Wirtschaft

Wie aus Fiat ein Weltkonzern wurde Marchionne und sein Fiat Lux

Kann sich das Grinsen erlauben: Fiat-Chef Marchionne angelt sich den US-Autoriesen Chrysler.

Kann sich das Grinsen erlauben: Fiat-Chef Marchionne angelt sich den US-Autoriesen Chrysler.

(Foto: REUTERS)

Daimler feierte einst die milliardenteure "Hochzeit im Himmel". Doch die Auto-Ehe mit Chrysler geht schnell, laut und kostenintensiv in die Brüche. Nun schickt sich ein kleiner Italiener an, Chrysler und damit auch den wichtigen US-Markt zu erobern.

In der Bibel im 1. Buch Mose, der Genesis, heißt es: "Und Gotte sprach, es werde Licht". Im lateinischen Original ist das bis heute als "Fiat lux" fester Bestandteil des abendländischen Zitatenschatzes. Die Frage ist nur, ob dieses Fiat Lux auch dem gleichnamigen Automobilkonzern Fiat S.p.A., Akronym von Fabbrica Italiana Automobili Torino ("Italienische Automobilfabrik Turin"), 1899 von Giovanni Agnelli senior gegründet, leuchtet? Oder ob es nur in verballhornter Form auf dessen raubeinigen, pulloverärmligen und dreitagebärtigen Vorstandschef, den Italo-Kanadier Sergio Marchionne zutrifft, der seit zehn Jahren an der Spitze des Unternehmens steht - und ihn als Fiat Luchs charakterisiert?

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

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Ist dem Fiat-Konzern zu Jahresbeginn 2014 ein Licht aufgegangen, Fiat Lux? In der Tat. Das Automobiljahr 2014 hat für Fiat mit einem Paukenschlag begonnen: Fiat-Chef Marchionne gab am Neujahrstag die vollständige Übernahme der US-amerikanischen Automobiltochter Chrysler bekannt. Die Chrysler Group LLC, gegründet 1925 von den Gebrüdern Dodge, hört damit auf, als selbständiges US-Automobilunternehmen zu existieren. Von den berühmten "Big Three" (General Motors, Ford und Chrysler) werden damit künftig nur noch die "Big Two" übrig bleiben. 89 Jahre US-amerikanische Automobilgeschichte gehen zu Ende.

Aber auch das abgelaufene Jahr hat einen Paukenschlag für Fiat parat: Der Massenhersteller schreibt Verluste. im dritten Quartal 2013 sind es 247 Millionen Euro. Für Experten scheint seit Langem das Ende von Fiat nahe, nur ein Wunder konnte es retten.

Und das Wunder geschah! Dank Überweisungen der Tochter Chrysler, die seit fast drei Jahren ununterbrochen Gewinne schreibt, wurde aus dem Verlust für Fiat ein Gewinnausweis von 189 Millionen Euro.

Die Chance beim Schopfe gepackt

Während Chrysler nach dem Daimler-Desaster und dem Marsch in die Insolvenz 2009 von vielen Autoexperten bereits abgeschrieben worden war (auch vom Autor selber; Asche aufs Haupt!), hat Marchionne 2009 den Einstieg gewagt, ohne dafür eigenes Geld in die Hand zu nehmen. Er hat 2009 einen Anteil von 20 Prozent erhalten - nur mit dem Versprechen von Know-How-Transfer italienischer Automobiltechnik in die Chrysler-Fabriken und -Entwicklungsbüros sowie der Vorlage eines tragfähigen Sanierungsplanes für den Chrysler-Konzern.

Das hat Marchionne gemacht. Ebenso hat er auch die Marke Lancia vom Markt genommen und den Fiat-Anteil an Chrysler nach und nach auf 58,5 Prozent ausgebaut. Gelungen ist ihn das durch die Ausgabe von Aktien an den Gesundheitsfonds Veba der US-amerikanischen Automobilgewerkschaft UAW - und ohne, dass dafür italienisches Geld geflossen ist. Für den restlichen Anteil von 41,5 Prozent des Gewerkschaftsfonds zahlt Marchionne nun 3,65 Milliarden Dollar in bar sowie weitere 700 Millionen in vier Jahrestranchen.

Schnäppchenjäger Marchionne

Damit wird Fiat für insgesamt 4,35 Milliarden Dollar einen Konzern übernehmen, für den Fiat selber nur in Summe 1,75 Milliarden Dollar in bar aufbringen muss, während 1,9 Milliarden aus Chrysler-Kassen stammen, ebenso wie die restlichen 700 Millionen in vier Jahresraten.

Fiat übernimmt einen Konzern, dessen Wert von Investmentbankern auf über 12 Milliarden Dollar geschätzt wird und dessen Barreserve bei 11,5 Milliarden Dollar liegt. Marchionne erhält so Zugriff auf Geld zur Sanierung von Fiat, das Chrysler hat und weiter verdient.

Fiat Lux, für Fiat ist das Licht aufgegangen! Plötzlich sind Investitionsmittel in Reichweite, die von den Fiat-Eigentümern nicht zu haben waren und zum Start der Fiat Modelloffensive im Kleinwagenbereich und bei Alfa Romeo im Oberklassesegment dringend benötigt werden. Marchionne hat damit die finanziellen Voraussetzungen für die Rettung Fiats geschaffen, die Rettung selber steht noch aus.

"Abgeluchst" statt "Hochzeit im Himmel"

Marchionne war der Vater der Chrysler-Übernahme. Die Art und Weise, wie er sich des Chrysler-Konzerns bemächtigt hat, war ein strategischer Geniestreich. Marchionne hat sich als ein echter Fiat Luchs entpuppt, der den US-amerikanischen Gewerkschaften und Steuerzahlern den drittgrößten US-Automobilhersteller regelrecht "abgeluchst" hat.

Nur zur Erinnerung: Während sich zehn Jahre zuvor der Daimler-Konzern und Jürgen Schrempp die "Hochzeit im Himmel" mit Chrysler 36 Milliarden Dollar nur als Einstieg haben kosten lassen, zahlt Marchionne für Chrysler lediglich 1,9 Milliarden Dollar aus der Fiat-Kasse - schuldenfrei und unter großem Jubel in Italien.

"Nobelpreisträger" Marchionne

Da bleibt natürlich die Frage: Kann die Übernahme von Chrysler durch Fiat anders als bei BMW-Rover und Daimler-Chrysler gut ausgehen? Mose hat zwar seiner Aussage: "Und Gott sprach, es werde Licht!" noch einen wichtigen Nachsatz folgen lassen: "Und es ward Licht!" Für die Zukunft von Fiat und den Erfolg des neugebildeten Automobilkonzerns Fiat/Chrysler muss das jedoch nicht unbedingt gelten. Noch ist völlig offen, ob aus der neuen Lampe ein "ewiges Licht" werden kann. Aber immerhin, die Voraussetzungen hat Marchionne geschaffen.

Eines steht bereits heute fest: Marchionne wird als "Fiat Luchs" in die automobilen Annalen eingehen. Gäbe es einen Nobelpreis für angewandte Automobilökonomie, Marchionne wäre der erste Anwärter. Er hat blitzschnell die Chance erkannt, die Chrysler-Pleite zur Fiat-Rettung umzufunktionieren. Er kann sich nicht nur auf die Brust heften, der einzige Manager aus der europäischen Automobilindustrie zu sein, dem es gelungen ist, ohne großes finanzielles Risiko einen amerikanischen Großkonzern vollständig zu übernehmen und dabei alle alten Anteilseigner auszutricksen. Die Übernahme Abenteuer von BMW-Rover oder Daimler-Chrysler haben dagegen Milliarden Euro verschlungen und dabei - wie im Fall Daimler - sogar die Existenz des Mutterunternehmens ernsthaft gefährdet. Aber auch andere deutsche Großkonzerne haben in den USA schmerzhaft Lehrgeld bezahlt, alle wurden von den amerikanischen Geschäftspartner über den Tisch gezogen und haben sich anschließend unter großen Verlusten wieder aus den USA zurückgezogen.

Erst Troja, dann Volkswagen

Der Vorgänger des Autos war das Pferd. Da man Marchionne als gewohnheitsmäßigem Pulloverträger eine gewisse Exzentrik nicht absprechen kann, sollte er das erste von der neuen Fiat/Chrysler-Gesellschaft für den US-Markt entwickelte Auto "Troja" nennen. Denn so, wie vor dreitausend Jahren die Griechen unter Führung des listenreichen Odysseus mit Hilfe eines Pferdes aus Holz die Festung Troja "knackten", so hat Fiat unter Führung des listigen Marchionne Chrysler mit amerikanischen Geschäftsmethoden und geringstem finanziellen Einsatz erobert. Chapeau!

Was im deutschen Fußball üblich ist, sollte der deutschen Automobilindustrie deshalb nicht fremd sein: die Beschäftigung von ausländischem Personal. Sollte eines Tages ein großer deutscher Automobilkonzern aus dem Aller-Urstromtal geeigneten Führungsersatz suchen, böte sich Marchionne und eine Fusion mit Fiat/Chrysler an: Mit Marchionne würde ein genialer Automobilstratege den Vorsitz übernehmen, der US-amerikanische Markt wäre über Nacht für den eigenen US-lahmen Konzern erobert, und in Europa gehörte mit Fiat endlich auch die langersehnte Marke Alfa Romeo zum Produktportfolio.

Und last but not least: Man wäre mit einem Schlag die Nr. 1 in der Welt, vor Toyota und GM, eine Position, auf der man sonst mühsam erst 2018 ankommen wollte, wenn überhaupt. Und zum Schaden der Anteilseigner sollte das Ganze auch nicht sein! Noch Fragen?

Quelle: ntv.de

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