Kolumnen

Die Busch-Trommel Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat einen hohen Preis: sie führt zur Inflation. Sie vernichtet langsam das angesparte Vermögen und entwertet die ausgezahlte Rente. Vor diesem Hintergrund ist die offizielle Statistik mit Vorsicht zu genießen.

Friedhelm Busch, Börsenkommentator bei n-tv

Friedhelm Busch, Börsenkommentator bei n-tv

Es fällt auf: Seit dem Versprechen der EZB, unter bestimmten Voraussetzungen Staatsanleihen von Euro-Mitgliedern in unbegrenzter Höhe anzukaufen, versuchen immer mehr Politiker, Wissenschaftler, Finanzmarktexperten oder auch Journalisten lautstark und wortgewaltig, die Gefahren dieser Entscheidung für die Preisstabilität herunterzureden. Gleichzeitig aber steigt in Deutschland gerade wegen dieser angekündigten Geldschwemme die Angst der Bürger vor der Inflation.

Der gewerkschaftsnahe Wirtschaftsweise Bofinger z.B. verspottet diese Sorgen als typisch deutsche Neurose, die Inflation käme doch nicht plötzlich über uns wie eine Schweinegrippe; andere Stimmen aus Wissenschaft und Wirtschaft sehen angesichts drohender Rezessionsgefahren wegen weltweit steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Kapazitätsauslastungen eher eine Deflation denn eine Inflation über uns hereinbrechen, und unsere Politik weiß die Stabilität des Euro bei der EZB in sicheren Händen. Käme es eines fernen Tages tatsächlich zu inflationären Preissteigerungen, so unsere politische Führung, dann hätte die EZB ganz bestimmt genügend Instrumente in ihrem Koffer, um gegenzuhalten. So könne sie ja die im Bankenbereich vagabundierende Geldmenge wieder einsammeln oder gar die Leitzinsen anheben. Zudem sei die aktuelle Geldschwemme der Notenbanken gar nicht im allgemeinen Wirtschaftskreislauf angekommen, mithin auch nicht nachfragewirksam. Wozu also die ganze Aufregung?

Gelenkte Interessen

Alles Argumente und Behauptungen, die sich durch offizielle Statistiken auch trefflich belegen lassen. Ein Schelm, wer dahinter eigennützige oder gelenkte Interessen wittert. Es ist durchaus verständlich, dass Gewerkschafter der großzügigen Geldpolitik der EZB wohlwollend gegenüberstehen, bieten ihnen doch schon die Aussichten auf steigende Preise Vorwand genug, künftige Lohnforderungen entsprechend zu erhöhen; Banken profitieren vom billigen Notenbank-Geld, weil sie damit nahezu risikolos selber an den Finanzmärkten spekulieren können.

Für den einfachen Kunden werden dagegen Kredite nur teilweise und mit Verzögerungen günstiger, während die Sparzinsen zügig nach unten angepasst werden. Am meisten aber nützt die überschäumende Liquidität zu niedrigen Zinsen den hoch verschuldeten Staaten, weil diese sich mit dem Rückenwind aus der EZB, vorbei an marktgerechten höheren Zinsen, günstig verschulden können, ohne durch drastisches Sparen um das Vertrauen der Märkte kämpfen zu müssen. Und weil Deutschland im hoch verschuldeten Europa offenbar als der Einäugige unter den Blinden gilt, also als relativ sicherer Hafen, sinken die Renditen mancher deutscher Staatsanleihen sogar in Richtung 0, bisweilen sogar darunter. Billiger kann man sich nun wirklich nicht verschulden.

Kein  Ende der lockeren Geldpolitk

Reichlich verrückt, denn auch in Deutschland steigt die Staatsverschuldung unaufhörlich, obwohl gleichzeitig die Steuereinnahmen explodieren: Ab 2013 Millionen für Kindertagesstätten, für Betreuungsgeld, höhere Hartz-IV-Bezüge, höhere Ausgaben für Theater, für Stadtbüchereien, für Sport, usf.; alles gut begründet, alles unverzichtbar, aber alles nur auf Pump, alles unbezahlbar! Der Öffentlichkeit in Griechenland und anderswo in Europa wird diese staatliche Ausgabenorgie der Deutschen übrigens als beispielhafte deutsche Sparpolitik verkauft. Aber wenn schon die Staatsverschuldung in Deutschland selbst jetzt in Boomzeiten nicht gebremst werden kann, liegt die Vermutung nahe, dass die EZB auf Jahre nicht in der Lage sein wird, marktgerechte Zinsen zu fordern, will sie nicht Gefahr laufen, die ganze europäische Gesellschaft von den Schienen zu stoßen. Jeder Verweis auf eine mögliche Wende in der Geldpolitik der EZB gleicht den Märchen, die man kleinen Kindern erzählt, wenn sie zu Bett gebracht werden. Denn im Grunde sind alle Euro-Länder, nicht zuletzt Deutschland, mit der gegenwärtigen Geldpolitik der EZB sehr zufrieden und wollen sie gar nicht ändern, selbst wenn die Stabilität des Euro dadurch Schaden erlitte.

Dass bei steigenden Preisen beispielsweise auch die Mehrwertsteuereinnahmen zunehmen, ist für den deutschen Finanzminister ganz gewiss kein unwillkommener Nebeneffekt. Auch nicht, dass mancher Verbraucher mit diesem Inflationsszenario vor Augen lieber jetzt mehr konsumiert, also auf langfristiges Sparen verzichtet, weil es doch nichts bringt. Das wird sich zwar im Alter als Katastrophe erweisen, doch warum sollte man fürs Alter sparen, wenn das Ersparte nach Abzug der Steuern und der Inflation permanent an Wert verliert?

Denn trotz all dieser kalmierenden Wortlawinen und Zahlenspielereien, für die Bundesbürger sieht die Wirklichkeit anders aus als von Bofinger und Co. beschrieben.

Natürlich steht heute keine riesige Inflation vor der Tür, wie sie nach dem 1. Weltkrieg die deutsche Gesellschaft im Grunde zerstört und in die Arme der Naziverbrecher geführt hat. Davon redet ja auch keiner, aber was heute die Sparer und Rentner im Lande ängstigt, das ist diese schleichende Inflation, die das angesparte Vermögen langsam vernichtet und die ausgezahlte Rente Jahr für Jahr entwertet.

Warenkorb entspricht nicht der Realität

Was hilft's, wenn Kühlschrank oder Fernsehgerät billiger sind als noch vor Jahren, aber gleichzeitig wichtige Kostenfaktoren unseres Alltags, wie beispielsweise Miete, Benzin oder jetzt auch noch der Strom unaufhörlich steigen? Wie häufig kaufe ich mir eine neue Kücheneinrichtung, und wie oft fahre ich als Pendler mit meinem Auto zur Arbeit? Wenn dennoch, oh Wunder, die offizielle Preissteigerungsrate hierzulande lediglich bei knapp unter 3 Prozent liegt oder die jährliche Stromrechnung wegen der Umlage zur Finanzierung der erneuerbaren Energie um 100 bis 200 Euro steigt, dann mag das vielleicht für gut verdienende grüne Bundesbürger eine Petitesse sein, die man schon in persönlicher Verantwortung für den Schutz unserer Umwelt akzeptieren muss.

Dass die Zusammensetzung des statistischen "Warenkorbes" jedoch nur wenig zu tun hat mit den wirklichen Belastungen und Ausgaben eines normalen Bundesbürgers, das ist seit Jahrzehnten ein Aufreger-Thema wohl jeder Wirtschaftsredaktionen, könnte also auch dem letzten Statistik-Gläubigen bekannt sein. Dennoch eignet sich diese Zahl offenbar vorzüglich als beruhigende Gute-Nacht-Geschichte, mit der man die Bundesbürger in den Schlaf zu lullen versucht.

Doch selbst diese geringe "offizielle" Preissteigerungsrate, wenn sie denn der Wirklichkeit entspräche, reichte schon aus, das Vermögen der Sparer Schritt für Schritt zu vernichten, da Dank der EZB-Politik die geringen Zinserträge nach Steuern nicht einmal diese "unerhebliche" Inflationsrate ausgleichen. Kein Wunder, dass immer mehr Bundesbürger trotz all der Gute-Nacht-Geschichten unserer Märchenerzähler schlecht schlafen. Aber vielleicht wachen sie ja bis zur nächsten Wahl wieder auf.

Quelle: ntv.de

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