Kolumnen

Per Saldo Wer hat Angst vor Deflation?

Keiner? Das könnte ein Fehler sein. Die Milliardenpakete, die derzeit zur Rettung von Griechenland & Co geschnürt werden, beschwören zwar das Inflationsgespenst herauf. In dessen Rücken könnte sich aber ein viel schrecklicheres Monster verbergen.

Wovor müssen wir uns mehr fürchten? Inflation oder Deflation?

Wovor müssen wir uns mehr fürchten? Inflation oder Deflation?

(Foto: picture-alliance / dpa)

Seit Wochen, ach was, seit nunmehr gut zwei Jahren, werden die Gelddruckmaschinen der EZB über Gebühr strapaziert. Die milliardenschweren Rettungsprogramme, erst für die Banken, dann für die in Not geratenen EU-Mitglieder und nicht zuletzt für den Euro, bestimmen das politische und das Börsenparkett. So musste sich der Bundestag kurz vor Pfingsten um ein Euro-Rettungspaket von alleine 148 Mrd. Euro streiten. Bei soviel Liquidität steigt die Angst vor einer Geldentwertung, und nicht wenige fragen sich, ob sie sich nicht doch noch ein paar Goldbarren mehr unter das Kopfkissen legen sollten.

Ist eine Inflation in Europa aber schon ausgemachte Sache? Nein, meinen führende Ökonomen. Schließlich liege die Inflationsrate gerade mal bei einem Prozent und damit deutlich unterhalb der von der Europäischen Zentralbank angestrebten Schwelle von nahe zwei Prozent. Damit ist die Preisstabilität in der Tat verletzt. Aber nicht nach oben, sondern nach unten. Man muss sich also nicht vor einer Inflation fürchten, sondern vor dem Gegenteil – den dauerhaft fallenden Preisen, der Deflation.

Alles billiger? Super! Oder?

Nun klingt es erstmal nicht besonders bedrohlich, wenn das Leben günstiger wird – ganz im Gegenteil. Die Folgen für die Wirtschaft sind jedoch gravierend. Denn wenn die Preise fallen, verschieben private Haushalte Anschaffungen nach hinten, weil sie erwarten, dass die Preise weiter sinken. Auch Unternehmen halten ihre Investitionen zurück. Die Folge: Die Nachfrage bricht ein, Produktionskapazitäten werden nicht ausgelastet, die Arbeitslosigkeit steigt und es herrscht eine neue Rezession, in der weder Preissteigerungen noch Lohnerhöhungen durchgesetzt werden können. Damit wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die zu immer weiter fallenden Preisen führt. Mit anderen Worten: Für eine Inflation ist gar kein Platz. Denn wie Keynesianer argumentieren: Viel Geld alleine reicht nicht, damit es zu einer Geldentwertung kommt, beziehungsweise die Preise steigen. Es muss auch jemand etwas damit machen.

Und genau das ist in nächster Zeit unwahrscheinlich – denn es muss gespart werden. Um die riesigen Defizit-Löchern zu stopfen werden nicht nur die Sorgenkinder der EU den Gürtel so eng schnallen müssen, dass kaum Luft zum Atmen bleibt. Griechenland will in den nächsten Jahren 30 Mrd. Euro sparen, Spanien rund 50 Mrd. Euro bis 2013, Portugal 13 Mrd. Euro. Wie das gehen soll? Indem die Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt, die Renten geschrumpft und die Mehrwertsteuer angehoben werden. Keine guten Nachrichten für den privaten und öffentlichen Konsum. Auch für Deutschland sind das äußerst schlechte Nachrichten, gehören die EU-Länder doch zu den wichtigsten Export-Abnehmern.

Sparen bis zum Kollaps

Bereits bevor es richtig losgehen konnte mit dem Sparen, hat Spanien bereits Deflationsalarm geschlagen, nachdem die sogenannte Kernrate der Teuerung, ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie oder Lebensmittel, im April im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent sank. Auch in Deutschland macht sich die Spardisziplin schon bemerkbar, so sanken im ersten Quartal nicht nur die privaten Konsumausgaben sondern auch die Bruttoanlageinvestitionen. Und angesichts der hohen Beteiligung an dem EU-Schutzschirm wird in den nächsten Jahren auch in Berlin Schmalhans Küchenmeister sein. Schon warnt auch IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn vor zu einer rapiden Senkung der Defizite. "Wenn alle sagen, "wir schnallen unseren Gürtel enger", dann werden wir das Wachstum im Euroraum abbrechen". Denn wenn niemand mehr Geld ausgibt, können die Unternehmen auch nichts verkaufen.

Wie das aussehen könnte, kann man sich in Japan ansehen, wo nach Jahren der Entspannung erneut die Deflation um sich greift. Die Sparwut der Bevölkerung ist trotz eines Leitzinses von praktisch Null Prozent ungebrochen, die Preise fallen auf breiter Front und bremsen das Wachstum. Schon greift die Angst um sich, dass die stolze Nippon AG erneut ihrer chronischen Krankheit erlegen könnte.

Aber heißt das alles nun, dass man sich überhaupt keine Inflationssorgen machen muss? Leider nicht. Denn alles wird nun davon abhängen, wie schnell sich die Wirtschaft in Europa erholen wird und ob es der EZB gelingt, das überschüssige Geld wie versprochen wieder abzuschöpfen, in dem sie die eingesammelten Staatsanleihen wieder verkauft, oder ob dieser Exit versperrt sein wird und das Geld auf dem Markt bleibt. Im schlimmsten Falle könnten wir es also erst mit dem Deflations-Monster zu tun kriegen und wenn wir von Kampf erschöpft sind, in ein, zwei Jahren vom Inflationsgespenst heimgesucht werden.

Quelle: ntv.de

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