Kommentare

Die Busch-Trommel Narrenschiff Deutschland

Die politischen Argumente für den vorgezogenen Ausstieg aus der Kernenergie sind verwaschen und unaufrichtig. Angefeuert von der Zustimmung ihrer Wähler an Deck steuern die Politiker das Narrenschiff mit voller Fahrt und ohne die geringste Sicht aufs nächste Riff.

Friedhelm Busch

Friedhelm Busch

Man könnte leicht geneigt sein, die Bundesrepublik Deutschland nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima mit dem Narrenschiff aus der Feder des mittelalterlichen Satirikers Sebastian Brant zu vergleichen. Denn was Politiker aller Parteien uns Bundesbürgern derzeit als zukunftsweisende neue Energiepolitik verkaufen, hat in der Tat nur wenig zu tun mit Vernunft und Logik. Und schon gar nichts mit Ehrlichkeit.

Allein aus Gründen der Sicherheit müsse die Bundesrepublik eher heute als morgen auf die friedliche Nutzung der Atomkraft in Deutschland verzichten, heißt es. Dies sei man dem erklärten Willen einer deutlichen Mehrheit im Lande schuldig. Und als Beweise dafür werden das Wahlergebnis in Baden-Württemberg mit dem überwältigenden Zuspruch für die grüne Antiatompartei angeführt und die medienwirksame Straßenumzüge gegen Kernkraftwerke.

Die nächste Wahl im Blick

In Wirklichkeit aber sind es die andauernden katastrophalen Umfrageergebnisse für die eigene Regierungsarbeit, die letztlich diesen hektischen Meinungsumschwung bei Merkel und Co herbeigeführt haben. Dass auch die SPD beim deutschen Wahlvolk ins Bodenlose sinkt, kann die Union nur wenig trösten. Nun hat es Proteste gegen Atomkraftwerke schon immer gegeben. Auch aus ehrlicher Überzeugung. Aber sie waren in Deutschland auf lange Sicht nie mehrheitsfähig, selbst nach Tschernobyl nicht. Ob nun die gegenwärtige Stimmungslage in der Bevölkerung eher den aktuellen Fernsehbildern von den Explosionen in japanischen Kernkraftwerksblöcken und den Horror-Schlagzeilen der Presse geschuldet ist oder einem wirklichen Sinneswandel, das wird sich erst dann erweisen, wenn die schrecklichen Berichte aus dem fernen Japan von anderen Ereignissen überlagert und allmählich verdrängt werden.

Doch das kann noch eine lange Zeit dauern. Zeit, die die Politiker aller Parteien aber nicht haben. Denn schon bald steht die nächste Bundestagswahl an, gilt es, mit der veröffentlichten Meinung zu schwimmen, will man nicht die eigene politische Macht gefährden oder ihre Rückeroberung für die nächsten Jahre in den Wind schreiben. Wer aber gestern noch in aller Öffentlichkeit die Atomkraft als sicher, preiswert und klimafreundlich propagiert hat und für eine wenn auch begrenzte Zeit als unerlässlich für die deutsche Wirtschaft, der tut sich natürlich schwer, dem Land heute seine plötzliche Abkehr von der Kernenergie zu erklären.

Dreiste Verharmlosung

Dementsprechend verwaschen und unaufrichtig sind jetzt die politischen Argumente für den vorgezogenen Ausstieg aus der Kernenergie, fehlen konkrete Hinweise auf die damit verbundenen Kosten. Allenfalls verlautet aus Berlin das Eingeständnis, die plötzliche Kehrtwende sei zwar nicht zum Nulltarif zu bewerkstelligen, doch seien die Sorgen der Wirtschaft und der privaten Haushaltungen um die gesicherte Verfügbarkeit und die Bezahlbarkeit des Stromes in Deutschland überzogen, wenn nicht gar unberechtigt. Selbst wenn es zu gelegentlichen Engpässen bei der Stromlieferung komme, könnten diese leicht aus dem Ausland überbrückt werden. Natürlich zu den gewohnten Preisen.

Das aber ist – mit Verlaub - eine dreiste Verharmlosung, die im Grunde an eine Beleidigung der normalen menschlichen Intelligenz grenzt. Wer sich einmal der Tortur unterzieht und nur die offenkundigsten Ungereimtheiten aus dem Munde der Politiker in Sachen "Kosten des Ausstiegs" auflistet, der verzweifelt sehr rasch an den Verantwortlichen auf der Brücke dieses Narrenschiffes, genannt Deutschland. Während Frau Merkel, Schulter an Schulter mit ihrem Umweltminister Norbert Röttgen, den Ausstieg aus der Kernenergie zu einem spannenden Wachstums- und wirtschaftlichen Erfolgsprojekt der schwarz-gelben Koalition hoch jubelt, sorgen sich die SPD-Granden Gabriel und Steinmeier um die Zukunft der energieabhängigen Stahl- und Aluminiumerzeugung in Deutschland.

Schäuble droht Ungemach

Damit kein Missverständnis aufkommt: Auch die SPD ist selbstverständlich für einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Kernenergie, doch die daraus entstehenden höheren Stromkosten in der Industrie sollten doch bitte über zusätzliche staatliche Subventionen aufgefangen und nicht beim Verbraucher abgeladen werden. Na klar! Gehören doch die Beschäftigten in diesen Branchen zu den wichtigsten Zielgruppen der Sozialdemokraten. Es ist der SPD aber offenbar entgangen, dass Brüssel schon die bisherigen deutschen Stromsubventionen als Wettbewerbsverzerrung in der europäischen Industrie anprangert und ganz untersagen könnte. Finanzminister Schäuble ist zudem überhaupt nicht bereit, wegen der Panik-Volte in der Energiepolitik eine höhere Staatsverschuldung zuzulassen; immerhin steht er unter dem Diktat der verfassungsrechtlich verordneten Schuldenbremse.

Doch ihm droht weiteres Ungemach: Die Energieversorger werden wohl kaum die bereits verplanten Milliarden-Beträge aus der neuen Brennelementesteuer an die Finanzkassen überweisen, wenn die Gewinne aus den stillgelegten Kernkraftwerken entfallen. Außerdem haben sie bereits vorbeugend ihre Bereitschaft auf Eis gelegt, den neuen Staatsfonds zur Förderung der Ökoenergie nach Kräften zu unterstützen. Diese Beteiligung sollte ihr Preis sein für die vereinbarte Laufzeitverlängerung. Doch ohne Laufzeitverlängerung kein Geld! Logisch, aber Pech für Schäuble. Unabhängig von diesen Einnahmeausfällen drohen ihm zusätzliche Milliardenausgaben für den künftigen Ausbau der Transportnetze von den Windparks in der Nordsee oder den ungezählten Solardächern deutscher Bürger in die Industriezentren im Westen und Süden Deutschlands. Um Energie einzusparen, sollen jetzt auch die Eigentümer alter Wohnhäuser überredet werden, die Wärmedämmung in ihren Wohnungen zu verbessern. Das wird natürlich viel Geld kosten. Aber keine Sorge: Die Eigentümer werden die Kosten dieser Investitionen auf ihre Mieter umlegen können, verspricht die Bundesregierung. Doch entsprechende Mieterhöhungen wird es nicht geben, beruhigt gleichzeitig die Bundesjustizministerin die aufgeschreckten Mieter.

Wohin steuert das Schiff?

Das verstehe, wer will. Also doch neue Steuersubventionen für die Hauseigentümer oder Zinszuschüsse? Doch höhere Staatsschulden? Unsinn! Nach Ansicht von Haushaltsexperten der CDU kann das die Bundesregierung alles stemmen, ohne neue Sparpakete aufzulegen, ohne weitere Schulden und ohne Steuererhöhungen. In dieselbe Kerbe schlägt- reflexhaft- auch die FDP. Sie wird sich einer höheren Neuverschuldung wegen des Netzausbaus verweigern und auch einer neuen Energiesteuer. Na toll! Der plötzliche Schwenk in der Energiepolitik wird Jahr für Jahr Milliarden in vielleicht zweistelliger Höhe kosen, aber keiner hat darunter zu leiden! Tosender Beifall der Passagiere an Deck des Narrenschiffes. Ihre Begeisterung über den bevorstehenden Ausstieg aus der Kernenergie sprengt alle Erwartungen der Meinungsforscher. Angefeuert von der Zustimmung ihrer Wähler an Deck steuern die Politiker hoch oben auf der Kommandobrücke das Narrenschiff Deutschland mit voller Fahrt und ohne die geringste Sicht aufs nächste Riff.

Und kaum einer an Bord interessiert sich für den Kurs. Bis zur nächsten Stromrechnung, bis zum nächsten Windrad am Horizont, bis zur nächsten Hochspannungsleitung vor der Haustür, bis zur nächsten Mieterhöhung. Und dann? Dann gibt's halt die nächste Kehrtwende in der Energiepolitik. Falls das Schiff bis dahin noch nicht untergegangen ist.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen