Wirtschaft

Inside Wall Street Die Leere hinter dem Bart

Ben Bernanke: Fed-Chef mit Pokerface

Ben Bernanke: Fed-Chef mit Pokerface

(Foto: picture alliance / dpa)

Fährt die Fed ihre Politik des lockeren Geldes zurück? Wenn ja, wann? Oder hält sie weiter daran fest? Seit vergangener Woche schießen die Spekulationen darüber an den weltweiten Finanzmärkten ins Kraut. Schuld sind Äußerungen des Fed-Chefs Bernanke, die eigentlich keine waren. Typisch "Fed-Speak" halt.

Die Rallye an den US-Börsen geht weiter. Doch während der Dow Jones am Dienstag zum zwanzigsten Mal in Folge ein Tagesplus einfuhr, macht einer ein miesepetriges Gesicht: Ben Bernanke, der Fed-Chef, der schon wieder vor irgendeinem Gremium aussagen musste. Wer Bernanke schon länger kennt, weiß, dass man sich über dessen Gesichtsausdruck aber keine Sorgen machen muss.

Ein Pokerface scheint Einstellungsbedingung zu sein, wenn Washington nach einem Fed-Chef sucht. Ob es die Knittermaske von Alan Greenspan war oder das vollbärtige Gesicht seines Nachfolgers, vergeblich versuchen Analysten und Anleger aus der Mimik des obersten Währungshüters irgendeine Strategie abzulesen oder auch nur einen kleinen Hinweis auf die weitere Politik.

Als Alan Greenspan noch zuständig war, lagen regelmäßig die Kameras des US-amerikanischen Börsensenders CNBC vor der Federal Reserve auf der Lauer, um den Vorsitzenden des Offenmarktausschusses beim Betreten des Gebäudes zu filmen. Man hatte sich einen Aktentaschen-Indikator zurechtgelegt: Je dicker die Aktentasche, so die Lesart der TV-Analysten, desto mehr Material brachte er wohl in die Sitzung mit, und desto höher folglich die Chance auf eine Zinssenkung, Zinsanhebung - was immer für einen Richtungswechsel gerade nötig war.

Übersetzer für "Fed-Speak" gesucht

Schon damals war der Aktentaschen-Indikator wohl nicht ganz ernst gemeint. Heute wäre er völliger Unsinn, denn man darf davon ausgehen, dass auch Bernanke alle wichtigen Dokumente in elektronischer Fo rm herumträgt - vermutlich auf einem iPad. Dessen Dicke ändert sich bekanntlich nicht, wenn mehr Gigabyte draufgespielt werden. Wo soll man nun nach einem Hinweis auf die künftige Geldpolitik suchen? Die Tasche sagt nichts und das Gesicht ist rätselhaft. Soll man etwa darauf achten, was Bernanke und seine Kollegen sagen?

Es klingt ja plausibel: Einfach einmal bei einer Pressekonferenz genau zuhören, da müsste ja etwas zu erfahren sein. Wer das glaubt, der hat Bernanke (und seinem Vorgänger) wohl noch nie zugehört. Sie sprechen "Fed-Speak", höhnt man an der Börse in Anlehnung an George Orwell. In dessen Buch "1984" wurde "Newspeak" gesprochen, eine Sprache, deren Worte bewusst vertuschen oder gar das Gegenteil dessen besagen, was eigentlich gemeint ist.

Jüngst nun kündigte Bernanke an, die Fed werde sich damit auseinandersetzen, ob man das "quantitative easing" möglicherweise bald einschränken werde. Dass es nun einmal die Aufgabe der Fed ist, sich darüber regelmäßig Gedanken zu machen, kam an der Wall Street keinem in den Sinn. Vielmehr rätselte man sogleich, was hinter dem Satz stecken könnte: Fährt die Notenbank ihre marktfreundliche Geldpolitik zurück? Oder nicht? Bleibt man dabei, dass sich nichts ändert ehe der Arbeitsmarkt spürbar anzieht? Oder nicht?

Analysten spekulieren in beide Richtungen, nur um tags darauf ihre Meinung zu ändern. Die jüngste Prophezeiung bei JP Morgan sagt etwa, dass sich ab September "ein Fenster für ein Andenken eines Richtungswechsels" öffne, "wenn der Arbeitsmarkt..." und so weiter, und so fort. Am Ende weiß man nach jeder Fed-Rede so viel wie vorher.

Vermutlich weiß Bernanke selbst nicht, was er tun soll. Denn eines ist auch ihm nicht entgangen: Seine Niedrigzinspolitik, gekoppelt mit einem milliardenschweren Rückkauf von Staatsanleihen, hat der Wirtschaft kein nachhaltiges Wachstum beschert, aber der Öffentlichkeit ein schönes Bild vorgegaukelt. Immerhin: Die Börsen klettern von einem Rekord auf den nächsten, bis ... ja, bis Bernanke irgendwann nicht mehr kann. Der Chairman weiß, dass er dem Moment nicht entweichen kann, und vielleicht macht er deshalb hinter seinem Bart ein grimmiges Gesicht.

Quelle: ntv.de

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