatz zum europäischen Markt, wo sie das politische, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld kennen und sicher einschätzen können, ist der chinesische Markt mit Risiken behaftet: China ist trotz allen staatskapitalistischen Zügen noch immer ein kommunistisches Land. Die Möglichkeit, dass über Nacht die politische Führung auf die Idee kommt, den heimischen Absatzmarkt für die ausländischen Hersteller zu kappen, besteht. Produktions-, Handels-, Absatzbeschränkungen sind trotz aller internationalen Vereinbarungen zumindest möglich. Das ist ein Risiko. 

Allerdings boomt der chinesische Markt, das lässt viele Risiken in den Hintergrund treten. In Europa dagegen gehen die Verkäufe seit Längerem zurück: Wann ist diesbezüglich mit einer Trendwende zu rechnen?

Das wird so schnell nicht passieren. Euro-Schuldenkrise, nicht mehr tragbare und steigerungsfähige Staatsverschuldungen, Konsolidierungspolitik und schwächelnde Konjunktur: Diese Faktoren werden auch in den kommenden Jahren den Automarkt einbremsen. Ein Einbruch ist zwar nicht zu befürchten, aber ein langsam und stetig schrumpfender Absatzmarkt. Darauf müssen sich die Hersteller in Europa einstellen. Alle Hersteller, am wenigsten allerdings die deutschen Premiumhersteller wie BMW und Audi, die auch noch in der Krise Marktanteile hinzugewinnen, wenn auch bei ebenfalls abnehmenden Absatzzahlen.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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