Marktberichte

Schwarzer Freitag an der Wall Street Brexit-Votum schockt Dax-Anleger

Zum Start gleich ein Abschlag von mehr als 1000 Punkten: So reagiert der Dax auf das Ergebnis des EU-Referendums in Großbritannien. "Der Schock sitzt tief", sagt n-tv-Börsenexpertin Wohlfeil. Auch an der Wall Street gibt es Kursverluste.

Mit einem Kursrutsch in historischem Ausmaß hat der deutsche Aktienmarkt auf das Brexit-Votum Großbritanniens beim EU-Referendum reagiert. Die Märkte waren darauf nicht vorbereitet, sie hatten mehr und mehr auf ein "Bremain" und damit einen Verbleib der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt in der EU gewettet. Diese Wette ging nicht auf.

"Ein herber Schock, der tief sitzt und uns alle bewegt, der größte Crash seit Lehman 2008", kommentierte n-tv Börsenexpertin Corinna Wohlfeil die Situation zum Wochenschluss auf dem Frankfurter Börsenparkett. "Der Dax hängt über der Kloschüssel. Er kotzt sich aus. Verzeihung, ich habe so etwas noch nie erlebt", sagte ihr Kollege Frank Meyer und sprach von einem "Blutbad" und einem "historischem Tag". Wohlfeil erinnerte das Ganze an die Lehman-Pleite 2008. Sie blickte an diesem "Schwarzen Freitag" bereits voraus: "Der Montag wird auch ein wackeliger Tag."

Der Dax verabschiedete sich an diesem denkwürdigen Tag mit einem Abschlag von 6,8 Prozent und 9557 Punkten ins Wochenende. Bereits zum Start hatte der Leitindex sein Tagestief bei 9226 Zählern markiert - ein Minus von mehr als 1000 Punkten oder etwa 10 Prozent.

"An der Börse muss man auch stets das Unmögliche denken und dies hatten Investoren am Donnerstag offenbar nicht mehr getan", kommentierte Daniel Saurenz von Feingold Research gegenüber n-tv.de. "Man war beinahe euphorisiert von einem Verbleib der Briten in der EU, preiste alle Risiken wieder aus dem Markt." Nun komme der Dax dort an, wo er acht Tage vorher zum Höhepunkt der Brexit-Sorgen gewesen sei. Und wie geht es weiter? "Die Angst wird aus dem Markt entweichen, da nun Klarheit herrscht", sagte Saurenz. "In der größten Panik liegt immer auch eine Kaufgelegenheit. 2016 steht unter dem Motto 'kaufe die Angst und verkaufe die Euphorie' - damit könnten Investoren auch in den kommenden Tagen und Wochen gut fahren."

EZB in "Alarmbereitschaft"

Diese Unsicherheit sorgte vor allem in den Südländern für noch stärkere Kursturbulenzen: Die Leitindizes der spanischen Börse, der italienischen und der griechischen brachen zeitweise 13, 11 und 17 Prozent ein. Der französische Cac40 kam auf einen Abschlag von etwa 9 Prozent. Der FTSE-100 in London dagegen schlug sich mit einem Kursrutsch von am Ende rund 3 Prozent vergleichsweise gut.

Vielleicht auch, weil die Bank of England kündigte schnelle Hilfen angekündigt hatte. Die Europäische Zentralbank (EZB) teilte mit, sie stehe nach dem Brexit-Votum in Alarmbereitschaft und in engem Kontakt mit anderen Notenbanken. Sie sei für zusätzliche Liquiditätsmaßnahmen bereit, auch in Fremdwährung, erklärte die EZB. Außerdem würden die Entwicklungen an den Finanzmärkten genau beobachtet.

Die EZB habe sich in Zusammenarbeit mit den von ihr beaufsichtigten Banken auf diesen Notfall vorbereitet. Die Bankensystem in der Eurozone sei widerstandsfähig sowohl in Hinsicht auf Kapital als auch auf Liquidität. 

Banken taumeln - Stockpicker kaufen

Im Tagestief gab der FTSE-100 allerdings bis auf 5743 Stellen nach – rund 400 Punkte unter dem Schlusskursniveau. Schuld daran waren die Bankenwerte, die das Votum am deutlichsten traf. Zwischenzeitlich waren Barclays, Lloyds, Royal Bank of Scotland und Co. um 20 bis 30 Prozent eingebrochen.

Unter Druck standen auch Italiens Banken. Sie wurden massiv abverkauft, wie Unicredit, die 25 Prozent fielen, und Intesa mit einem Minus von knapp 20 Prozent. In Frankreich gaben Societe Generale und Credit Agricole etwa je 15 Prozent nach. Die europäischen Bankentitel hatten sich vor der Abstimmung auf der Insel mit der steigenden Aussicht auf ein "Bremain"-Votum stark erholt.

Vontobel: kein systemisches Risiko

Die Anleger suchten sichere Häfen. Yen, Schweizer Franken auf Währungsseite, dazu Gold und auch deutsche Bundesanleihen waren gefragt. Auch in den kommenden Wochen dürften Investoren auf Nummer sicher gehen. "Wir rechnen damit, dass mehr Mittel in Gold und in Geldmarktpapiere fließen", sagte Ioannis Angelakis von der Bank of America-Merrill Lynch. Aus Aktien und schwankungsanfälligen Anlagen wie hochverzinsten Anleihen dürfte dagegen weiter Geld abfließen. 

Langfristig übten sich Vermögensverwalter aber in beruhigenden Aussagen: So hieß es von Vontobel Asset Management, die Entscheidung sei zwar unglücklich, bedeute aber kein systemisches Risiko für die europäischen und globalen Finanzmärkte. Dennoch dürften die nun anstehenden Verhandlungen der EU mit Großbritannien noch lange für Unsicherheit sorgen: "Die EU wird nun auf geraume Zeit mit sich selbst beschäftigt sein", sagte Heino Ruland, Head of Research der ICF Bank.

Dax: Defensiv ist gefragt

Defensive Werte waren auch beim Dax gefragt. "Nennenswerte" Gewinner? Fehlanzeige. Vonovia und Henkel schlossen immerhin nahezu unverändert. Henkel gab die Übernahme des US-amerikanischen Wasch- und Reinigungsmittelkonzerns The Sun Products für 3,2 Milliarden Euro inklusive Schulden bekannt. "Strategisch ist die Transaktion durchaus sinnvoll", sagte Thorsten Strauß von der NordLB. Henkel verbessere die Marktposition in Nordamerika, dem weltgrößten Markt für Wasch- und Reinigungsmittel, deutlich.

Sonst gab es auch im Dax das gleiche Bild wie an den restlichen Börsen: Die deutlichsten Verluste fuhren die Finanztitel ein. Deutsche Bank und Commerzbank brachen im frühen Handel fast 20 Prozent ein, schlossen dann noch etwa 13,0 und 12,5 Prozent schwächer. Sie blieben damit aber die Schlusslichter im deutschen Leitindex. "Das ist Wahnsinn, was wir bei den Banken sehen", sagte m-tv-Börsenexpertin Wohlfeil. "Die Frage ist: Sind das schon Einstiegskurse?"

Direkt hinter den Finanzwerten folgten neben Thyssenkrupp die Versorger. Eon und RWE sackten jeweils um mehr als 9 Prozent ab. Auch die Autowerte. VW rutschen etwa 8 Prozent ab. Im Skandal um manipulierte Abgaswerte ist Volkswagen in den USA Agenturberichten und Kreisen zufolge bereit, eine Entschädigungssumme von rund 10 Milliarden Dollar zu zahlen, um Klagen von Fahrzeugbesitzern beizulegen.

USA: Banken und Spielzeughersteller verlieren

Mit scharfen Kursverlusten reagierten auch die Aktien an der Wall Street auf den Sieg der EU-Gegner beim Brexit-Referendum. Nach dem vorweggenommenen Optimismus an den vorangegangenen Handelstagen war der Schrecken nun umso größer. Der Ausgang des Referendums erwischte die meisten Anleger auf dem falschen Fuß. Trotz herber Verluste traf es die US-Aktien aber nicht ganz so hart wie einige asiatische und europäische Börsen. Am Ende eines von sehr hohen Umsätzen geprägten turbulenten Börsentags verlor der Dow-Jones-Index 3,4 Prozent auf 17.400 Punkte. Der S&P-500 gab um 3,6 Prozent nach und der Nasdaq-Composite um 4,1 Prozent.

Viele Analysten befürchten, dass der Brexit-Schock an den Aktienmärkten noch länger nachwirken könnte. Der nun beschlossene Austritt Großbritanniens werde länger andauernde Turbulenzen an den Märkten nach sich ziehen, das gelte besonders für die Eurozone, kommentierte JP Morgan. Greg McBride, Cheffinanzanalyst bei Bankrate.com, rät den Anlegern, sich "warm anzuziehen". Allerdings gibt es auch Meinungen, wonach der angerichtete Schaden eher von kurzer Dauer sein und sich die Aktienkurse schnell wieder stabilisieren dürften.

Die US-Konjunkturdaten des Tages hatten  keinen Einfluss auf den Markt. Veröffentlicht wurden vor Börsenbeginn die Auftragseingänge bei langlebigen Wirtschaftsgütern aus dem Mai. Sie gingen um 2,2 Prozent zurück und somit deutlich stärker als von Volkswirten erwartet, die den Rückgang im Konsens auf 0,4 Prozent geschätzt hatten. Der Index der Verbraucherstimmung der Universität Michigan für Juni trübte sich ein und fiel auf 93,5. Ökonomen hatten einen Stand von 94,0 erwartet.

Die Bankenaktien waren mit den Autoaktien klar die größten Verlierer. Die Geldinstitute leiden ohnehin schon unter dem global extrem niedrigen Zinsniveau, das nach dem Votum der Briten noch weiter sinken könnte, sollte die Bank of England die Zinsen senken, um die wirtschaftlichen Folgen eines EU-Austritts des Landes abzufedern. Außerdem könnte angesichts der Unsicherheit die US-Notenbank ihre Zinserhöhung weiter herauszögern. Bank of America fielen um 7,4 Prozent und Goldman Sachs um 7,1 Prozent. JP Morgan verloren 6,9 Prozent. Nach Ansicht von Piper Jaffray ist die US-Spielzeugindustrie besonders betroffen vom Sieg des Brexit-Lagers, weil sie große teile ihres Umsatzes in Europa erzielt. Zudem sei traditionell Großbritannien in Europa der größte Markt für Spielzeug. Hasbro verloren 4,4 Prozent und Mattel 8,1 Prozent.

Asien: tiefrot

In Japan verliert der Nikkei knapp 8 Prozent auf 14.952 Zähler. Er schloss damit auf dem tiefsten Stand seit Oktober 2014. Erstmals seit 2013 war auch der Handel mit dem Nikkei-Future aufgrund hoher Handelsvolumina kurzzeitig ausgesetzt. In Australien verlor der Leitindex S&P/ASX fast 4 Prozent. Auch in Hongkong, Seoul und Shanghai drehten die Börsen ins Minus, ebenso in Taipeh, Wellington, Manila und Jakarta. "Das ist absolut außerordentlich", sagt Analyst John Wraith von der UBS Investment Bank. "Ein 'Schock' ist noch ein zu schwaches Wort dafür."

Autowerte und Banken im Abwärtssog

Mit dem scharfen Yen-Anstieg kamen in Tokio vor allem die Autowerte unter die Räder. Für Nissan ging es um 8,1 Prozent nach unten. Das Unternehmen hat den höchsten Verkaufsanteil in Großbritannien unter allen japanischen Auto-Herstellern. Toyota verloren 8,7 Prozent und Honda fielen um 8,3 Prozent. Auch die Bankenwerte standen unter Abgabedruck. So fielen vor allem die Kurse britischer Banken, die in Hongkong gelistet sind. Für HSBC ging es 6,6 Prozent nach unten, Standard Chartered verloren 9,5 Prozent. Im Verlauf hatten beide Aktien mehr als 11 Prozent eingebüßt.

Für die Aktie von Tata Motors ging es in Mumbai um 11,9 Prozent abwärts. Das zum Firmenkonglomerat von Milliardär Ratan Tata gehörende Unternehmen hatte im Jahr 2008 den britischen Traditionshersteller Jaguar Land Rover übernommen. Die Marken sind fast vollständig für den Gewinn von Tata Motors verantwortlich.

Rohstoffe: Kräftige Preisbewegungen

An den Rohstoffmärkten kam es ebenfalls zu kräftigen Preisbewegungen. Die global in Dollar gehandelten Rohstoffe litten einerseits unter der Aufwertung des Dollar, andererseits unter der Furcht, dass der Brexit die Konjunktur bremsen und damit die Nachfrage nach Rohstoffen dämpfen könnte. Der Preis für ein Barrel US-Leichtöl der Sorte WTI sank um 5 Prozent auf 47,57 Dollar. Brent-Öl verlor ähnlich stark.

Einen Satz um zeitweise fast 100 Dollar machte das Gold. Die Feinunze verteuerte sich um 4,5 Prozent auf 1.317 Dollar.

Quelle: ntv.de, bad/mli/rts/DJ

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