Wirtschaft

Selbst lenken oder gefahren werden Will der Kunde Autonomes Fahren?

Glaubt man den Autoherstellern, gehört dem Autonomen Fahren die Zukunft. Allerdings entscheiden nicht die Konzerne über den Erfolg dieser Vision. Es sind die Autokäufer, die Kunden - und die haben eine ganz eigene Sicht auf die Dinge.

Mit aller Macht haben sich die etablierten Automobilhersteller, vor allem die deutschen Nobelmarken, auf das Thema Autonomes Fahren ("Roboter-Autos") gestürzt. Der Grund: Die Hersteller hoffen schwindende strukturelle Wachstumsperspektiven auf den großen globalen Absatzmärkten mit neuen Impulsen durch Roboter-Autos umzukehren. Beratungsunternehmen verheißen eine goldene Zukunft mit Milliardenumsätzen.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Das alles klingt für einen erfahrenen Ökonomen mit weißem Haupt wie das Pfeifen im Wald. Das mag ja so sein, dass die Branche angesichts schwindender Absatz- und Wachstums-Perspektiven in Europa, in den USA und neuerdings auch in China in absehbarer Zeit einen neuen Wachstumstreiber braucht. Und da käme natürlich das Roboter-Auto - für das Elektro-Auto gilt das Gleiche -  als Umsatzgenerator gerade recht. Aber das wäre das erste Mal in der Wirtschaftsgeschichte seit Adam Smith, dass die Nöte der Verkäufer, sprich der Anbieter, die Konsumenten, sprich die Nachfrage, aus Mitleid mit den Produzenten in die Verkaufsräume getrieben hätten. In unserer vielfach gesättigten Welt ist der Kunde König, nicht anders herum.

Im Klartext heißt das: Es mag ja sein, dass die Autoindustrie das Roboter-Auto als Wachstumstreiber braucht. Die Kernfrage aus der Sicht eines Ökonomen lautet jedoch schlicht: Brauchen die Autokunden das auch? Oder besser: Will der Autofahrer bei voller Eigenverantwortung Autonomes Fahren? War Lenken wirklich gestern, ist Nicht-Lenken die Zukunft?

Komfort, Sicherheit und Unabhängigkeit

Fakt ist, das der Mensch seit seiner Erschaffung alles daran gesetzt hat, die Unzulänglichkeiten seiner physischen Existenz hinsichtlich Mobilität und Fortbewegung schneller, höher und weiter zu machen. Dazu hat er das Rad erfunden, Schiffe gebaut und sogar Flugmaschinen. Die Erfindung des Automobils vor gut 125 Jahren durch Gottlieb Daimler war ein Meilenstein in diesem Bestreben, sich autonom, also aus eigenem Wollen, aber ohne eigenen Krafteinsatz, komfortabel zu bewegen - mobil zu sein.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: Alle Innovationen, die sich seit Erfindung des Automobils rund um das Produkt Auto selbst oder aus der Fertigung- und Fügetechnik ergeben haben, waren dazu angetan, die Automobilität einfacher, komfortabler, sicherer , schneller, kostengünstiger in Anschaffung und Betrieb und damit für die Massen erschwinglicher und distanzgreifender zu machen. Komfort, Sicherheit und Unabhängigkeit waren als Eigenschaften die wesentlichen Nutzenstifter bei den Käufern, die dem Automobil bei inzwischen einer Milliarde Nutzern rund um den Globus zum Durchbruch verhalfen.

Mehr als nur von A nach B

Kanzlerin Angela Merkel sagte zum Thema Roboter-Auto: "In den kommenden zehn Jahren wird entschieden, ob die deutsche Erfolgsgeschichte des Autos weitere 125 Jahre fortgeschrieben wird." Sie hat recht. Erfolgreiche Autohersteller waren, sind und werden auch in Zukunft diejenigen sein, denen es gelingt, ihren Kunden die sprichwörtliche "Freude am Fahren" zu vermitteln. Die also ihren Kunden Autos mit größtmöglichem Komfort, dem effizientesten Einsatz der Antriebsenergie, hohen Ego- und Imagewerten und einem ansprechenden Styling zu für sie angemessenen Kosten bieten. Nicht nur den notwendigen, aber vielfach ungeliebten und langweiligen Transport von Menschen und Gütern von A nach B.

Richtig ist, dass neue Denkansätze und disruptive Geschäftsmodelle gerade aus der IT-Branche die traditionelle Automobilindustrie vor neue Herausforderungen stellen. Das ist schon seit 125 Jahren so! Denen müssen sich die Hersteller stellen - ob sie wollen oder nicht. Wichtig dabei wird sein, zu akzeptieren, dass das Auto zum "Mobile Device" wird, das in das vernetzte Leben des Kunden eingebunden werden muss. Noch wichtiger aber ist, dass der Kunde nicht im vernetzten Eigenleben seines Autos seine "Selbstbeherrschung" verliert.

Die Freude am Fahren

Was will der Kunde wirklich? Das Beratungsunternehmen Oliver Wyman muss am Schluss einer euphorischen Studie über die glänzende Zukunft von Roboter-Autos quasi im Kleingedruckten eingestehen, dass auch bei völliger Klärung aller technischer Fragen der Einführung des teil- oder vollautomatisierten Fahrbetriebs noch ethische und regulatorische Hemmnisse sowie - vor allem in Deutschland - eine niedrige Akzeptanz der Fahrzeugnutzer entgegenstehen. Das Prädikat "erheblich" wurde dabei geflissentlich ausgelassen.

Als ob das in einer Marktwirtschaft einen Nebensache wäre! Darunter leiden doch Myriaden von emsigen Betriebswirten und Vertriebsmangern: Dass diese vermaledeiten Kunden partout nur das kaufen wollen, was ihnen gefällt und nutzt - und nicht, was ihre Produktionskollegen gerne möchten. Verlust von Autonomie des Fahrers durch Roboter-Autos, aber gleichzeitig volle Verantwortlichkeit des Fahrers für das, was und mit welchen Folgen für Dritte wie für Insassen das Roboter-Auto tut, das kann es nicht geben. Kein Kunde wird sich der programmierten Elektronik und der Steuerungstechnik seines Vehikels ausliefern! Ganz einfach darum nicht, weil kein Hersteller ihm eine 100-prozentige Funktionsgarantie der Technik geben kann.

So wenig ein Fahrer für die Selbstauslösung von Airbags Verantwortung übernehmen will und kann, so wenig will er für alle sicherheitsrelevanten elektronischen Helferlein seines Roboter-Autos verantwortlich gemacht werden. Im Zweifelfall schaltet er die Systeme aus. Oder zahlt dem Hersteller einen Aufpreis als Sonderausstattung, wenn der ihn vor solchen Innovationen verschont.

Oder er kauft sich einen Jaguar und eben kein Roboter-Auto, das ihm auch noch den letzten Rest seiner individuellen Automobil-Entscheidungsfreiheit nehmen will - nämlich zu fahren. Zu fahren wie man will - automobil und mit Freude am Fahren.

Quelle: ntv.de

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