Kolumnen

Inside Wall Street "Sell in May..." - oder lieber sofort?

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(Foto: REUTERS)

Glaubt man einer traditionellen Börsianerregel, ist der Mai der beste Monat, um sich mit Gewinnen aus dem Markt zu verabschieden. So lange sollten Anleger nach Einschätzung von n-tv-Korrespondent Lars Halter nicht warten, denn die kräftige Rally der vergangenen Monate entpuppt sich konjunkturell mehr und mehr als Luftblase.

Nach einer rekordverdächtigen Rally im ersten Quartal steht die Wall Street am Beginn der Ertragssaison – jetzt muss sich zeigen, ob die Fundamentaldaten von Corporate America die jüngsten Kursgewinne rechtfertigen. Danach sieht es zunächst nicht aus. Trotz guter Zahlen von Alcoa spricht zumindest eines gegen ein Kursplus von 15 Prozent: der gesunde Menschenverstand.

Alcoa hat unter den US-amerikanischen Unternehmen einen interessanten Stand: Der Alu-Riese arbeitet in einer langweiligen Branche, ist ein Zykliker und als Aktie eher träge. Für den heutzutage dominanten Hochfrequenz-Handel ist das Papier unbedeutend, und man schafft es selten in die Schlagzeilen – regelmäßig aber zu Beginn der Ertragssaison, wenn Alcoa als erster Dow-Wert die Bilanzen vorlegt und dann die Rolle des Indikators für ganz Corporate America übernehmen muss.

In dieser Rolle findet sich Alcoa auch jetzt wieder, und Anleger sind ratlos. Zwar hat das Unternehmen mit Umsatz und Gewinn die Erwartungen der Wall Street geschlagen. CEO Klaus Kleinfeld, einer von nur zwei deutschen Konzernchefs im S&P 500, spricht von einer "soliden Performance". Doch hat er kürzlich erst eine Gewinnwarnung ausgesprochen. Seit Jahresbeginn wurden die Erwartungen für Alcoa um über 30 Prozent gedrückt – diese niedrigen Ansprüche nun zu schlagen, ist nicht unbedingt eine Meisterleistung. Mit einem zeitweiligen Kursplus von 4 Prozent machte Alcoa zwar die Verluste der Vorwoche wett, ob die Gewinne aber Bestand haben, ist offen.

Letzte Konjunkturfunken erlöschen

Und das gilt auch für den Rest der US-Unternehmen, deren Aktien in den letzten drei Monaten eine gewaltige Rally erlebt haben. Ein Plus von 15 Prozent im ersten Quartal, das gab es seit 14 Jahren nicht mehr. Die Kraft der Bullen sorgte umso mehr für Verwunderung, als das ganze Quartal von eher mäßigen Konjunkturdaten dominiert war. Einzig vom Arbeitsmarkt gab es immer wieder Signale, die auf eine Stabilisierung deuteten – bis die aktuellen Zahlen der ersten April-Woche unerwartet schwach ausfielen. Gerade noch hatte Ben Bernanke den Arbeitsmarkt zum einzigen Lichtblick der US-Konjunktur erklärt, da verlosch auch dieser Funke. Ein Plus von 15 Prozent für die US-amerikanischen Aktienmärkte? Ein Plus auch für Alcoa, obwohl das Unternehmen sehr von einem konjunkturellen Aufschwung – global und auf dem heimischen Markt – abhängig ist? Da könnte man zu hoch gepokert haben.

Die Stimmung auf dem New Yorker Börsenparkett ist zur Zeit schwer zu messen. Auf der einen Seite stehen die Berufsoptimisten, die grundsätzlich von weiteren Kursgewinnen ausgehen. Auf der anderen Seite mehren sich die Stimmen der Zweifler, die jüngste Gewinne nicht rechtfertigen können. Trader hören von Anlegern, die Gewinne aus der Q1-Rallye mitnehmen wollen. "Sell in May and stay away" heißt es an der Börse – eine Weisheit, die sich durchaus selbst erfüllen kann. Aus Angst vor den Verkäufen anderer Investoren stößt der Anleger seine Papiere ab und lässt die Kurse damit selbst fallen. Und zur Zeit fragen sich viele: Lohnt es sich, bis Mai im Rennen zu bleiben? Der frühe Vogel fängt den Wurm, und an der Börse macht eben nach einer Rallye der frühe Verkäufer den größten Profit. Bis Mai will man Aktien nicht unbedingt halten, wenn sich dann ein Abwärtstrend einstellen soll.

Die Wall Street hat in der ersten April-Woche ein neues Vier-Jahres-Hoch markiert und fiel dann zunächst fünf Tage in Folge. Am Dienstag rutschten Dow Jones, Nasdaq und der marktbreite S&P 500 unter technisch bedeutende Niveaus. Das allen spielt den Bären – oder sagen wir: den Realisten – in die Hände, die seit Wochen und Monaten an der Stärke eines Aktienmarktes zweifeln, der die Realität der amerikanischen Konjunktur verleugnet. Was sich von der erstaunlichen Rally im ersten Quartal durch das Jahr retten lässt, dürfte sich in den nächsten Wochen zeigen, wenn die gesamte US-Industrie, der Finanzsektor, die Hightechs, Verbraucherriesen, Einzelhändler und alles was sonst Rang und Namen hat, ihre Quartalszahlen vorlegen und Anleger entscheiden müssen, ob jüngste Gewinne gerechtfertigt oder überzogen waren.

Quelle: ntv.de

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