Kolumnen

Inside Wall Street Versteckte Inflation quält USA

Von Deflation keine Spur. Die USA erleben derzeit vielmehr die Inflation der anderen Art. Die, die der Verbraucher nur auf den zweiten Blick oder gar nicht erkennt. Hersteller reduzieren seit Wochen klammheimlich ihre Packungsgrößen, um die Preise stabil zu halten.

Der Scheiblettenkäse "Kraft Singles" in der gewohnten Packung, die aber statt 24 nur noch 22 Scheiben enthält.

Der Scheiblettenkäse "Kraft Singles" in der gewohnten Packung, die aber statt 24 nur noch 22 Scheiben enthält.

(Foto: REUTERS)

Amerika beginnt das neue Jahr mit viel Hoffnung: für die Wirtschaft, für die Börse, für einen neu gewählten Kongress… aber auch mit vielen Sorgen: um die Wirtschaft, die hohe Arbeitslosigkeit, den schwachen Dollar, und die Inflation. Letztere war zuletzt – zumindest offiziell – nie ein Thema, zumal die Fed ihre jüngste Gelddruck-Politik mit einem deflationären Ausblick begründet. Doch ist Inflation in Amerika ein gewaltiges Problem, wenn auch ein kaum erkanntes.

Vor allem mit Blick auf den Verbraucher, immerhin die wichtigste Säule der amerikanischen Konjunktur kann Inflation auf zweierlei Weise kommen. Steigende Preise sind die eine Möglichkeit, und die wird recht schnell entdeckt. Ob an der Tankstelle, im Supermarkt oder im Service-Bereich, der Amerikaner schaut normalerweise sehr genau auf die Preise und schlägt Alarm, wenn es allzu steil nach oben geht.

Das setzt Corporate America gewaltig unter Druck, denn die steigenden Rohstoffkosten – für Öl und sämtliche Öl-Derivate, aber auch für landwirtschaftliche Güter – lassen sich nicht verleugnen. Man muss die Preise erhöhen … oder: sich etwas anderes einfallen lassen. Um den "sticker shock" zu vermeiden, wird man zunehmend kreativ, hält die Preise stabil und verringert einfach die Packungsgrößen. Und das ist die andere Art der Inflation, die sogenannte "versteckte Inflation", die der Verbraucher erst auf den zweiten Blick erkennt. Oder, im besten Fall, gar nicht.

Die amerikanische Verbraucherschutz-Organisation "Consumer Reports", die in Deutschland mit der "Stiftung Warentest" verglichen werden kann, berichtet aktuell über die neuesten Dreistigkeiten der US-Unternehmen. Die halten etwa an ihren mit Superlativen gespickten Slogans fest, rücken aber immer weniger Produkt heraus. Der Papier-Riese Georgia-Pacific beschriftet sein Toilettenpapier der Marke "Angel Soft" weiterhin mit "unser dickstes". "Dabei müsste es eigentlich 'unser kleinstes' heißen", meckert Stammkunde Brian Petrino. Dem fiel auf, dass eine Rolle "Angel Soft" seit neuestem statt 352 nur noch 300 Blatt liefert und diese auch noch schmaler geworden sind – zum gleichen Preis gibt es rund 20 Prozent weniger Papier.

Ob Zahnpasta, Eiskrem oder Thunfisch, amerikanische Hersteller haben in den letzten Wochen und Monaten ihre Packungsgrößen dramatisch reduziert und die Preise stabil gehalten – von Deflation ist hier nichts zu spüren.

Die PepsiCo-Tochter Tropicana füllt ihre Orangensaft-Kanister aktuell nur noch mit 59 statt der bisherigen 64 Unzen. Das sind 1,74 statt 1,9 Liter und ein Minus von fast 8 Prozent. Der im Dow Jones notierte Lebensmittelriese Kraft bietet seinen Scheiblettenkäse "Kraft Singles" in der gewohnten Packung an, die aber statt 24 nur noch 22 Scheiben enthält. Das entspricht einem Rückgang von 8,3 Prozent. Das Feinschmecker-Eis von Häagen-Dasz, das seit zehn Jahren zu General Mills gehört, füllt die Becher mit 14 statt 16 Unzen (0,41 statt 0,47 Liter) – ein Rückgang um 12,5 Prozent.

Der Dow-Riese Procter & Gamble, einer der größten Konsumartikler der Welt, verkauft sein "Ivory" Geschirrspülmittel seit neuestem in modern gestalteten Plastikflaschen. Die scheinen auf den ersten Blick genauso groß zu sein wie immer, halten aber nur 24 statt der bisherigen 30 Unzen (0,7 statt 0,89 Liter) und damit satte 20 Prozent weniger.

Manche Produkte betrügen den Verbraucher auf ganz besonders clevere Weise: Kraft bietet etwa den ultimativen US-Snack "Macaroni and Cheese" seit neustem nicht mehr mit Nudeln in der klassischen Maccheroni-Form an, sondern als Spirelli. Aufgrund der Form benötigen die mehr Platz, und so passen in die Verpackung nur noch 5,5 statt der bisherigen 7,25 Unzen (0,16 statt 0,21 Liter). Damit kauft der Verbraucher 24 Prozent weniger Käse-Nudeln als bisher. Und der von General Mills vertrieben Joghurt "Yoplait" steht seit einiger Zeit als luftige "Whip"-Variante im Regal – aufgrund der luftigeren Zusammensetzung passen nur noch 4 statt 6 Unzen (0,12 statt 0,18 Liter) in den Becher. Dem Kunden entgehen satte 33 Prozent.

Während Regierung und Notenbank zur Zeit offiziell keine Inflationsgefahr sehen, lohnt es sich für Verbraucher, bei jedem Einkauf genau hinzusehen. "Versteckte Inflation" ist die Gefahr der letzten Monate, und im neuen Jahr droht sich die Situation weiter zuzuspitzen. Für die Börse kann das nur heißen: Der Aufschwung lässt sich weiterhin gut verkaufen, stattfinden tut er allerdings nicht.

Quelle: ntv.de

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