Wirtschaft

Investoren wittern Chancen Ist Russland noch ein schönes Land?

Historische Parade in Moskau: Russland hat für Anleger viel von seinem einstigen Glanz eingebüßt.

Historische Parade in Moskau: Russland hat für Anleger viel von seinem einstigen Glanz eingebüßt.

(Foto: dpa)

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist noch immer nicht beigelegt, die Sanktionen beuteln die russische Wirtschaft. Dennoch sehen Fondsmanager gerade jetzt Chancen für einen Einstieg. Unter anderem winken dicke Dividenden.

"Moskau, Moskau, Russland ist ein schönes Land. Gläser fliegen an die Wand" – das sind die ersten Zeilen eines Schlagers aus den 70ern von Dhschinghis Khan. Als ein schönes Anlageziel wurde Russland vor sieben Jahren angepriesen, weil es neben Brasilien, Indien und China zu den chancenreichsten Schwellenländern, den BRIC-Staaten, gekürt wurde. Dass Emerging Markets höheren politischen Risiken unterliegen und unter anderem auch deswegen schwankungsanfälliger sind, stand nicht oben auf der Agenda vieler Marketingpräsentationen. Zu sehr wurde auf die Wachstumsraten geachtet. Mittlerweile ist BRIC nicht mehr schick. Das "R" der BRIC-Staaten ist ein Krisenherd. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist weiterhin ein Problem und die Sanktionen gegen Russland belasten den Rubel und die Aktienkurse. Alle Russlandfonds liegen in diesem Jahr im Minus. "Der russische Aktienmarkt hat seit Anfang des Jahres 20 Prozent gegenüber dem MSCI Emerging Markets Index, dem wichtigsten Schwellenländerindex, verloren. Der Bewertungsdiskont gegenüber den Vergleichsmärkten beträgt 60 bis 70 Prozent", sagt Alexander Dimitrov, Leiter der Osteuropa-Aktienfonds der Erste Asset Management.

Ukraine-Konflikt macht BRIC unsexy

Starke Kursschwankungen, nervöse Märkte, eine instabile politische Lage – das ist nicht unbedingt das Umfeld, in dem sich Anleger wohlfühlen, vor allem wenn das aktuelle Niedrigzinsumfeld ihre Toleranzgrenze für Risiken zusätzlich strapaziert. Für Fondsmanager hingegen bedeutet das aber auch, dass sie in der Krise Chancen wahrnehmen können. Vorausgesetzt, sie schätzen die Situation richtig ein. Denn die Krise hat russische Aktien insgesamt günstig gemacht.

"Wir glauben, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um wieder in russische Aktien zu investieren", sagt Norman Boersma, Fondsmanager des Templeton Growth Fonds. Es sei lange her als die "BRIC-Manie" im vollen Gange gewesen sei. Mitte des vergangenen Jahrzehnts seien russische Aktien zum Zweifachen ihres Buchwerts gehandelt worden, was überteuert gewesen sei. Mittlerweile ist das anders. "Sanktionen per se beinhalten ein Ziel der kollektiven Bestrafung, also werden auch gute Unternehmen abgestraft", sagt Dimitrov.

E-Commerce und Social Network funktionieren

Welche Branchen wurden also zu Unrecht in Sippenhaft genommen? Konsumgüter, der Gesundheitssektor, aber auch Dienstleister aus IT, Medien und Telekom scheinen aktuell von den meisten Russland-Experten favorisiert zu werden. Ghadir Leil-Cooper, EMEA-Aktien-Spezialistin bei Baring Asset Management und damit zuständig für Europa, Naher Osten und Afrika betont, dass es nicht um geopolitische Risiken, sondern um eine fundamentale Wachstumsstorys gehe. "Russland hat eine hohe Internetdurchdringung, aber hinkt beim E-Commerce, beim Social Network und beim Online-Banking hinter Europa und anderen Emerging Markets hinterher. Hier gibt es ein Wachstumspotenzial."

Und das ist nicht alles. Um Investoren zu halten oder zurückzugewinnen, zahlen nicht wenige russische Unternehmen derzeit hohe Dividenden. Im internationalen Vergleich schütten sie momentan sogar die höchsten Dividendenrenditen weltweit aus. Diese liegen im Durchschnitt bei rund fünf Prozent. Das sind gut zwei Prozentpunkte mehr als bei anderen Schwellenländermärkten. Es ist zwar wahrscheinlich, dass die höheren Finanzierungskosten wegen der Krise und der Sanktionen zu Dividendenkürzungen führen. "Doch selbst wenn die Dividenden in Russland um ein Drittel geringer ausfallen als derzeit erwartet, würde die Rendite des Marktes deutlich über der von anderen Schwellenländern und anderen entwickelten Märkten liegen", erläutert Dimitrov. "Für Dividenden-Jäger gibt es auf Einzelfirmenebene ganz interessante Gelegenheiten, bei denen Dividendenrenditen von bis zu zehn Prozent erwirtschaftet werden können", sagt Erdinc Benli, Leiter für Schwellenländer-Aktien bei Swiss and Global Asset Mangement. So rentiert die Vorzugsaktie von Surgutneftegas sowie die Aktie des Telekommunikationsunternehmens Megafon bei jeweils sieben Prozent. Die Dividende von Norilsk Nickel liege bei etwa zehn Prozent.

Lösung ist eine Frage der Zeit

Auf der einen Seite stehen die politischen Spannungen im Hier und Jetzt, auf der anderen Seite künftiges Wachstum und hohe Dividenden. "Ich weiß nicht, wann es eine Lösung geben wird, aber ich bin sicher, dass eine geben wird", sagt deshalb Leil-Cooper. In ihrem Szenario geht sie von einer Lösung innerhalb von zwölf bis 18 Monaten aus. Denn Russland und Westeuropa seien wirtschaftlich stark miteinander verflochten. Der russische Anteil am europäischen Konsum liege bei 31 Prozent. Boersma bestätigt diese Sicht: "Wir haben in Europa viele Unternehmen außerhalb von Russland gefunden, die auch von der Krise negativ beeinflusst werden." Ein Beispiel sei das Dax-Unternehmen Metro, das auch Filialen in Russland und der Ukraine hat. Die Aktie sei seit November 2013 um etwa 25 Prozent gefallen.

Sanktionen können Russland noch härter treffen

"Sollten die Sanktionen über eine längere Zeit aufrechterhalten beziehungsweise noch verschärft werden, hätte das weitreichende negative Folgen für die russische Wirtschaft", sagt Benli. So würde zum Beispiel das Verbot von Technologie zur Förderung von Erdöl in der Tiefsee und in der Arktis die Produktion negativ beeinflussen. Denn in der Arktis werden große Erdölvorkommen vermutet. Da rund die Hälfte der russischen Staatseinnahmen aus dem Energiesektor kommt, hätte das negative Auswirkungen auf den Staatshaushalt und damit auf die Ausgaben. Neben der fehlenden Technologie dürfte auch der erschwerte Zugang zum internationalen Kapitalmarkt die Finanzierung von Projekten behindern, sofern nicht neue Finanzierungsquellen gefunden werden wie zum Beispiel die Kooperation mit China. "Doch es wird einige Zeit brauchen, bis asiatische Länder die europäischen und amerikanischen Kapitalgeber substituieren könnten. Rosneft zum Beispiel hat bereits jetzt einen hohen Schuldenberg: Das Finanzieren neuer Projekte in der Arktis könnte sich als große Herausforderung herausstellen", so Benli.

Über die wirtschaftlichen engen Verflechtungen mit Russland war sich die Politik offenbar im Klaren. Die Sanktionen wurden nicht leichtfertig auferlegt. Es sei interessant, dass die westlichen Sanktionen erst nach einer dreimonatigen Beratung verhängt worden seien, sagt Leil-Cooper. Auch interessant sei, dass Russland nicht mit heftigen Gegenreaktionen Einreiseverboten oder Ähnlichem reagiert habe.

Am Ende ist es eine Frage der Zeit. Wenn die Sanktionen noch länger andauern, wird das die russische Wirtschaft und auch die Aktienmärkte stärker belasten. Der schwache Rubel treibt die Inflation an. Die russische Zentralbank könnte darauf mit Zinsanhebungen reagieren, was Kredite verteuert. In der Vergangenheit waren Krisen oft gute Einstiegszeitpunkte. In Russland stehen jedoch große Chancen hohen Risiken gegenüber. "Die Bewertungsdiskonte sind enorm hoch, also gibt es viele Möglichkeiten. Letztendlich ist und bleibt Russland mit einer Bevölkerung von über 140 Millionen Menschen der zweitgrößte Konsummarkt in Europa", sagt Dimitrov. Erst im Nachhinein wird sich zeigen, für welchen Fonds dieses Verhältnis richtig eingeschätzt wurde und ob russische Aktien momentan tatsächlich ein Sonderangebot oder ein Fehlkauf sind. Eins ist aber klar, Anleger brauchen für eine Wette auf Russland Zeit und starke Nerven.

Quelle: ntv.de

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