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Kolumne von Raimund Brichta Bens Kartenhaus

Je höher man ein Kartenhaus baut, desto eher droht ihm der Einsturz. Genau deshalb bekomme ich jedes Mal ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir die Bilanz der amerikanischen Notenbank anschaue. Hausherr Ben Bernanke hat dort nämlich ein riesiges Kartengebäude zusammengezimmert, indem er in Windeseile die Zahl der Stockwerke mehr als verdoppelte. Bauzeit: gerade mal drei Monate.

Damit half er im vergangen Jahr den privaten Banken aus der Patsche, die ihrerseits viel zu hohe Kartenhäuser in ihren Bilanzen aufgetürmt hatten - mit akuter Einsturzgefahr. Und nachdem bei Lehman Brothers ein solches Gebäude zusammengekracht war, musste alles ganz fix gehen: Überall mussten die fragilen Konstruktionen aus zweifelhaften Wertpapieren abgetragen werden, um einem Einsturz zuvorzukommen. Aber sie konnten nicht einfach zerlegt und gelagert werden, sondern man musste sie in einer anderen Bilanz aufbauen. Nur wo? Welche Bilanz könnte so etwas aushalten? Klar, die der Notenbank! Wenn es die Notenbank nicht verkraften kann, wer dann?

Turmbau zu Washington

Gedacht, getan: Ben Bernanke ließ die Kartenhäuser in einer einzigen Bilanz - nämlich in seiner - auftürmen. Sein daraus entstandener Turmbau zu Washington stellt inzwischen alles in den Schatten, was es an vergleichbaren Bauvorhaben jemals gegeben hat. Selbst die Luftschlösser, die Enron und Worldcom zur Jahrtausendwende in ihren Bilanzen aus dem Boden stampften, nehmen sich dagegen aus wie Hundehütten. Und aus diesen Hütten wurden immerhin die größten Bilanzskandale aller Zeiten!

Allerdings, so sagt man, hat Bens Kartenturm zumindest ein solides Fundament. Aber hat er das wirklich? Liegt das Fundament einer Bank nicht in ihrem Eigenkapital, das von den Eigentümern eingebracht wird? Nur dieses dient schließlich in stürmischen Zeiten als Stabilitätsanker, der einen Einsturz verhindern kann. Deshalb darf auch bei normalen Banken das Eigenkapital aus Sicherheitsgründen nie eine bestimmte Mindestgrenze unterschreiten. Nur für Notenbanken gibt es diese Vorschrift nicht. Mehr noch: Bernankes Bilanz wird nicht einmal von einer unabhängigen Stelle geprüft. Er wehrt sich sogar mit Händen und Füßen dagegen, dass eine Gruppe von Kongressabgeordneten mit ihrem Ansinnen durchkommt, eine solche Bilanzprüfung einzuführen. Ob er etwas zu verbergen hat?

Aber auch schon jetzt kann man unschwer erkennen, dass Bens Kartenhaus in der Notenbankbilanz auf lediglich 2 Prozent Eigenkapital ruht. Der Rest des Gebäudes, also 98 Prozent, ist auf Schulden gebaut. Angesichts eines solchen Verhältnisses bekäme jeder ehrbare Kaufmann Muffensausen. Nicht aber Ben Bernanke, der ja auch kein Kaufmann, sondern Notenbanker ist. Er baut lieber auf die herrschende Meinung, nach der eine Notenbank nicht Pleite gehen kann. Die isländische Zentralbank, die erst vor kurzem einer Pleite knapp entgangen ist, stellt für ihn offenbar eine Ausnahme dar. Island ist ja auch nur eine kleine, unbedeutende Insel und überhaupt nicht vergleichbar mit den großen Vereinigten Staaten.

Selbst aus dem Sumpf ziehen

Allerdings könnte Bernanke das Eigenkapital seiner Notenbank selbst dann kaum erhöhen, wenn er es wollte. Sie gehört nämlich nicht dem Staat, wie etwa die Deutsche Bundesbank, sondern den US-Geschäftsbanken. Und denen hat Bernanke ja gerade selbst erst aus der Patsche geholfen. Woher sollten sie also das Geld für eine Kapitalerhöhung bei der Notenbank nehmen? Vielleicht von der Notenbank leihen? So würde es vermutlich Baron von Münchhausen machen.

Noch ist es aber nicht notwendig, denn noch steht Bens Kartenhaus aufrecht, ohne zu wanken. Dass dies nicht einer soliden Bauweise zu verdanken ist, liegt auf der Hand. Es ist vielmehr dem Umstand zuzuschreiben, dass die ganze Welt den USA, ihrer Zentralbank und dem Dollar nach wie vor großes Vertrauen entgegenbringt. Nur dieses Vertrauen hält das Kartenhaus zusammen. Ein Vertrauen, auf das zwar schon seit Jahrzehnten Verlass ist, dessen sich die Amerikaner aber nicht auf ewig sicher sein können. Selbst ihnen könnte es einmal abhanden kommen - so wie es neulich der isländischen Notenbank abhanden kam.

In diesem Fall würden sich auch internationale Großspekulanten wie Hedgefonds trauen, gegen die US-Notenbank zu spekulieren. Bens Tower fiele dann zusammen, und ein riesiger Kartenhaufen bliebe übrig. Bernanke selbst wäre bis dahin aber vermutlich gar nicht mehr im Amt. Er dürfte sich dann schon als Pensionär seine Zeit vertreiben - beim Kartenspielen.

Quelle: ntv.de

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