Kolumnen

Inside Wall Street Billigheimer in der Krise

Zugpferd für Wal-Mart ist der Handel im Ausland. hier wird in Brasilien geshoppt.

Zugpferd für Wal-Mart ist der Handel im Ausland. hier wird in Brasilien geshoppt.

(Foto: REUTERS)

Anleger wissen, dass sich aus den Quartalszahlen eines Unternehmens nicht zwingend auf die allgemeine Lage der Konjunktur schließen lässt. Ein besonders trügerisches Bild kommt jetzt allerdings vom größten US-Einzelhändler Wal-Mart. Der profitiert wegen seiner Niedrigpreise normalerweise von einer konjunkturellen Abkühlung – doch die aktuellen Zahlen lassen befürchten, dass selbst dem Billigheimer die Kunden ausgehen.

Auf den ersten Blick steht Wal-Mart ganz gut da: Für das zweite Quartal verbucht man ein Gewinnwachstum um 3,6 Prozent, weshalb man auch ganz optimistisch die Prognosen für das laufende Jahr anhebt. Keine große Überraschung, mag sich manch ein Beobachter zunächst gedacht haben, denn bei Wal-Mart verzeichnet man üblicherweise Kundenzuwächse, wenn es im Land schlecht läuft. Wer vorher bei Modeketten eingekauft hat, der shoppt plötzlich bei Target; wer vorher bei Target eingekauft hat, der wandert zu Wal-Mart ab – die Einkaufstour muss billiger werden.

Offensichtlich sind die USA nun aber auf dem Tiefpunkt angekommen. Das aktuelle Wachstum selbst bei Wal-Mart kommt nicht aus dem eigenen Markt, sondern aus China, Brasilien und Mexiko. Die internationalen Töchter der Kette wachsen rasant, während die Umsätze zwischen Maine und Kalifornien rückläufig sind. Kostensenkungen in den US-Läden haben zudem die Margen erhöht.

Keiner ist überrascht

An der Wall Street haben die Zahlen von Wal-Mart keine dramatischen Reaktionen ausgelöst. Das könnte daran liegen, dass Anlegern die Unternehmenszahlen – und damit die direkten Aussichten für die Aktie – wichtiger sind als das große Ganze; es ist aber auch denkbar, dass man selbst von den Hintergründen der Bilanz nicht wirklich überrascht war. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Offiziell liegt sie zwar unter 10 Prozent, kritische Experten halten aber eine tatsächliche Arbeitslosenquote von mehr als 12 Prozent für realistisch.

Washington diskutiert fast jede Woche darüber, ob und inwiefern der Staat den Langzeitarbeitslosen helfen solle. Die Republikaner haben eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes lange blockiert, bis sie von der Mehrheit der Demokraten endlich doch beschlossen werden konnte. Zurzeit können Amerikaner ohne Job bis zu 99 Wochen auf staatliche Unterstützung bauen. Das reiche nicht, schimpfen die Betroffenen, die sich mittlerweile "die99er" nennen, und sie haben leider recht.

Großbaustelle Arbeitsmarkt

Denn obwohl die Republikaner den Langzeitarbeitslosen Faulheit vorwerfen und mit ihrer Polemik versuchen, Wählerstimmen für den kommenden November zu gewinnen, sprechen doch die Zahlen gegen diese Sicht. Auf 15 Mio. arbeitslose Amerikaner kommen zurzeit etwa 3,0 Mio. offene Stellen.

Und für jede Geschichte von einem Arbeitslosen, der auf einem gewissen Niveau nicht arbeiten will, gibt es zahlreiche von Unternehmen, die Bewerber aus den unterschiedlichsten Gründen ablehnen. Wer überqualifiziert ist, ist für Firmen oft nicht interessant. Man fürchtet, dass solche Kandidaten in einem besseren wirtschaftlichen Umfeld schnell wieder weg sind. Auch ältere Arbeitslose haben am Markt keine Chance.

Amerika ist zurzeit gut beraten, die Arbeitslosen weiterhin zu unterstützen, denn nur das kurbelt die Konjunktur an. Die Zahlen von Wal-Mart beweisen wovor Experten lange gewarnt haben: Staatliche Hilfe für die Reichen – etwa in Form von Steuersenkungen – bringt die Wirtschaft nicht voran, doch Unterstützung für die Unterschicht – etwa in Form von verlängertem Arbeitslosengeld – zahlt sich aus, denn hier werden die Gelder direkt investiert, unter anderem in Einkäufe bei Wal-Mart, wo keine Luxus-Bedürfnisse gestillt werden, sondern die Nachfrage nach Basisprodukten vorherrscht.

Quelle: ntv.de

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