Wirtschaft

Absturz der türkischen Lira "Es wird der Türkei weh tun"

Markt in Istanbul. Präsident Erdogan ruft seine Landsleute dazu auf, ihre Dollar in Lira umzutauschen, um deren Kurs zu stützen.

Markt in Istanbul. Präsident Erdogan ruft seine Landsleute dazu auf, ihre Dollar in Lira umzutauschen, um deren Kurs zu stützen.

(Foto: dpa)

Mächtig unter Druck steht die türkische Währung und liegt auf historisch niedrigem Niveau. Präsident Erdogan hat die Ursache bereits ausgemacht: das Ausland sei Schuld. Eine Devisenexpertin sieht die Krise jedoch zum Teil als hausgemacht an.

Die türkische Lira ist seit Wochen auf dem Abstieg, auch wenn sie sich zuletzt etwas erholt hat. Anfang Dezember markierte sie im Vergleich zum Dollar ein neues Rekordtief. Für einen Dollar mussten fast 3,6 Lira bezahlt werden - so viel, wie nie zuvor. Seit Jahresbeginn hat die Lira bis zu einem Fünftel ihres Wertes verloren und sich im November so schlecht geschlagen wie seit der weltweiten Finanzkrise 2008 nicht mehr. Was sind die Ursachen für den Kursverfall? Für den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan ist klar: "Ausländische Devisenspekulationen" seien verantwortlich. Für den Kursverfall gebe es keine ökonomischen Gründe, behauptet er.

US-Dollar / Türkische Lira
US-Dollar / Türkische Lira 32,60

Aber stimmt das? Für Antje Praefcke, Devisenexpertin bei der Commerzbank, ist das Problem mit der sinkenden türkischen Lira zumindest teilweise hausgemacht. Für deren jüngsten Verfall sieht sie drei Ursachen: "Erstens sind die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft erheblich gefallen, nach dem Putschversuch im Juli aber auch bereits davor aufgrund mehrerer Bombenanschläge", sagt sie gegenüber n-tv.de. Die Nachfrage nach der türkischen Lira gehe durch ausbleibende Touristen zurück.

Zweitens habe die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA nach der Präsidentschaftswahl zuletzt die Währungen mehrerer Schwellenländer belastet, eben auch die der Türkei. Denn Investoren ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab, um es in den USA anzulegen. Ein selbst verschuldeter Faktor ist laut Praefcke drittens jedoch die Unsicherheit ausländischer Investoren über die weitere Entwicklung der Türkei. Ein Rückgang der Auslandsinvestitionen hat ebenfalls eine sinkende Nachfrage nach der türkischen Währung zur Folge.

Erdogan setzt Zentralbank unter Druck

Antje Praefcke ist Devisenexpertin bei der Commerzbank.

Antje Praefcke ist Devisenexpertin bei der Commerzbank.

Die Unsicherheit der ausländischen Investoren resultiere aus der politischen Entwicklung nach dem Putschversuch im Juli und den Differenzen zwischen Zentralbank und Regierung. Worin besteht dieser Konflikt? Die türkische Notenbank steht auf der einen Seite unter Zugzwang, denn mit der sinkenden Lira würden auf absehbare Zeit die Preise steigen und die Inflation anziehen. "Die Zentralbank muss daher die Zinsen anheben, was sie auch bislang getan hat", so Praefcke. Ende November wurde erstmals seit Anfang 2014 der Leitzins angehoben. Der Schlüsselzins für einwöchige Ausleihungen der Geschäftsbanken stieg von 7,5 Prozent auf 8,0 Prozent.

Auf der anderen Seite wurde die Zentralbank zuletzt von der Regierung in Ankara unter Druck gesetzt, die Zinsen wieder zu senken, weil es in der Türkei wirtschaftlich derzeit nicht so positiv läuft, erklärt Praefcke. Zwar hatte Erdogan immer wieder die Unabhängigkeit der Zentralbank betont. Allerdings gestand er sich das Recht zu, als Präsident öffentlich Kritik zu üben. "Wir wissen ja, dass auf der politischen Seite schon erhebliche Repressalien stattgefunden  haben. Wer garantiert denn, dass das nicht möglicherweise auch irgendwann auf die Zentralbank überschlägt?", so Praefcke. Diese Unsicherheit ist es also, die ausländische Investoren zurückhält.

"Da wird der letzte Rest zusammengekratzt"

Die Türkei steht also vor der Entscheidung, die Zinsen zu erhöhen und damit die Währung zu stabilisieren - was sich jedoch negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken könnte. Oder die Zinsen stabil zu halten, damit die Wirtschaft zu schonen und die Lira anderweitig vor dem Absturz zu bewahren. Erdogan versuchte Letzteres etwa durch seine wiederholten Aufforderungen an seine Landsleute, sie mögen ihre Devisen in die einheimische Währung umtauschen oder in Gold investieren. Zuletzt konnte so auch ein wenig Druck von der Lira genommen werden. Aus Sicht von Praefcke allerdings ist dies keine nachhaltige Maßnahme: "Da wird der letzte Rest zusammengekratzt."

Als schärfere Schwerter gegen den Lira-Verfall seien das Aufkaufen von Lira mit staatlichen Devisen oder letztlich sogar Kapitalverkehrskontrollen denkbar - was jedoch ausländische Investoren, auf die die Türkei zur Finanzierung ihres hohen Leistungsbilanzdefizits angewiesen ist, noch stärker abschrecken würde. Bleiben diese Investitionen aus, könnte der türkischen Wirtschaft eine Leistungsbilanzkrise und eine schmerzhafte Anpassungsrezession drohen. Die Devisenexpertin ist sich daher sicher: "Es wird der Türkei weh tun. Die Frage ist nur: Was tut der Wirtschaft weniger weh?"

Quelle: ntv.de

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