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Sparkurs in Griechenland Blankoscheck aus Brüssel

Der Albtraum an der Akropolis wird nur enden, wenn die EU den großen Sprung nach vorn wagt - oder den großen Schritt zurück.

Der Albtraum an der Akropolis wird nur enden, wenn die EU den großen Sprung nach vorn wagt - oder den großen Schritt zurück.

(Foto: picture alliance / dpa)

Griechenland erpresst die EU mit Selbstmorddrohungen. Die Politik der Hilfspakete ist damit endgültig gescheitert. Der Albtraum an der Akropolis wird nur enden, wenn die EU die Flucht nach vorn wagt, bevor Europa vollends zum Selbstbedienungsladen wird. Der Kontinent muss sich endlich entscheiden.

Es ist kaum mehr zu ertragen: Griechenland, ein Land mit 11 Millionen Einwohnern, führt auch nach der Wahl ganz Europa weiter an der Nase herum. Athen reitet sich in den Bankrott, bezahlt seine Schulden nicht und wird dafür mit Milliarden gerettet. Und was will die neue Regierung als erstes tun? Endlich alle Steuern eintreiben, den aufgeblähten Beamtenapparat verschlanken, Staatsbetriebe privatisieren? Nein. Sie fordert eine Lockerung der Sparschraube. Auch das neue Dreierbündnis des Konservativen Antonis Samaras ist keine Koalition der Willigen, sondern eine Front der Reformverächter. Trotzdem sieht alles danach aus, dass die EU ihr entgegenkommt und die Sparauflagen streckt. Sie will die neuen Konkursverwalter des Landes nicht gleich wieder ins Wanken bringen. Und den Euro genauso wenig.

Menschlich ist eine Lockerung geboten, weil die Griechen durch das Programm immer mehr verarmen. Ökonomisch ist es richtig, weil Griechenlands Wirtschaft das fünfte Jahr in Folge schrumpft und ein Euro-Aus Athens unkalkulierbare Folgen hätte. Politisch ist es aber ein verheerendes Signal: Zum ersten Mal lassen sich die Euro-Retter offen von einem Transferland erpressen. Die Spargegner in Athen haben Brüssel mit Selbstmord gedroht, dem Austritt aus der Eurozone, und sind damit durchgekommen. Hilfe ohne Gegenleistung - mit diesem Programm haben die Hardliner in Hellas nur hauchdünn die Regierungsmehrheit verpasst und die Eurozone zu Zugeständnissen gezwungen.

Es scheint eine Strategie mit Zukunft zu sein. Spanien muss für das Rettungspaket an seine Banken keine Sparauflagen erfüllen, Zypern wird bald unter den Rettungsschirm flüchten, auch Italien würde sich über einen Blankoscheck aus Brüssel freuen. Der Pakt, der die Eurozone in dieser Existenzkrise zusammenhalten sollte - Milliardenhilfen gegen Reformen - ist gebrochen. Wenn schon das kleine Griechenland für die Eurozone zu groß zum Scheitern ist, welches Erpressungspotential haben dann Schwergewichte wie Spanien oder Italien, wenn sie erst unter dem Rettungsschirm sind?

Europa muss den Sprung nach vorn wagen - oder den großen Schritt zurück

Deshalb braucht die Euro-Rettung, braucht Europa eine neue Geschäftsgrundlage. Die Politik der Rettungsschirme und halbgewalgten Hilfspakete, der Zitterpartien und Krisengipfel ist krachend gescheitert. Athen steuert auf ein drittes Rettungspaket und einen zweiten Schuldenschnitt zu. Im besten Fall hangelt sich das Land weiter von Hilfszahlung zu Hilfszahlung. Im schlimmsten Fall übernehmen bald doch noch die Hardliner die Macht, wenn der Druck der Straße zu groß wird.

Damit ist klarer denn je, dass nichts weniger als der große Wurf oder der große Crash diese Krise noch beenden können.  Angela Merkel, die Kanzlerin des Zauderns, schreckt davor zurück. Sie sollte den Mut für den großen Schritt nach vorn aufbringen, bevor nur noch der große Schritt zurück bleibt. Wenn Griechenland den Euro erst verloren hat, ist die Währungsunion dem Tode geweiht. Wenn das Prinzip Geld ohne Gegenleistung erst zur neuen Geschäftsgrundlage Europas geworden ist, ist es zu spät. Deutschland muss jetzt handeln. Dann kann Berlin wenigstens noch die Spielregeln des neuen Europa beeinflussen, bevor sein Portemonnaie vollends zum europäischen Selbstbedienungsladen wird. Oder es sollte den Euro eben scheitern lassen, mit allen fatalen Konsequenzen.

Deutschland zahlt sowieso, kann aber mehr bekommen

Die bittere Wahrheit ist, dass Deutschland so oder so zahlen muss - entweder in Form von Milliardenhilfen für seine überschuldeten Nachbarn oder beim Zusammenbruch der Währungsunion. Die Frage ist, was es für sein Geld bekommt. Scheitert die bisherige Rettungspolitik, wären Milliardenkredite für Griechenland, Portugal, Irland, Spanien verloren. Scheitert der Euro, müssten in Deutschland Banken und Unternehmen mit Steuergeld gerettet werden - bis zu 60 Prozent der Wirtschaftsleistung stünden auf dem Spiel.

Man kann lange und mit Recht die Fehler der Vergangenheit beklagen, die zu diesem Euro-Schlamassel geführt haben. Doch viel sinnvoller ist es zu fragen, wie dieses Geld wirkungsvoller und mit größerem Ertrag investiert werden kann. Die Griechen, Spanier, Italiener und der Rest von Transfereuropa verlangen von Deutschland mehr Solidarität und meinen damit vor allem einen Scheck aus Berlin. Sie wollen erst Geld sehen und sich dann (vielleicht) Gedanken über Reformen machen. Deutschland will erst Reformen sehen, bevor es den Scheck in Form von Eurobonds ausstellt.

Deutschland kann dieses Patt nur durchbrechen, indem es den Euro scheitern lässt oder eine echte Fiskalunion vorantreibt. Griechenland und andere Schuldenstaaten könnten sich dann nicht mehr auf Kosten ihrer Nachbarn verschulden, weil alle Euro-Länder gemeinsam in einer Wirtschaftsregierung über ihren Haushalt entscheiden und es ihnen notfalls verbieten. Für den Scheck aus Berlin müssten die Schuldenmacher echte Macht nach Brüssel abgeben. Das sollte die Geschäftsgrundlage sein, auf der ein neues Europa gedeihen kann.

Berlin würde dann wirklich etwas für sein Geld bekommen: Ein Europa, indem endlich die ökonomischen Ungleichgewichte beseitigt und die Wettbewerbsfähigkeit der Reformverweigerer gestärkt würde, auch zum Wohle der deutschen Wirtschaft. Der Tag nach der Eurokrise würde zum Gründungstag einer neuen Union, statt bloß zum Zahltag für Deutschland.

Das Volk sollte über Europas Fundament entscheiden

Europa wurde aus der Krise geboren, also kann es auch in der Krise wachsen. Es kann gestärkt daraus hervorgehen, wenn es Führung findet, die neue Einigkeit und Gemeinsinn inspiriert. Das europäische Haus braucht endlich ein neues, endlich ein tragfähiges Fundament. Auf den rauchenden Trümmern des zerfallenen Altbaus, der einmal Währungsunion hieß, lässt es sich nicht mehr errichten. Also braucht es neue Regeln, ein neues System – oder die Eurozone muss zerbrechen.

Diese Richtungsentscheidung müssen die Wähler treffen, am besten in einem Volksentscheid. Denn sie müssen mehr Europa wirklich wollen - oder eben weniger.  Natürlich braucht Griechenland den Euro mehr als die Eurozone Griechenland. Doch ob ein Euro-Aus für Athen bloß ein reinigendes Gewitter für die Währungsunion wäre oder der Auslöser eines Sturms, der die ganze Eurozone zerschmettert, ist die Frage. Dass die Wähler die richtige Antwort finden, ist nicht sicher. Aber wenigstens könnten sie sich nicht länger zu Recht über den Albtraum an der Akropolis beschweren.

Quelle: ntv.de

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