Wirtschaft

Die Busch-Trommel Unwetterwarnungen

Unkenrufe von Euro-Pessimisten treffen bei Anlegern auf taube Ohren. Die Börse lasse sich lieber von den Wunschvorstellungen leiten als von nüchternen Überlegungen, meint Börsenkommentator Friedhelm Busch. Doch ohne die Hilfe aus China und den USA drohe eine Kaltwetterfront.

Friedhelm Busch

Friedhelm Busch

Orkanstürme im Mittelgebirge, Schneechaos und Lawinenwarnungen in den Alpen, Regen- und Graupelschauer an der Küste. Die jüngsten Wettervorhersagen für Deutschland waren wahrlich aufregend.

Ganz anders dagegen die Stimmung an der Börse. Statt über die Tiefausläufer der Eurokrise zu jammern, setzen überraschend viele deutsche Privatanleger auf eine anhaltende Hochdruckzone über dem Aktienmarkt. Beim Dax seit Jahresanfang ein Plus von 8 Prozent. Das kann sich sehen lassen.

Wer noch vor wenigen Wochen voller Sorge auf die schwindenden Überlebenschancen der spanischen oder italienischen Wirtschaft geschaut hat, der ist inzwischen aus dem Lager der Pessimisten zu den Optimisten übergelaufen. Nicht, weil man plötzlich überzeugt wäre von den lauthals verkündeten Sparabsichten und Wachstumsprognosen der neuen Regierungschefs in Madrid oder Rom, vielmehr haben die jüngsten Liquiditätshilfen der EZB wieder Mut gemacht. Fast 500 Mrd. Euro haben die Banken im Euroraum von der EZB für den ungewöhnlich langen Zeitraum von drei Jahren zum extrem niedrigen Zinssatz von 1 Prozent erhalten und dafür zehnjährige italienische und spanische Staatsanleihen gekauft. Der von der Politik erhoffte Effekt trat prompt ein: Die Kurse der betreffenden Staatsanleihen stiegen, umgekehrt sanken ihre Renditen von über 7 Prozent auf deutlich unter 6 Prozent.

Von den Anlegern wurde diese Zinssenkung sofort als Beginn einer allmählichen Gesundung der beiden europäischen Krisenländer interpretiert. Vermutlich ein Missverständnis! Aber manchmal lässt sich die Börse halt lieber von den eigenen Wunschvorstellungen leiten als von nüchternen Überlegungen. Dass Griechenland trotz einer sehr wahrscheinlichen Umschuldung nicht von der Liquiditätshilfe der europäischen Notenbank profitiert hat und weiterhin von den internationalen Finanzinvestoren gemieden wird, irritiert übrigens kaum noch, denn dieses Land haben die Finanzmärkte offenbar längst aufgegeben. Lediglich der Zeitpunkt der Pleite ist noch offen.

Angesichts der permanenten Euro-Rettungsrunden sind die Anleger zwar allmählich schmerzunempfindlich geworden, doch das allein erklärt noch nicht die gute Stimmung am Aktienmarkt. Es bleibt die für die Börse letztlich entscheidende Frage nach dem künftigen Wirtschaftswachstum. Die deutsche Konjunktur hängt zu einem großen Teil ab vom Export in die europäischen Nachbarländer. Und die hier zu erwartende Abkühlung wird natürlich Auswirkungen haben auf die deutschen Unternehmensgewinne und damit auf die Aktienkurse. Glaubt man allerdings den politischen Gesundbetern in Berlin, entwickelt sich die deutsche Binnenwirtschaft zunehmend zur tragenden Säule unserer Wirtschaft. So sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Löhne hierzulande im vergangenen Jahr deutlich gestiegen und damit auch die Einnahmen der Sozialkassen, während die Sozialausgaben entsprechend gefallen sind. Das ist richtig, doch sind das Daten und Fakten aus dem vergangenen Jahr, die sich angesichts der von Brüssel angeordneten Sparmaßnahmen in den EU-Krisenländern wohl kaum in diesem Jahr fortschreiben lassen.

Besser mal warm anziehen

Soll es heuer nicht zu einem überraschenden Kälteeinbruch in der deutschen Wirtschaft und an der Börse kommen, brauchen wir also, noch mehr als in den Jahren zuvor, die Hilfe aus dem außereuropäischen Ausland. Genauer: Aus den USA und aus China.

Über Amerika hat sich zum Glück schon vor Wochen eine leichte Hochdruckzone aufgebaut. Die Beschäftigung in den USA nimmt zu, und gleichzeitig beruhigt sich der Preisauftrieb. Zudem wird die US-Notenbank schon wegen der bevorstehenden Präsidentenwahl wohl kaum ihre Politik des billigen Geldes beenden. Bleibt das Fragezeichen hinter der chinesischen Konjunkturpolitik. Am Konjunkturaufschwung in dieser Boomregion Asiens haben seit 2009 gerade die deutschen Maschinen- und Autobauer glänzend verdient. Doch nun verlangsamt sich der Aufschwung in China. Das Wirtschaftswachstum, das bereits im letzten Jahr nur noch knapp über 9 Prozent gelegen hat, könnte sich weiter abschwächen auf unter 8 Prozent.. Ein Grund sind zweifellos die sinkenden Exporte. Schließlich spürt auch China mit seinen Billig-Exporten die Folgen der europäischen Schuldenkrise. Doch bedeutender ist die Angst der chinesischen Regierung vor den Folgen einer Konjunkturüberhitzung im eigenen Lande, beispielsweise auf dem hoch spekulativen Immobilienmarkt oder im überhasteten Anlagenbau mit seinen ungenutzten Kapazitäten. Um inflationäre Tendenzen bei den Wohnungspreisen, den Löhnen und den Nahrungsmitteln zu stoppen, hat die kommunistische Zentralregierung jüngst die Kreditvergabe drastisch gedrosselt, die gegenwärtige Abkühlung also bewusst herbeigeführt. Setzt sie diese Politik fort, werden gerade die deutschen Unternehmen deutliche Absatz- und Gewinneinbußen erleiden, die vom China-Boom profitiert und Deutschland 2009 vor einer Rezession bewahrt haben.

Die aktuellen Kursgewinne konjunkturabhängiger Werte im Dax deuten aber auf ein ungebrochenes Vertrauen in die chinesische Konjunktur. Offenbar glauben die Anleger hierzulande deshalb nicht an einen gravierenden Abschwung, weil die chinesische Regierung bei einer rigiden Konjunkturberuhigung soziale Unruhen unter der eigenen Bevölkerung befürchten muss. Das Vertrauen in die chinesische Führung, diesen schwierigen Balanceakt zwischen notwendiger Inflationsbekämpfung und ausreichendem Wirtschaftswachstum zu meistern, lässt die Ängste der Anleger schwinden und treibt die Aktienkurse. Sollte sich diese Erwartung aber nicht bewahrheiten, stehen den Börsen ähnliche Wetterkapriolen bevor wie wir sie zurzeit in der Natur erleben. Trotz der angenehmen Temperaturen an den Finanzmärkten sollten die Anleger wetterfeste Kleidung griffbereit halten.

Quelle: ntv.de

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