Kolumnen

Raimund Brichta Die Vertrauensfrage

Raimund Brichta, n-tv Telebörse

Raimund Brichta, n-tv Telebörse

(Foto: n-tv)

Die sogenannten Target2-Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB sind im Mai auf den Rekordwert von fast 700 Milliarden Euro gestiegen. Raimund Brichta zeigt auf, wie es dazu gekommen ist.

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In einem Klettergarten ließ ich mich neulich rücklings von einer 9 Meter hohen Plattform fallen. Mein Bauchgefühl dabei war mulmig, zugegeben, aber stärker war mein Vertrauen in die Seile, an denen ich hing, und in die Freunde, die sie an den anderen Enden festhielten.

Dies ist nur ein Beispiel für die Bedeutung, die Vertrauen in vielen Bereichen unseres Lebens hat - auch in der Wirtschaft. Ganz besonders gilt das fürs Kreditgewerbe, das den Begriff "vertrauen" aus dem lateinischen "cr?dere" sogar in seinem Namen trägt. Schließlich wird jeder Kredit im Vertrauen darauf gewährt, dass der Schuldner ihn zurückzahlen wird. Im Bankgeschäft ist das umso wichtiger, als die Geldhäuser nicht nur Kredite an Unternehmen, Privatleute oder öffentliche Stellen vergeben, sondern dies auch untereinander in erheblichem Umfang tun.

Warum auch Banken bei Banken in der Kreide stehen, hat folgenden Grund: Normalerweise werden alle Transaktionen zwischen Kreditinstituten - also zum Beispiel die Überweisung von einer Bank zur anderen - mit Geld der Zentralbank abgewickelt. Da dieses Geld aber beschafft und vorgehalten werden muss, kann es attraktiver sein, sich die Beträge gegenseitig 'anzuschreiben', ähnlich wie das ein Kneipenwirt bei seinen Stammgästen macht. Der Wirt vertraut dann darauf, dass der Gast beim nächsten oder übernächsten Besuch bezahlen wird. Genauso vertrauen sich Banken und geben sich Kredite, die sie entweder später begleichen oder aber verlängern oder auch gegeneinander aufrechnen, sofern dann Geldbeträge in umgekehrter Richtung fließen müssten.

Die Folge dieses Vertrauens ist, dass sich Banken gegenseitig ständig immense Summen schulden und dass sie auf diese Weise große Teile ihrer Geschäfte untereinander ohne Zentralbankgeld abwickeln können. Faktisch kreieren sie damit ebenfalls eine Art Geld, ein Geld nämlich, das sie für Zahlungen untereinander verwenden, weshalb man es auch als 'Interbankengeld' bezeichnen könnte.

Seit Ausbruch der Finanzkrise ist es mit dem Vertrauen unter Banken aber nicht mehr so weit her, wie Sie vermutlich wissen. Es schwindet. Je weniger sich die Banken dabei vertrauen, desto weniger Kredite geben sie sich und desto mehr Zentralbankgeld brauchen sie im Gegenzug für ihre Geschäfte. Es ist also nicht überraschend, dass die Zentralbanken in letzter Zeit immer mehr Geld ins System geschossen haben - zuletzt die EZB mit ihren Geldkanonen, den "dicken Berthas". Dies allein lässt jedoch noch nicht auf eine überschüssige Geldproduktion schließen, die in Zukunft die Preise nach oben treiben müsste, wie das viele Ökonomen fürchten. Denn bis jetzt wird mit dem neuen Zentralbankgeld in der Hauptsache lediglich das knapper gewordene Interbankengeld ersetzt, sonst nichts.

Das ist ein wichtiger Aspekt. Ein weiterer ist, dass sich nicht nur Banken innerhalb eines Landes zunehmend misstrauen, sondern dass dies gerade auch über Landesgrenzen hinweg gilt. Je weniger vertrauenswürdig also griechische, portugiesische, spanische oder italienische Geldhäuser erscheinen, desto weniger können sie zum Beispiel bei deutschen Banken anschreiben lassen. Gerade jetzt bräuchten sie von ihnen aber besonders viel Kredit, weil Griechen, Spanier oder Italiener gerade besonders viel Geld von ihren Heimatbanken nach Deutschland überweisen, um es hier in Sicherheit zu bringen.

Auch in diesem Fall gleichen die Notenbanken das wieder aus, wobei die Wirkungskette so funktioniert: Eine griechische Geschäftsbank nimmt zum Beispiel bei ihrer Notenbank einen Kredit auf, die griechische Notenbank wiederum verschuldet sich bei der Deutschen Bundesbank, die dafür der deutschen Geschäftsbank das entsprechende Guthaben einräumt. Dazwischen ist zwar noch die Europäische Zentralbank geschaltet, das ändert aber nichts am Prinzip. Die Folge ist, dass die Deutsche Bundesbank immer mehr Forderungen gegenüber den Notenbanken der Euro-Südländer anhäuft. Mit anderen Worten: In dem Maße, wie das Vertrauen zwischen den Geschäftsbanken an den Enden der Kette schwindet, muss nun die Bundesbank Vertrauen gegenüber den anderen Notenbanken aufbauen. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn besichert sind diese Forderungen zwischen den Notenbanken nicht.

Daraus könnte im Ernstfall ein Problem für die Bundesbank und damit für den deutschen Steuerzahler werden, sagen Kritiker. Das sei kein Problem, kontert dagegen die Europäische Zentralbank, denn selbst wenn daraus Verluste entstünden, würden diese anteilig auf die EZB-Eigentümer umgelegt. Aber auch mit dieser Umlage wäre das Problem nicht aus der Welt, sondern es wäre für die Bundesbank allenfalls kleiner. Gänzlich verschwinden würde es nur dann, wenn auch die Bundesbank und all die anderen Euro-Notenbanken in ihrer heutigen Form verschwänden und in einer EZB der Vereinigten Staaten von Europa aufgingen. Denn dann hätte man Forderungen und Verbindlichkeiten gegen sich selbst, die sich gegenseitig aufhöben.

Solange dies aber keine realistische Perspektive ist, sollte man das Problem durchaus ernst nehmen und die besagten Forderungen entweder regelmäßig ausgleichen oder aber mit werthaltigen Sicherheiten unterlegen. Diese Absicherung könnte - wie im Klettergarten - vor allzu blindem Vertrauen schützen,

meint Ihr Raimund Brichta

Quelle: ntv.de

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