Marktberichte

"Glauben Sie mir, das wird reichen" Dax feiert Draghis Euro-Schwur

Die Dax-Spur am Nachmittag: Ein unaufhaltsamer Aufstieg.

Die Dax-Spur am Nachmittag: Ein unaufhaltsamer Aufstieg.

(Foto: REUTERS)

Mit einem klaren Bekenntnis zum Euro und einer vagen Andeutung zum Thema Anleihenkauf löst EZB-Chef Draghi eine scharfe Trendwende an den Aktienmärkten aus: Der deutsche Leitindex dreht unvermittelt steil ins Plus. Europaweit ziehen die Kurse an. Überraschend starke Daten aus den USA schieben die Märkte zusätzlich an. Ist das die große Wende?

Bis zum Abend waren es 2,75 Prozent oder 176,44 Punkte.

Bis zum Abend waren es 2,75 Prozent oder 176,44 Punkte.

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Am deutschen Aktienmarkt geht ein ereignisreicher Tag mit kräftigen Kursgewinnen zu Ende: Nach einem schwachen Start und einem trüben Verlauf wechselte der Dax gegen Mittag unvermittelt das Vorzeichen und schloss am Abend bei ungewohnt hohen Umsätzen 2,75 Prozent im Plus bei 6582,96 Punkten. Der MDax stieg um 2,36 Prozent auf 10.722,69 Punkte. Der TecDax gewann 2,16 Prozent auf 772,57 Punkte.

Händler verwiesen auf stützende Aussagen von EZB-Chef Mario Draghi. Starke US-Auftragseingänge und gute Daten vom US-Arbeitsmarkt lieferten zusätzlichen Rückenwind. Die schwachen Quartalsergebnisse, mit denen sich die Anleger am Morgen beschäftigt hatten, rückten in den Hintergrund.

Kurzzeitig notierte der Dax knapp 3 Prozent im Plus, sein Tageshoch markierte er bei 6595,58 Punkten. Das Tagestief liegt gut 270 Zähler entfernt bei 6324 Punkten. Am Vortag hatte der Leitindex 0,3 Prozent höher bei 6407 Punkten geschlossen.

Treibmittel der scharfen Trendwende waren die Hoffnungen auf überzeugende Maßnahmen zur Eindämmung der Schuldenkrise in Europa. Bei einer Investmentkonferenz in London bezeichnete EZB-Präsident Draghi den Euro als "unumkehrbar" und bekräftigt erneut, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihres Mandats alles Erforderliche tun werde, um den Euro zu erhalten. "Und glauben Sie mir, das wird reichen", fügte er hinzu. Börsianer werteten seine Aussage als Hinweis auf durchschlagende Maßnahmen der Währungshüter im Fall einer weiteren Eskalation der Schuldenkrise. Der oberste Währungshüter der Eurozone habe damit Börsianern zufolge weitere Unterstützung für die Krisenstaaten signalisiert.

Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank, sagte dazu: "Wir wollen eins nie vergessen: Ein freizügiges Händchen in puncto US-Geldpolitik hat Amerika in der Vergangenheit die schönsten Kurszuwächse beschert und dies wird in der Eurozone mit einer notgedrungen immer liberaler werdenden EZB nicht anders sein." Die EZB mit Draghi werde wohl noch mehr Anleihekäufe durchführen, um den Kollaps der Eurozone zu verhindern, sagte Halver.

Ein Frankfurter Händler sagte dazu: "Wenn die EZB sich hinstellt und sagt, sie ist bereit, alles zu tun, um den Euro zu verteidigen, beruhigt das die Anleger ungemein. Das heißt wohl, dass die EZB ein Maßnahmenpaket in der Hinterhand hat, um das Schlimmste abzuwenden. Denn alle Investoren hoffen vor allem auf eines: ein Ende der Unsicherheit." Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici begrüßte Draghis Aussagen und brachte die weitere Option zurück ins Spiel, . Diese Möglichkeit solle nicht ignoriert werden. Die Bundesregierung hat sich gegen diese Variante ausgesprochen.

Die kräftigen Aufschläge am Aktienmarkt begründeten einzelne Marktteilnehmer damit, dass nach den Draghi-Aussagen diejenigen Anleger eilig umsatteln mussten, die bisher auf fallende Kurse gesetzt hatten. Es gab aber auch skeptische Töne: "Es ist schon Wahnsinn, wie anspruchslos die Märkte mittlerweile geworden sind", sagte ein Händler. "Nur weil die EZB vielleicht etwas unternehmen könnte, geht es so steil nach oben. Morgen kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Denn wer weiß, wie wir reagieren, wenn es wieder schlechte Nachrichten aus Griechenland oder Spanien gibt."

Nach den Kursabschlägen zum Wochenanfang sei es indes keine große Kunst, dass sich nun die Finanzwerte so deutlich erholten, sagte der Händler weiter. Der europäische Bankenindex stieg um vier Prozent, der Pendant der Eurozone sogar um 8,2 Prozent.

Im Dax lagen die Anteilsscheine der Commerzbank mit einem Plus von 6,4 Prozent an der Spitze. Deutsche Bank, Münchener Rück und Allianz legten zwischen fünf und 4,5 Prozent zu. Die Titel der Deutschen Börse verteuerten sich um 2,6 Prozent, nachdem die Bilanz des Konzerns laut Händlern wenig überraschend ausgefallen war. Wegen des mauen Handels an den Finanzmärkten warnte der Börsenbetreiber davor, seine Jahresziele zu verfehlen. Neben den Finanzwerten tauchten im Verlauf auch Industrietitel und Versorger auf der Gewinnerliste auf: Eon verteuerten sich mit dem allgemeinen Aufwärtstrend um 5,0 Prozent, RWE zogen 4,8 Prozent an. Bayer lagen 4,7 Prozent im Plus.

Auf der Dax-Verliererseite blieben zum Handelsschluss nur MAN, VW und Siemens übrig. Vor allem die zunehmende Vorsicht der Konzerne bereitete den Anlegern große Kopfschmerzen. "Die schwächeren Unternehmenszahlen belasten", beschrieb ein Händler am Morgen die Stimmung. Als besonders enttäuschend sei hier Siemens hervorzuheben, ein Unternehmen, das auch einen guten Frühindikator für die Weltwirtschaft darstelle. "Es droht ein globaler Wirtschaftsabschwung, der sich gewaschen hat", meinte er. Inwieweit die Zentralbanken dem entgegenwirken können, bleibe abzuwarten.

Die Aktien von Siemens reagierten wenig auf die neu ausgebrochene Zuversicht. Auch nach Draghis Worten gingen 1,2 Prozent schwächer aus dem Handel. "Das Umfeld wird für uns schwieriger", sagte Siemens-Chef Peter Löscher bei n-tv. Angesichts des verschlechterten Umfelds sei es auch schwieriger geworden, die Prognose für das Geschäftsjahr zu erreichen. "Wir merken einfach, dass insgesamt die Konjunkturparameter deutlich abschwächen. Auch die Weltkonjunktur schwächt ab und in Europa haben wir klare Anzeichen, dass speziell die südlichen Länder Europas auch in einer Rezession sind. Das spüren wir natürlich auch speziell bei den Auftragseingängen." Der Auftragseingang lag im vergangenen Quartal mit 17,8 Mrd. Euro um mehr als 2 Mrd. Euro unter der Prognose von Analysten.

Das Schlusslicht bildeten die Aktien von MAN mit einem Abschlag von 5,7 Prozent. Der LKW-Bauer hatte am Vorabend einen Gewinneinbruch gemeldet und seine Ergebnisprognose für 2012 gekippt.

Dass die Ansprüche der Anleger hoch sind, zeigten die von VW. Obwohl der Autokonzern den Gewinn im zweiten Quartal wie von Analysten erwartet gesteigert hatte, fielen die Aktien um bis zu 3,6 Prozent und beendeten den Tag mit einem Minus von 0,1 Prozent. Es fehle eine positive Überraschung, begründete Macquarie-Analyst Christian Breitsprecher die zeitweise deutlichen Kursverluste.

Europaweit zogen die Kurse an: Der Eurostoxx50 legte sogar um vier Prozent auf 2245 Punkte zu. Die Börse in Mailand gewann 5,6 Prozent, der Leitindex in Madrid stieg um 6,1 Prozent. Auch an der Wall Street ging es deutlich bergauf. Unerwartet ermutigende Konjunkturdaten sorgten dort am frühen Nachmittag für zusätzlichen Rückenwind: Nach dem kräftigen Anstieg in der Vorwoche gingen die Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung im US-Arbeitsmarkt rapide zurück. In der Woche zum 21. Juli beantragten 353.000 US-Amerikaner staatliche Unterstützung und damit 35.000 weniger als in der Vorwoche. Volkswirte hatten nur mit einem Rückgang um 6000 Anträge gerechnet.

Daneben übertrafen die US-Auftragseingänge für langlebige Wirtschaftsgüter deutlich die Erwartungen - zumindest unter Berücksichtigung des volatilen Transportsektors. "Mit dem hohen Bestellvolumen von Boeing hatte sich ein deutliches Auftragsplus bereits abgezeichnet", meinte Volkswirt Ulrich Wortberg von der Helaba. Damit deute sich zum Ende des zweiten Quartals ein moderates Investitionswachstum an.

Eine enttäuschende Quartalsbilanz drückte Royal Dutch Shell in London und Amsterdam mit Abschlägen von jeweils rund 2,5 Prozent ans Ende der dortigen Leitindizes. Der gesunkene Ölpreis und eine Verbilligung von nordamerikanischem Gas ließ den Gewinn des Konzerns von acht auf sechs Milliarden Dollar zusammenschrumpfen. Dagegen legten die Aktien von Unilever um 5,6 Prozent zu. Der Konsumgüterriese kann sich dank guter Geschäfte in Schwellenländern dem schwächeren Branchentrend in Europa entziehen und verbuchte im zweiten Quartal auf vergleichbarer Basis ein Umsatzwachstum von 5,8 Prozent.

Ein Nährboden der Hoffnung

Am Morgen war am Markt noch die Rede davon, dass Anleger abwarten dürften, was die Zentralbanken machen. Diese Erwartungshaltung bildete nun offenbar den Boden, auf dem Draghis Worte erst ihre ganze Wirkung entfalten konnten. Unter Anlegern kursieren Hoffnungen, dass die US-Notenbank und die EZB angesichts der sich abschwächenden Konjunktur in den USA und der Schuldenkrise in Europa in der kommenden Woche neue unkonventionelle Maßnahmen ergreifen könnten.

Der jüngste Anstieg des Goldpreises spricht dafür, dass die Anleger eine neue Runde quantitativer Lockerung (QE3) zunehmend für wahrscheinlich halten. Was die EZB angeht, hatte Ratsmitglied Ewald Nowotny am Vortag erneut die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, . Der Herunterstufung 17 deutscher Banken durch Moody's wurde dagegen im Handel keine größere Bedeutung beigemessen. "Nach der Senkung des Ausblicks für Deutschland ist das selbstverständlich", sagte ein Marktteilnehmer.

Der Konsum bleibt stabil

Am Berichtstag stand zunächst eine gut gefüllte Liste an Quartalszahlen aus Europa zur Veröffentlichung an. Im Verlauf erreichten neue Signale zur Konjunkturlage in Deutschland den Markt: Trotz wachsender Konjunkturskepsis steigt die Kauflaune der Deutschen. Sie fürchten zwar, dass die Wirtschaft wegen der Schuldenkrise immer stärker unter die Räder kommt. Dank steigender Einkommen wollen die Verbraucher aber mehr Geld ausgeben. Der für August berechnete kletterte deshalb überraschend um 0,1 auf 5,9 Punkte, wie die Nürnberger GfK-Marktforscher mitteilten. Experten hatten 5,8 Zähler erwartet.

"Die Unternehmen spüren, dass es nicht nur in der Eurozone, sondern auch in den USA, Großbritannien und Asien schlechter läuft", sagte Rainer Sartoris von HSBC Trinkaus in einer ersten Reaktion. "Bei den Konsumenten ist das noch nicht angekommen. Dafür sorgen relativ hohe Lohnabschlüsse und ein stabiler Arbeitsmarkt. Die Verbraucher fühlen sich deshalb noch recht wohl. Der private Konsum dürfte solide bleiben."

"Es scheint, als ließen sich die deutschen Verbraucher ihre gute Laune durch nichts verderben", meinte ING-Analyst Carsten Brzeski. "Die Euro-Krise, der jüngste Anstieg der Kraftstoffpreise und selbst das früher als erwartete Ausscheiden der Fußball-Nationalmannschaft aus der Europameisterschaft haben das Verbrauchervertrauen nicht fallen lassen."

Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts

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