Wirtschaft

BRIC-Star braucht Reformen und Investitionen "Brasilien steht sich selbst im Weg"

Künden die Proteste in Brasilien nur von der schlechten Situation der Bürger ...

Künden die Proteste in Brasilien nur von der schlechten Situation der Bürger ...

(Foto: dpa)

In Brasilien, als dickes "B" der BRIC-Staaten langjähriger Vorreiter in Sachen Wirtschaftswachstum, ziehen seit Tagen Zehntausende auf die Straße, um gegen Korruption und soziale Missstände zu protestieren. Das bedeutet aber nicht, dass vom Boom nichts bei der Bevölkerung angekommen ist, meint Deka-Analyst Mauro Toldo. Ganz im Gegenteil: Früher war die Armut zu groß für den Protest. Wenn es allerdings weitergehen soll mit den BRIC-typischen Wachstumsraten müsse sich Brasilien in Sachen Investitionen und Reformen anstrengen.

... oder kann man daraus auch ein neues Selbstbewusstsein, vor allem der Studenten und der Mittelklasse lesen?

... oder kann man daraus auch ein neues Selbstbewusstsein, vor allem der Studenten und der Mittelklasse lesen?

(Foto: dpa)

n-tv.de: Seit Tagen halten die Proteste gegen Korruption und soziale Missstände Brasilien in Atem. Ist zu wenig vom vielzitierten BRIC-Wirtschaftswunder bei der Bevölkerung angekommen?

Mauro Toldo: Ich würde nicht sagen, dass der Wirtschaftsboom an der Bevölkerung vorbei gegangen ist. Brasilien hat einen sehr langen Aufschwung hinter sich, und wenn man sich die Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Löhne anschaut, erkennt man, dass doch viel davon auch bei den Menschen angekommen ist.

Ich glaube, bei den Protesten geht es nicht vorrangig darum, dass die Menschen mit der wirtschaftlichen Entwicklung unzufrieden sind. Es ist eher so, dass sich die Bevölkerung, anders als in der Vergangenheit, jetzt auch für andere Probleme interessiert. Früher war die Armut so groß, dass man sich eher wenig um die Korruptionsvorwürfe gekümmert hat. Das hat sich jetzt geändert. Heute ist die Entfernung der politischen Klasse von der Bevölkerung eines der Hauptprobleme. Die Bevölkerung fordert mehr Mitspracherecht.

Hinzu kommen natürlich auch noch andere Probleme: Etwa die sehr hohe Besteuerung, der aber keine Dienstleistungen vom Staat folgen. Die bisherigen Verbesserungen reichen hier nicht aus. Deshalb fordert die Bevölkerung, dass sich die Regierung mehr um die institutionellen Rahmenbedingungen kümmert.

Also könnte man umgekehrt folgern, dass das Wirtschaftswachstum dazu geführt hat, dass die Menschen stark genug sind, um beispielsweise das politische Mitspracherecht einzufordern?

Genau. Vorher haben wir einen täglichen Überlebenskampf gesehen. Mit dem höheren Lebensstandard rücken nun andere Ziele in den Fokus.

BRIC-Staaten

Die Abkürzung BRIC wurde im Jahr 2001 von Jim O'Neill, Chefvolkswirt der Großbank Goldman Sachs, geprägt, welcher sie in einer Reihe von Veröffentlichungen verwendete, zuerst Ende 2001. BRIC steht für die fünf Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die sich jahrelang durch besonders hohe Wachstumsraten auszeichneten.

Mit dem Label BRIC bewirbt Fondsindustrie bis heute zahlreiche Produkte, mit denen sich die Anleger in den Schwellenländern engagieren können. Aufgrund der Proteste in Brasilien, den schwachen Börsen in Russland, der Investitionsschwäche in Indien und dem drohenden Finanzkollaps in China, ziehen seit einigen Wochen jedoch immer mehr Anleger Geld aus dem Schwellenländern ab. Analysten befürchten, dass das der Anfang vom Ende des BRIC-Traum sein könnte.

Dennoch ist das Wirtschaftswachstum zuletzt deutlich zurückgegangen. 2010 verbuchte Brasilien noch ein Plus von 7,5 Prozent, 2012 waren es nur noch 0,9 Prozent, für 2013 werden jetzt vorsichtig 2,5 Prozent geschätzt. Erste Analysten erklären die BRIC-Wachstumsstory bereits für beendet. Andere, wie etwa Siemens-Chef Löscher, glauben, dass es jetzt erst richtig losgeht, gerade auch im Hinblick auf die Fußball-WM.

Seit Luiz Inacio Lula da Silva, der Vorgänger von Dilma Rousseff, die Wahlen gewonnen hat, hatte Brasilien meiner Ansicht nach sehr viel Glück. Zwischen 2002 und 2008, als die Finanzkrise ausbrach, verbuchte das Land überdurchschnittliche Wachstumsraten von 4 Prozent. Brasilien hatte eine schöne Zeit, die starke Nachfrage nach Rohstoffen sorgte für Investitionen, große Ölvorkommen wurden gefunden und alle gingen davon aus, dass sich das so fortsetzt. Bei den Agrarrohstoffen kam noch die starke chinesische Nachfrage hinzu.

Mit der Krise 2008 ließ die Nachfrage allerdings überall nach. Gleichzeitig stieß auch die Infrastruktur für die Exporte an ihre Grenzen, sowohl bei den Häfen, als auch bei den Transportwegen wurde zu wenig gemacht. Die Wachstumsraten der Vergangenheit könnte man heute ohne große vorherige Investitionsprojekte nicht mehr erreichen.

Sicher wurde wegen der Fußball-WM und der Olympischen Spiele viel investiert, auch in Großprojekte, wie die Flughäfen. Aber das dauert alles viel zu lange. In Brasilien ist die Freigabe von Projekten ein großes Problem. Der Staat will zu viele Großprojekte selbst machen. Und bei privaten Kapitalgebern gibt es sehr strenge Vorgaben, die die Investitionen in Brasilien erschweren.

Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets im Makro Research der DekaBank

Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets im Makro Research der DekaBank

Bedeutet das, dass Brasilien mit den eigenen Wachstumsraten nicht Schritt gehalten hat?

Das heißt, dass sich Brasilien selbst im Wege steht. Das betrifft zum Beispiel die Investitionen in die Industrie. Hier werden Entscheidungen, wie etwa eine Art Abwrackprämie für die Autobauer, immer Ad hoc getroffen, es gibt keine Planungssicherheit

Nun gehörte die Börse in Brasilien im vergangenen Jahr zu den Schlusslichtern weltweit, der Bovespa verbuchte ein Minus von acht Prozent. Wird sich die Börse Ihrer Ansicht nach wieder fangen, oder ist die BRIC-Geschichte an den Märkten auserzählt?

Ich glaube, es gibt eine Chance auf Erholung, wenn sich die Regierung zu großen Reformankündigungen durchringt. Das ist allerdings im Moment noch etwas schwierig. Rousseff hat seit dem Beginn der Demonstrationen zwar schon einiges an Reformen angekündigt. Der "große Wurf" wurde allerdings sehr schnell zusammengeschustert, da ist noch völlig unklar, wie sich das auswirken wird. Außerdem hängt die Entwicklung auch vom globalen Wirtschaftswachstum ab. Wir gehen davon aus, dass die globale Wirtschaft sich im zweiten Halbjahr bessern wird.

Insgesamt vermittelte in den vergangenen Tagen besonders Staatschefin Rousseff den Eindruck, dass ihr die Protestbewegung derzeit nicht völlig ungelegen kommt.

Ja, die Regierung kann die Proteste nutzen, um zu zeigen, dass auch das Volk Druck macht. Und das ist tatsächlich positiv. Ob dann letztlich Reformen umgesetzt werden, ist fraglich. Ich bin tendenziell positiv gestimmt, wurde aber in der Vergangenheit oft negativ überrascht, was die Reformen in Brasilien angeht. Deswegen bin ich jetzt eher vorsichtig.

Mit Mauro Toldo sprach Samira Lazarovic

Quelle: ntv.de

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