Kolumnen

Inside Wall Street Anreize für die Unterschicht

Aufruf gegen Jugendarbeitslosigkeit in Baltimore: Die Arbeitlosenquote liegt hier bei den 20- bis 24-Jährigen bei 15 Prozent. Damit ist sie doppelt so hoch wie die bei den über 55-Jährigen.

Aufruf gegen Jugendarbeitslosigkeit in Baltimore: Die Arbeitlosenquote liegt hier bei den 20- bis 24-Jährigen bei 15 Prozent. Damit ist sie doppelt so hoch wie die bei den über 55-Jährigen.

(Foto: REUTERS)

Der amerikanische Traum ist für viele schon lange ausgeträumt. Vor allem die Unterschicht guckt seit der Krise in die Röhre. Statt den Konsum im großen Stil anzukurbeln, beschränkt sich Washington darauf, Top-Verdienern Steuergeschenke zu machen. Die Rechnung kann nicht aufgehen.

Barack Obama hat sich den Republikanern gebeugt und das Steuerprogramm für Reiche verlängert.

Barack Obama hat sich den Republikanern gebeugt und das Steuerprogramm für Reiche verlängert.

(Foto: Reuters)

Wenn sich die Wall Street in diesen Tagen zurückzieht und der Dow-Jones-Index langsam wieder unter 12.000 Punkte rutscht, dann liegt das vor allem an der miserablen Konjunktur. Die meisten Unternehmen stehen nach wie vor ganz gut im Futter, doch hohe Arbeitslosigkeit, nachlassender Industrieausstoß, fallende Immobilienpreise und ein miserables Verbrauchervertrauen machen wenig Hoffnung auf Stabilität und Sicherheit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Über den traditionellen Kosenamen für die USA sollte man einmal nachdenken. Er müsste dringend geändert werden, denn in Amerika sind die Möglichkeiten heutzutage sehr begrenzt. Vor allem mit Blick auf die soziale Mobilität, die einmal mit dem berühmten Slogan beworben wurde. Vom Tellerwäscher zum Millionär – so geht die Sage vom amerikanischen Traum. Und ein Traum ist das ganze heute, denn man muss schon tief schlafen, um noch daran zu glauben.

Die soziale Mobilität der US-Amerikaner, also die Möglichkeit, sich aus der Unterschicht in die Mittelschicht oder noch weiter nach oben zu arbeiten, ist deutlich geringer als in den meisten Industrienationen. Washington tut nichts dafür, dies zu ändern. Je mehr die Politik in die Hände von Corporate America fällt, je mehr die Demokratie zur Oligarchie verkommt, desto schwieriger wird es für alle, die nicht zur auserwählten Oberschicht gehören. Die kämpfen mit hoher Arbeitslosigkeit in einem Staat, der sich nicht einmal mehr Reparaturen an der Infrastruktur leisten kann.

Sinnlose Steuerprogramme für Millionäre

Dafür gibt es Steuersenkungen für die Top-Verdiener. Ökonomen sind sich einig, dass diese – zuletzt von George W. Bush eingeführt und von Barack Obama verlängert – in Sachen Wirtschaftswachstum keinen Beitrag leisten. Die "Patriotic Millionaires" machen sich gerade in einer organisierten Kampagne für höhere Steuern stark. Die Großverdiener geben zu, dass sie nicht in gebührendem Maße zur Kasse gebeten werden. Paul Egerman, Gründer des Medizin-Dienstleisters eScription sagt: "ich weiß gar nicht, wie viel ich durch die Steuersenkungen der letzten Jahre gespart habe. Mindestens zehn Millionen." Was hat er damit gemacht? "Gar nichts", sagt Egerman, "ich habe es einfach behalten."

Washington stellt sich taub.

Washington stellt sich taub.

(Foto: picture alliance / dpa)

Frank Patitucci, CEO von NuCompass und ebenfalls ein "Patriotic Millionaire", war in den letzten Jahren "etwas mehr auf Reisen als sonst", sieht aber auch nicht, wie seine niedrigen Steuern Arbeitsplätze schaffen oder dem Land sonst helfen könnten. Dennis Mehiel, CEO des Karton-Herstellers US Corrugated, hat sich hingegen eine größere Yacht bestellt. Doch die wurde in Italien gebaut, half der US-Konjunktur also auch nicht auf die Sprünge. Einzig Dal LaMagna, Gründer der Kosmetikfirma Tweezerman, kann einen kleinen Beitrag vorweisen. In seinem Haus im Nordwesten der USA hat er einen Tanzboden einbauen lassen. "Ich brauche den gar nicht", lacht er. "Das war mehr so ein privates Konjunkturpaket für die Leute in meiner Stadt."

Das System auf den Kopf stellen

Unter Experten ist unumstritten, dass Steuersenkungen für die Oberschicht die Konjunktur nicht anfachen. Effektive Hilfestellung für die Wirtschaft ist nur am anderen Ende der Skala möglich: bei den Geringverdienern. Eine aktuelle Studie des Center for American Progress in Washington empfiehlt – nicht zum ersten Mal – den Mindestlohn für US-amerikanische Arbeiter anzuheben. Der liegt zurzeit bei 7,25 US-Dollar pro Stunde oder rund 15.000 US-Dollar im Jahr. Wenngleich höhere Löhne die Margen der Unternehmen schmälern, fließen sie direkt in den Wirtschaftskreislauf. Wer sich mehr leisten kann, gibt mehr Geld aus – wenn er nicht schon alles hat.

Heidi Shierholz, Volkswirtin des liberalen Economic Policy Institute, sagt: "Den Arbeitern bleibt in ihrer Situation nichts anderes übrig, als ihr höheres Einkommen auszugeben. Das ist direkter Stimulus für die Konjunktur." Die Unternehmen, so die Expertin, müssen dabei keineswegs auf der Strecke bleiben. Höherer Konsum ist höhere Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen. Die möglicherweise schmaleren Margen können durch Volumen ausgeglichen werden.

Washington wird auf die erneuten Ratschläge der Linken wohl nicht reagieren. Die Politik ist in den letzten Jahren so in Richtung der Unternehmen gekippt, dass jeder Versuch, Arbeiter zu stärken, zum Scheitern verurteilt ist.

Quelle: ntv.de

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