Wirtschaft

Frank Meyer Obama führt, Wall Street regiert

Die Offensive des US-Präsidenten war beeindruckend. Aber war sie auch mehr als ein PR-Gag? Telebörsen-Moderator Frank Meyer hegt berechtigte Zweifel.

Frank Meyer.

Frank Meyer.

Harte Worte von US-Präsident Barack Obama. Er erklärte den Banken den Krieg, will ihre Macht beschränken, ihre Klettergerüste und Karusselle auf den Spielwiesen abbauen lassen. War es ein PR-Gag? Vielleicht. Zumindest sind es Worte, denen irgendwie auch Taten folgen sollten.

Die Wall Street erschreckte sich und knickte vorsorglich erst einmal ein. Weltweit lösten sich die mühsamen Kursgewinne der letzten Wochen in Luft auf. Es wäre töricht zu glauben, dass die Wall Street tatenlos zuschaut, wenn Obama damit durchkommen möchte. Vielleicht will er das auch gar nicht wirklich, zumindest hat er aber ein massentaugliches Thema, denn die Stimmung im Land ist inzwischen gegen ihn. Und gegen die Banker sowieso. Nur noch 47 Prozent unterstützen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Würde er den Krieg gegen die Banken gewinnen, verschwände die Liquidität. Banken wären zum Spekulieren auf dem Trockendock angewiesen. Normale Bankmodelle mit dem Verleihen von Geld, das aus dem Nichts erschaffen wird, sind bei weitem nicht so profitabel wie das Investmentbanking mit all seinen grenzenlosen Möglichkeiten. Zudem würde die aufgeblähte Kreditwirtschaft implodieren, was wieder neue Schwierigkeiten zur Folge hätte.

Die Minuszeichen an Wall Street könnten auch als Gruß an die Regierung verstanden werden, als kleine Warnung oder auch als Kaufgelegenheit für alle, die den Trend verschlafen oder bislang vergebens auf Korrekturen gewartet haben. Hohe Aktienkurse sind in den USA immens wichtig, fußt doch ein großer Teil der Altersversorgung darauf. "Obamas Aktiencrash" wäre keine gute Schlagzeile für den Präsidenten.

Hinter den Kulissen

Obama hält brillante Reden, solange ihn ein Teleprompter dabei unterstützt. Schreibt er seine Reden selbst? Man weiß es nicht, zu vermuten wäre, dass Einflüsterer hinter dem mächtigsten Mann der Welt stehen. Obama ist das Sprachrohr derer, die ihn unterstützen. Und man soll keine Hand schlagen, die einen füttert. Letzte Woche wurde in den USA ein Gesetz verabschiedet, das Spenden an Parteien jetzt in unbegrenzter Höhe erlaubt. Größere Spenden könnten demzufolge auch etwas mehr als bisher bewirken. Es kommt auf den Zweck an. "Lobbykratie" als neue Wortschöpfung macht inzwischen auch hier die Runde. Und US-Präsidenten sind bei weiten nicht mehr so unabhängig wie früher. Heute werden Böcke zu Gärtnern gemacht. Eine enge Verflechtung zwischen Finanzindustrie und Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft funktioniert in beide Richtungen, schaut man in die Biographien der Akteure.

Es ist sicherlich nur Zufall, dass die wichtigsten Köpfe um Obama Diener vieler Herren der Wall Street waren, eng mit ihr verbunden oder auch noch verbunden sind. Finanzminister Timothy Geithner kam kürzlich wegen seiner geheimen Korrespondenz mit AIG als damals oberster Bankenaufseher ins Gerede. Henry Paulson, Finanzminister unter Bush und früherer CEO von Goldman Sachs wird wegen seines Bankenrettungsplans zugunsten der Großbanken kritisiert. Unter Mitwirkung von Obamas jetzigen Chef-Wirtschaftsberater Lawrence "Larry" Summers und seinem damaligen Chef Robert Rubin (Ex Goldman Sachs) kam es 1999 zur Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes, das seit 1932 die Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken zementierte. Damit war der Weg für das Produzieren von Finanzmüll und auch dessen Verschiffung ins Ausland frei, was 2008 zum Beinahe-Kollaps des weltweiten Finanzsystems führte. Kontrollen des außerbörslichen Handels mit Kreditderivaten wurden gekonnt ausgebremst.

Ein Fass läuft über

Eine Studie des "Wall Street Journal" kommt für das letzte Jahr auf Bonuszahlungen in Höhe von 146 Milliarden US-Dollar, sechs Prozent mehr als im Rekordjahr 2007. Dass das beim Normalbürger alles andere als Beifall auslöst, wird Obama wohl verstehen. Mit einer Sonderabgabe von 90 Milliarden US-Dollar will er einen Teil der 700-Milliarden schweren Rettungssumme wieder hereinholen. Das klingt viel, doch angesichts der im letzten US-Fiskaljahr neu aufgenommenen Schulden in Höhe von 1.910 Milliarden US-Dollar wirken diese 90 Milliarden wie ein kurzer Schauer auf einem glühend heißen Stein.

Dem Bürger ist kaum zu vermitteln, dass der Staat einerseits die Banken aus ihrem Schlamassel herauspaukt, sie andererseits mit Notenbank – und Steuergeld spekulieren, als hätte es nie Probleme gegeben. Das kann nicht gut gehen. Es kann auch nicht gut gehen, wenn sich der Präsident mit den mächtigsten Banken der Welt anlegt. Sorgen um sein Leben machen die Runde. Als Messias angekündigt, Held gefeiert und als Friedensengel inmitten zweier Kriegen ausgezeichnet, liegen Obamas Popularitätswerte nun so tief wie die Verstrickungen in einem Sumpf aus Betrug. Von daher kann seine Rede als pure Beruhigungspille für das Volk betrachtet werden, das Billionen neuer Schulden zu stemmen hat, gleichzeitig aber mit dem eigenen wirtschaftlichen Niedergang kämpft und auch begreift, dass es als Geisel der Finanzindustrie genommen wurde. Es regt sich Widerstand. "Tea Partys" und Aufrufe, das Geld von staatlich gestützten Banken abzuziehen, sind nur zwei Beispiele seines Protests. Der Betrug ist zu riechen, die Sache ist aufgeflogen, der Staat hat sich mit der Übernahme der Risiken der Monsterbanken an den Rand seiner Zahlungsfähigkeit gebracht.

"Wir werden es einfach nicht mehr akzeptieren, dass Banken mit Hedgefonds hoch spekulieren und sich dabei auf die Sicherheit der Steuergelder verlassen." sagte Obama. Stammt die Idee von ihm? Mitnichten. Sie trägt die Handschrift von Paul Volcker, dem früheren Fed-Chef unter Ronald Reagan und jetzigen Berater des Präsidenten. Volcker ist dafür bekannt, Nägel mit Köpfen zu machen. Als er 1980 wegen der ausufernden Inflation die Leitzinsen bis auf fast 20 Prozent hochzog, konnte er das Ruder noch einmal herumreißen. Er hat die Teuerung in den Griff bekommen und den Dollar damit gerettet, während auf den Stufen des Capitols aus Protest seine Portraits verbrannt wurden. Volcker weiß, wie die Dinge laufen. Doch kann er sich erneut durchsetzen?

30 Jahre später

Die Verschuldung des Staates liegt bei 12,3 Billionen USD, die Verschuldung aller Wirtschaftssubjekte beträgt unvorstellbare 56 Billionen USD (Staat, Bundesstaaten, Banken, Private) und damit 370 Prozent des US-BIP. Der Dollar ist, obwohl noch Weltleitwährung, längst nicht mehr das wert, was er einmal war. 12,4 Prozent der US-Bevölkerung wird durch Lebensmittelkarten unterstützt. Die eigentlich Regierenden sind aus der Finanzindustrie. Um die Misere zu kaschieren, werden Statistiken verbogen und eine bessere Welt verkauft. Gleichzeitig spielt China mit den Amerikanern ein finanzielles Katz- und Maus-Spiel. Am Morgen schlägt es Windschutzscheiben ein und sitzt am Nachmittag mit am Kaffeetisch.

Keine Mehrheit

Der Zeitpunkt für Obamas Rede lässt sich auch mit der innenpolitischen Lage erklären. Am 2. November werden 36 der 100 Senatoren neu gewählt und auch 435 Mitglieder des US-Repräsentantenhauses. Letzte Woche ist mit dem Wahlsieg des republikanischen Senators Scott Brown in Massachusetts Obamas strategische Senatsmehrheit von 61 der 100 Stimmen verloren gegangen. Nun könnten die Republikaner alle Gesetze der Demokraten verhindern. Nicht nur die Banken sollte Obama nun gegen sich haben, die Opposition sowieso und auch einige Leute aus seinen Reihen, ist in den Zeitungen zu lesen.

Soweit in Erfahrung zu bringen ist, wurde bislang kein einziges Gesetz für schärfere Bankenkontrollen umgesetzt, trotz der bisherigen Mehrheit im US-Senat. Im Gegenteil. Erst am 24.12.2009 schenkte die US-Regierung den Hypothekenzombies Fannie Mae und Freddie Mac unbeschränkten Kredit. Und nun soll alles neu, besser und strenger werden? Ich staune Bauklötze, während ich Obamas Worte höre. Und mir fehlt der Glaube.

Quelle: ntv.de

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