Kolumnen

Per Saldo Assange wirft das Handtuch

Viel Feind, viel Ehr? Fehlanzeige. Julian Assange sagt seinen nächsten Kampf ab. Eigentlich wollte der Wikileaks-Gründer bald in den Ring steigen und mindestens eine Wall-Street-Bank auf die Bretter schicken. Doch daraus wird nichts.

Julian Assange.

Julian Assange.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Julian Assange verfügt zweifelsfrei über ein großes Ego und jede Menge Selbstbewusstsein. Das hat der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks derzeit auch bitter nötig, denn von allen Seiten wird auf ihn eingeprügelt.

Die schwedische Staatsanwaltschaft verlangt die Auslieferung von Assange aus Großbritannien – sie will ihn wegen Vorwürfen von Vergewaltigung und sexueller Belästigung befragen. Assange wehrt sich nach Kräften, denn er sieht eine Überstellung nach Schweden lediglich als Vorstufe einer Auslieferung in die USA. Schließlich hatte Wikileaks Ende vergangenen Jahres zigtausende vertrauliche Dokumente aus US-Botschaften veröffentlicht, unter anderem zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Mit einem Hang zur Dramatik behaupten Assanges Anwälte, ihrem Mandanten könne in den USA Folter und Todesstrafe drohen.

Schlimmer noch, gefühlt jeden Tag erscheint ein neues, - gelinde gesagt – wenig schmeichelhaftes Porträt des 39-Jährigen. Als sei das nicht genug, veröffentlicht Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg zu allem Überfluss ein Buch, in dem er mit Assange abrechnet: "Gab es vier Scheiben Leberkäse, aß er drei und ließ mir nur eine, wenn ich zu langsam war."

Assange ist angezählt. Seine Nehmerqualitäten scheinen erschöpft zu sein und so sagt er den nächsten Kampf ab. Vollmundig hatte er im November angekündigt, der Wall Street bald einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Die Festplatte eines Managers der Bank of America mit fünf Gigabyte an Daten sollte die Branche erschüttern. Doch daraus wird wohl nichts.

Rückzugsgefechte

Assange gab der Nachrichtenagentur Reuters zufolge nun im privaten Kreis zu, er wisse gar nicht genau, ob die internen Informationen überhaupt skandalös seien. Er selbst sei nicht in der Lage, darin einen größeren Sinn zu erkennen. Finanzexperten müssten viel Zeit investieren, um bestimmen zu können, ob die Dokumente überhaupt berichtenswert seien. Das klang vor ein paar Wochen noch ganz anders. Damals hatte er getönt, die Dokumente könnten ein oder zwei Banken zu Fall bringen.

Doch schon als er daraufhin von "ungeheuerlichen Verstößen" und "unethischen Praktiken" der Finanzwelt sprach, legte sich die Aufregung. Immerhin hatte die Wall Street mühelos das weltweite Finanzsystem fast zur Explosion gebracht und die Weltwirtschaft in eine Rezession gestürzt. Was gibt es da noch zu enthüllen? Dass Banken Nuklearraketen besitzen und wild entschlossen sind, sie auch einzusetzen?

Das ist doch schon lange der Fall. Sie verbergen sich hinter der Bezeichnung strukturierte Finanzprodukte. Warren Buffett (sonst kein Friedensaktivist, sondern milliardenschwere Investmentlegende) hatte in diesen schon vor der Finanzkrise Massenvernichtungswaffen erkannt. Die Geschichte gab ihm recht. Mit Blick auf die angerichtete Zerstörung ist auch Assanges empörter Hinweis, die Dokumente zeigten, dass die Bankenaufsicht nicht funktioniere und Manager vorrangig ihre eigenen Interessen im Blick hätten, keine besonders originelle Erkenntnis.

Wer weiß, möglicherweise haben ihm seine Anwälte geraten, zurückzurudern. Schließlich hat Assange schon genug Ärger am Hals. Und seit Lehman Brothers ist eindrucksvoll belegt, dass es Wikileaks nicht braucht, um Banken ins Wanken zu bringen. Das bekommt die Branche ganz gut selber hin.

Aber wahrscheinlich sind die Dokumente tatsächlich nicht so brisant wie von Assange erhofft. Oder wie es einer seiner Anwälte laut "New York Times" in einer Weihnachtskarte ausdrückte: "Liebe Kinder. Der Weihnachtsmann, das sind Mami und Papi. In Liebe, Wikileaks".

Quelle: ntv.de

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