Wirtschaft

Anleiherenditen auf Rekordtief Anleger spielen mit dem Feuer

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble freut sich. Er schuldet in großem Stil von kurzlaufenden Anleihen in langjährige um.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble freut sich. Er schuldet in großem Stil von kurzlaufenden Anleihen in langjährige um.

(Foto: picture alliance / dpa)

Finanzminister Schäuble darf sich freuen. Die Investoren werfen ihm das Geld förmlich hinterher. Die Renditen von Bundesanleihen sind historisch niedrig. Aber die Vorstellung vom "sicheren Anlage-Hafen" ist ein Trugschluss.

Ölpreisverfall, Russland-Krise, drohender Grexit - viele Länder sehen zurzeit rot. Deutschland können diese Krisen offenbar wenig anhaben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zumindest freut sich über rekordniedrige Zinsen bei Bundesanleihen. Weil Anleger dem Staat so bereitwillig Geld geben wie nie, kann die Bundesrepublik sich so preiswert refinanzieren wie nie. So bereitwillig, dass die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen zuletzt unter die Minimarke von 0,4 Prozent purzelten. Schäuble leiht sich also fast kostenlos langfristig Geld. Bei kürzeren Laufzeiten sind die Investoren sogar bereit, draufzuzahlen. Anleihen mit Laufzeiten bis von zu fünf Jahren rentieren nominal nur mit null Prozent beziehungsweise sogar im negativen Bereich. Konkret bedeutet das, Anleger leihen dem Bund 100 Euro und bekommen nach ein bis vier Jahren nur noch 99 Euro und ein paar Cent raus. Verbrennen Investoren hier bewusst Geld?

Geldvernichtung im nominalen Sinn sei es auf jeden Fall, sagt der Vorstand des Vermögensverwalters ICM, Norbert Hagen. "Real wahrscheinlich auch", so der Anleiheexperte weiter - das heißt, wenn man den Verlust durch Geldentwertung hinzurechnet. "Wir wissen ja nicht, wo die Inflationsraten in den nächsten zehn Jahren liegen werden. Wenn ich die heutigen Zahlen nehme, habe ich definitiv eine Geldvernichtung."

Was Investoren suchen, ist die Sicherheit. Deshalb lassen sie sich mit immer weniger Rendite abspeisen. Den jüngsten Kursrutsch am Anleihemarkt erklärt Hagen vor allem mit der "prekären Situation vor den Wahlen in Griechenland". Anleger könnten da auch in einem geringen Umfang einen negativen Zins akzeptieren, weil "praktisch höhere Verluste unmöglich werden". Hätte der Anleger statt Bundesanleihen eine Allianz-Aktie gekauft, hätte er seit Anfang 2015 bereits rund drei Prozent Minus gemacht. Da hilft die vergleichsweise hohe Dividendenrendite bei dem Papier auch nicht viel.

Anleihen laufen seit Jahren besser als andere Anlageklassen. Im Jahr 2014 ist der zur Rendite gegenläufige Kurs zehnjähriger Bundesanleihen von 101 auf 107 Prozent gestiegen - das ist ein Plus von knapp sechs Prozent. Der Blick auf den Aktienmarkt zum Vergleich zeigt: Der Dax legte im gleichen Zeitraum lediglich 2,7 Prozent zu. Die steigende Nachfrage am Anleihemarkt lässt die Renditen immer weiter abschmelzen und umgekehrt die Kurse steigen. Dabei heißt es seit Jahren, das Zinstief am Anleihemarkt sei erreicht.

"Bis der letzte Verrückte kauft"

Der perfekte Nährboden für eine Niedrig-Zins-Phase am Anleihemarkt ist die Mischung von fehlendem Wirtschaftswachstum und niedriger Inflationsrate. "Wir leben seit 2009 in einer anderen Welt", sagt der Rentenmarkt-Experte Hagen. "Von der Struktur her ist sie deflationär." Die öffentliche Hand gebe weniger Geld aus und habe deshalb weniger Bedarf, sich zu refinanzieren, als vor 2009. Die verringerten Ausgaben haben wiederum zur Folge, dass es nicht ausreichend Nachfrage gebe.

"Dieses fehlende Wachstum ist immer ein günstiger Faktor für niedrigere Zinsen", so Hagen weiter. Gleichzeitig entschuldet sich der Staat durch die Tilgung ausstehender Anleihen. Damit verknappt er das Angebot an Bundesanleihen, was sogar schon bei gleichbleibender Nachfrage zu steigenden Kursen führt.

Die Geldpolitik der EZB, die die Wirtschaft demnächst zu mehr Nachfrage nach Geld "zwingen" will, begünstigt die Entwicklung laut Hagen zusätzlich. Wenn die Zentralbank demnächst als Käufer von Staatsanleihen auftritt, wie sie es bereits angekündigt hat, tritt ein weiterer - zudem gewichtiger - Käufer in den Markt ein. Eine Umkehr des Trends ist kurzfristig also nicht zu erwarten.

Das Problem von Geldpolitikern besteht darin, dass Geldpolitik in Niedrigzinsphasen Kreditaufnahmen nicht wirklich attraktiver macht. Es kann somit eigentlich kein nennenswertes Wirtschaftswachstum generieren. "Wenn Herr Schäuble fiskalpolitisch eine Milliarde Euro in die Hand nimmt und in die Wirtschaft pumpt, dann kommt für diese Milliarde mindestens der Gegenwert an Wachstum raus", so Hagen weiter. Geldpolitik könne das nicht. Am Ende führe das dazu, "dass der letzte Verrückte die zehnjährigen Bundesanleihen kauft und meint, mit 0,46 Prozent auf Fälligkeiten in zehn Jahren würde er einen guten Deal machen". So ein Trend halte erfahrungsgemäß länger an, als man denke.

Ölpreisverfall könnte Kurse hochlaufen lassen

Wichtig könnten laut Hagen demnächst die Auswirkungen des fallenden Ölpreises auf das Wirtschaftswachstum sein. "Irgendwo im Wachstum wird er demnächst auftauchen." Der Strukturbruch sei das "Event des Jahres 2015", hier finde eine entscheidende Vermögensumverteilung statt. "Alles, was Öl exportiert, verliert nach jetzigem Stand 50 Prozent des Einkommens", sagt Hagen.  Auch die USA, als neuer Ölexporteur am Markt werden von diesem "Abschmelzprozess" betroffen sein. 

Deutschland wird zu den Profiteuren gehören. Der positive Effekt des billigen Öls liegt für Deutschland als Ölimporteur auf der Hand: Es wirkt wie ein nicht geplantes Konjunkturprogramm. Alternativ hätte die Bundesregierung auch die Steuern auf Treibstoffe reduzieren können, um die Wirtschaft anzukurbeln. Laut Hagen ist "das preiswerte Öl viel besser in der Wirkung als die Geldpolitik von Mario Draghi. Weil es schon heute 1:1 bei uns im Geldbeutel ankommt". Die Auswirkungen eines solchen positiven konjunkturellen Effekts könnten auch bei den Bundesanleihen zu fallenden Kursen führen.  

Während die Anleihekäufe der EZB in den Kursen wahrscheinlich weitestgehend eingerechnet sind, haben die Konjunkturprognosen den Ölpreisschock wohl noch nicht vollständig eingepreist. Hagen rechnet mit einer Anpassung in den kommenden beiden Quartalen. Seiner Ansicht nach könnte das Wachstum in der Eurozone sogar auf 2,0 bzw. 2,5 Prozent hochlaufen, denn entscheidend wird auch sein, wie es in Russland weitergeht.

Ob Präsident Wladimir Putin zusätzlich zu den Embargos auch noch die neue Ölkrise politisch übersteht, darf in der derzeitigen Gemengelage durchaus gefragt werden. Ein Ende der Handelsembargos wegen der Ukraine-Krise, die die Euro-Zone im vergangenen Jahr 0,6 Prozent Wachstum gekostet haben, würde die Konjunktur im Euroraum zusätzlich befeuern. Für Bundesanleihen würde ein kräftiges Anziehen der Konjunktur dann insgesamt bedeuten: "Sie hätten plötzlich keine 0,46 Prozent Rendite mehr, sondern über zwei Prozent", so Hagen. Das heißt, dass eine zehnjährige Bundesanleihe im Kurs durchaus 20 Prozentpunkte verlieren könnte. So gesehen scheint der Kauf oder das Halten von langen Bundesanleihen brandgefährlich.

Quelle: ntv.de

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