Wirtschaft

Welt-Systemstressindex Die Ruhe vor dem Sturm

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Das Unerwartete ist leider die Normalität geworden. Auf der anderen Seite besteht Zeit für die politischen Protagonisten, die Existenzkrise in der EU noch abzuwenden.

Die letzten Wochen und Monate, seit der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten im November 2016, haben Wirkung gezeigt. Die Gesamtwirtschaft der USA hat gemessen an den Umfragewerten zum Geschäftsklima sektorübergreifend an Fahrt gewonnen. Gleichzeitig werteten die US-Aktienmärkte dynamisch auf und eilten von einem Rekordwert zum nächsten. "Wenn wir uns zurückerinnern an die zweite Jahreshälfte des letzten Jahres, dann kann festgehalten werden, dass der Schrecken des Brexits, das Terrorattentat in Nizza, der Putschversuch in der Türkei, die italienischen Bankenkrise oder die geopolitischen Risiken in der Welt wie ein Dämon über den Köpfen der Protagonisten aus Wirtschaft, Politik und Finanzmarkt schwebte und teils für sehr 'depressive' Stimmung sorgte. Fakt ist, mit der Wahl von Trump gab es einen unerwarteten 'Momentum-Change'. Durch seine Ankündigungen, milliardenschwere Investitionsprogramme in Infrastruktur, gleichzeitig Steuererleichterung und mehr Deregulation umzusetzen, sorgte er dafür, dass die sogenannten 'Animal-Spirits' losgetreten wurden. Dadurch sind Wellen von Optimismus entstanden, welche kurzfristig positive Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage hervorgebracht haben", fasst Dr. Markus C. Zschaber, Chef des Institut für Kapitalmarktanalyse (IFK) in Köln, welches den "Welt-Systemstressindex" monatlich veröffentlich, zusammen.

Dr. Markus C. Zschaber

Dr. Markus C. Zschaber

Diese Wellen des Optimismus haben schlussendlich auch Europa und den Rest der Welt erreicht, welches die außergewöhnliche Ruhe an den internationalen Finanzmärkten erklärt. Die Erwartungen an die Trumponomics sind außergewöhnlich hoch und überschatten derzeit alles andere. Hinzu kommt, dass der Spielraum für fiskalische Stimulusmaßnahmen aufgrund der angespannten Haushaltslage nicht sonderlich groß ist. "Wenn ich die allgemeinen Erwartungen an die Konjunktur und an die Finanzmärkte akkumuliere, dann ist hier ein Niveau erreicht, welches realistisch nur noch sehr schwer zu erreichen sein wird. Ein Beispiel: Der S&P500-Index oszillierte in den letzten 50 Handelstagen und damit länger als jemals zuvor, höchstens um 1 Prozent nach oben wie nach unten. Dieser Tiefenrekord an Kursschwankung ist förmlich Ausdruck der neuen Zuversicht, welche durch die Ankündigungen von Donald Trump geschaffen wurde. Knapp 65 Prozent der Investoren sehen den weiteren Verlauf der Märkte optimistisch, was wiederum einen absoluten Höchstwert entspricht und damit deutlich über dem Durchschnitt von 48 Prozent liegt", so Zschaber weiter.

Es sind die hohen Erwartungen an die Konjunktur und an die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten, welche dem Institut für Kapitalmarktanalyse (IFK-Köln) zunehmend größere Sorgen bereiten und den "Welt-Systemstressindex" ansteigen lassen (aktuelles Niveau + 9.5 Punkte). "Fakt ist, die Realität ist leider bereits eine andere, dieses gilt auch für die USA. Zieht man beispielsweise den Echtzeit-Wachstumsindikator der US-Notenbank aus Atlanta für die gesamte US-Wirtschaft als Kennzahl heran, zeigt sich, dass sich das Wachstum der USA auf 1,3 Prozent (annualisiert) im ersten Quartal bereits abgeschwächt haben sollte. Die Erwartungen liegen aktuell noch bei 2,3 Prozent annualisierten Wachstum. "Eine harte Anpassung der Erwartungen an diesen Wert wäre sicherlich kein "None-Event", konstatiert der IFK-Chef. Auch protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle, welche der neue US-Präsident immer wieder ankündigte, werden die globalen Spielregeln grundlegend ändern, sofern sie wirklich umgesetzt werden.

Gleichzeitig misst das IFK-Köln höhere Bewegungen in den Zinsmärkten, welches in erster Linie auf die Veränderungen der US-Zinskurve zurückzuführen ist. Aktuell sind die US-Marktdaten sehr robust, und die Inflation in den USA zieht an. "Die Märkte beginnen sich gerade damit zu beschäftigen, dass die Inflationsdaten dafür sorgen könnten, dass die langfristigen Zinsen (zehn Jahre) auf 3 Prozent oder leicht darüber (aktuell ca. 2,5 Prozent) im Laufe des Jahres ansteigen könnten. Wie wir alle wissen, ist der US-Zins die wichtigste Vergleichsmarke auf den internationalen Zinsmärkten, und ebenso wissen wir auch, dass steigende Zinsen zu Neuadjustierungen in den Markt- und Makromodellen bei den Finanzmarktteilnehmern führen. Dieses könnte den Druck auf den Aktienmarkt aufgrund höhere Risikoaversion erhöhen, sofern gleichzeitig die hohen Erwartungen an die Konjunktur und daraus ableitend die positive Ergebniserwartung an die Unternehmen nicht weiter übertroffen werden", resümiert der Experte.

Ein weiterer Punkt, der in der umfangreichen Datenanalyse des "Welt-Systemstressindex" große Bedeutung erfährt, ist, der starke Wechselkurs des US-Dollars zu den wichtigsten Handelswährungen der USA und das trotz steigender Inflationsdaten im Inland. Dieses ist eigentlich eine makroökonomische Anomalie, welches aber auch am Nullzinsumfeld in großen Teilen im Rest der westlichen Welt liegt. Dennoch, hier verdeutlichen sich die Nebenwirkungen der globalen Geldpolitik. Früher oder später muss aber die Inflation oder die US-Währung nachgeben, da straffere Kreditkonditionen ausgelöst durch höhere Zinsen das Wachstum negativ beeinflussen werden oder eben die Inflationsraten reduzieren sollten. Beides hätte Konsequenzen für die Konjunkturpolitik in den USA und auf die dortige Geldpolitik und wird den Stress in Teilen des US-Wirtschaftssystems erhöhen.

Auch in Europa erhöht sich die Furcht vor instabileren politische Zeiten und das nochmal unabhängig vom jüngsten Wahlergebnis in den Niederlanden. Eines steht für die IFK-Köln- Experten fest: Die populistischen Parteien werden durch die Bank an Machteinflussnahme zulegen und in alle relevanten Parlamente zumindest als Opposition einziehen und mächtig an politischem Gewicht zunehmen. Im April und Mai stehen die Wahlen in Frankreich ins Haus, welche den wichtigsten Event darstellen. Sollte Marine Le Pen tatsächlich die nächste französische Präsidentin werden, dann könnte eine ganze Reihe des politischen Programms des Front National umgesetzt werden. Dazu gehörten etwa die gewünschte Wiedereinführung des Franc, die Kündigung und Neuverhandlung der EU und protektionistische Maßnahmen durch den Staat. (Der derzeitige "Europa-Systemstressindex" steht derzeit bei + 11 Punkten.)

"Der Faktor "Politik" ist die bedeutendste nichtwirtschaftliche Variable in unserem Stressmodell (Welt-Systemstressindex), dieses gilt insbesondere für die kommenden Monate. Das Superwahljahr 2017 mit richtungsweisenden Veränderungen hat gerade Fahrt aufgenommen", konstatiert der IFK-Chef.

Der Ausgang des Brexit-Votums oder die Wahl von Donald Trump haben aufgezeigt, dass Umfragen und politische Spekulationen ein bemerkenswert verzerrtes Bild zeichnen können, wenn sich die politische Landschaft verändert. Stimmungen werden nur unzureichend durch die Demoskopen widergespiegelt, was zu irreführenden Wahrnehmungen führen kann. Richtig ist, dass die Welt trotz der jüngsten Erfahrungen nicht aus den Fugen geraten ist, was aber hauptverantwortlich an den umfangreichen und historisch einmaligen Maßnahmen der Notenbanken liegt. In den kommenden Monaten stehen Wahlen in Frankreich später dann in Deutschland und wahrscheinlich auch noch in Italien an. Laut IFK-Köln sind die Systeme aktuell inhärent instabil, was schnell dazu führen kann, dass sich systemische Risiken in hoher Geschwindigkeit ausbreiten können. "Die politischen Risiken haben sich als systemischer Risikofaktor für die Weltwirtschaft und die internationalen Finanzmärkte etabliert, auch wenn diese nur partiell wahrgenommen werden. Sie gänzlich auszublenden, wäre ein großer Fehler", konstatiert Zschaber.

Ob ein systemisches Risiko wie beispielsweise in den Jahren 2008/2009 oder 2011 im kommenden Jahr vorstellbar ist, sieht der Experte wie folgt: "Grundsätzlich gilt, dass das Unerwartete leider die Normalität geworden ist. Auf der anderen Seite besteht Zeit für die politischen Protagonisten, die Existenzkrise in der EU noch abzuwenden. Richtig ist, dass die wirtschaftliche und politische Lage in Europa angespannt ist. Die Wahlergebnisse werden womöglich vielen die Augen öffnen. Alle verfügbaren Fakten und Daten aus dem 'Welt-Systemstressindex' suggerieren, dass kurzfristig die systemischen Risiken überwiegen. Die aktuelle Ruhe an den Finanzmärkten ist gefährlich, davon sollte sich niemand leiten lassen, sondern stets wachsam bleiben."

Funktionsweise Welt-Systemstressindex:

Da sich Finanz-, Währungs- und realwirtschaftliche Krisen typischerweise deutlich voneinander unterscheiden, muss für die Identifikation von systemischen Risiken eine Vielzahl an Variablen dynamisch herangezogen werden um eine Determination zu ermöglichen. Der "Welt-Systemstressindex" operationalisiert die Interdependenzen zwischen den Finanzmärkten und den makroökonomischen Entwicklungen auf Basis von Veränderungen bzw. der Veränderungsgeschwindigkeit. Bis zu 6.500 Variablen werden für die weltweite Bewertung berücksichtigt. Der Index bietet damit ein Gesamtbild über die Verfassung und Anfälligkeit der Weltkonjunktur, der Weltfinanzmärkte sowie deren wechselseitige Abhängigkeit.

Indexstände oberhalb eines Niveaus von 20 Punkten (maximaler Stress 100 Punkte) bedeuten ein Stressniveau, welches bereits hohe Belastungen für die Realwirtschaft und die Finanzmärkte suggeriert. Bewegt sich die Stresskurve dagegen unterhalb einem Indexstand von -20 Punkten (minimaler Stress -100 Punkte) bedeutet dies, dass eine Entspannung erfolgt, in der ein Umfeld für positive Entwicklungen und Normalverteilung vorherrscht. Die Niveaus zwischen +20 und -20 quantifizieren das neutrale Umfeld. In diesem Bereich ist Wachsamkeit gefordert, da hier, je nach Richtung (zunehmender oder abnehmender Stress), dynamische Anpassungen in der Weltkonjunktur und an den Finanzmärkten bereits auftreten können.

Die "Vermögensverwaltungsges. Dr. Markus C. Zschaber mbH" und das "Institut für Kapitalmarktanalyse (IFK) Köln" stellen den Index monatlich exklusiv der "Wirtschaftswoche" und dem Nachrichtensender n-tv zur Verfügung. Informationen zum Index finden Sie unter www.zschaber.de und www.kapitalmarktanalyse.com

Quelle: ntv.de

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