Wirtschaft

Zur Konjunkturlage der Nation Wie geht es Deutschland wirklich?

Ukraine, Athen, Euro-Schwemme: In unruhigen Zeiten bietet Deutschland das Bild einer starken, aber sturmumtosten Wirtschaftsmacht. Doch die Daten verraten, mit welchen Drehzahlen der Wirtschaftsmotor wirklich arbeitet.

Das erste Quartal des Jahres ist gelaufen und im ersten Moment wirkt die Lage tatsächlich vielversprechend: Am Arbeitsmarkt verzeichnet BA-Chef Frank-Jürgen Weise den niedrigsten Stand der Arbeitssuchenden seit rund 24 Jahren. Die Kauflaune der Verbraucher nimmt laut GfK dank Mini-Inflation und kräftigen Lohnabschlüssen weiter zu. Der Konsumklimaindex der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) liegt Ende März bei 9,7 Punkten: Die Stimmung der Verbraucher sei, so sagen die Konsumforscher, so gut wie seit gut 13 Jahren nicht mehr. Nicht einmal das Hin und Her um die Rettung Griechenlands könne die Deutschen derzeit verunsichern. Haben die Konsumenten den Bezug zur Wirklichkeit verloren?

Eine Insel der Glückseligen?

Hoch erhobene Augenbrauen: Die Wirtschaftsweisen erkennen "mittelfristige Risiken für die Finanzstabilität (...) infolge der ausgesprochen lockeren Geldpolitik der EZB."

Hoch erhobene Augenbrauen: Die Wirtschaftsweisen erkennen "mittelfristige Risiken für die Finanzstabilität (...) infolge der ausgesprochen lockeren Geldpolitik der EZB."

(Foto: REUTERS)

Der Eindruck täuscht: Der lebhafte Betrieb in den Fußgängerzonen und Einkaufsmeilen scheint mit dem Geschäftsklima in den deutschen Unternehmen in Einklang zu stehen. Dort hat sich die Stimmung nach einem etwas zögerlichen Herbst wieder stabilisiert, wie aus den Umfragen des Münchner Ifo-Instituts unter deutschen Führungskräften hervorgeht. Der Ifo-Index, der die Ergebnisse dieser Befragung widerspiegelt, ist in den zurückliegenden 24 Monaten zu keinem Zeitpunkt unter einen Wert von 100 Punkten gefallen.

(Hinweis für Mobilnutzer: Die Infografik "Deutschland-Tacho" finden Sie hier)

Offen zutage tritt der Oktober-Knick in den Konjunkturerwartungen der Finanzmarktprofis: Der ZEW-Index rutscht nach einem Hoch zum Jahreswechsel 2013/14 unter dem Eindruck der Krim-Krise und der Russland-Sanktionen immer weiter ab, bis er im Herbst des vergangenen Jahres einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Seitdem scheinen die Hoffnungen die Ängste wieder zu überwiegen. Die Rückkehr des Grexit-Risikos nach dem Richtungswechsel in Athen hinterlässt in den Daten keine sichtbaren Spuren - weder bei den Konsumenten noch bei Managern oder Händlern. Der Krieg in der Ukraine und die Staatsschuldenkrise in Griechenland hätten sich jedoch "dämpfend" auf die Erwartungen ausgewirkt, heißt es beim Mannheimer Zentrum für Wirtschaftsforschung.

Krisen, Kriege, Risiken

Insgesamt hält sich Deutschland also erstaunlich gut und das, obwohl sich die Rahmenbedingungen teils grundlegend verändert haben. Klare Negativfaktoren sind an der Peripherie Europas erkennbar: Die Spannungen mit Russland belasten das Verhältnis mit dem wichtigen Handelspartner im Osten schwer. Der Krieg im Osten der Ukraine strahlt zudem über die Angst im Baltikum vor weiteren Völkerrechtsbrüchen direkt bis in die Eurozone aus. Dazu kommen der Vormarsch der IS-Milizen in Syrien und dem Nordirak, das Chaos in Libyen und zuletzt ein echter Stellvertreterkrieg im Jemen.

Positiv dagegen wirkt: Seit vergangenem Sommer sind nicht nur die Weltmarktpreise für Rohöl um mehr als die Hälfte gefallen. Der Euro hat zum Dollar deutlich an Stärke verloren. Zusammen verschaffen diese beiden Faktoren der deutschen Industrie und der gesamten Exportwirtschaft im Euroraum nicht zu verachtende Vorteile zum Beispiel im USA-Geschäft.

"Die Absatzmärkte der deutschen Exportwirtschaft liegen zu fast zwei Dritteln außerhalb des Euroraums und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produkte verbessert sich mit dem schwächeren Euro", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. Die fünf Wirtschaftsweisen hoben ihre Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum Ende März deutlich an. Dieser Sachverständigenrat, der die Bundesregierung bei der Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage berät, erwartet nun für das laufende Jahr ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,8 Prozent.

Fundamentale Veränderungen

"Insgesamt stellt sich der konjunkturelle Ausblick für dieses Jahr deutlich besser dar als im November des vergangenen Jahres", fassen sie die Lage zusammen. Die Risiken, so heißt es weiter, seien jedoch "nach wie vor hoch". Insbesondere die "mittelfristigen Risiken für die Finanzstabilität" seien "infolge der ausgesprochen lockeren Geldpolitik der EZB" gestiegen, warnen die Wirtschaftsweisen.

Im März haben die Währungshüter rund um EZB-Chef Mario Draghi ihre Ankündigungen wahr gemacht. Seitdem pumpen sie Monat für Monat mittels Wertpapierkaufprogramm Milliardensummen in den Markt. In Washington dagegen mehren sich die Vorzeichen, dass die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) womöglich bereits im Sommer die große Zinswende im Dollarraum einleiten wird: Das wäre das Ende der historischen Billiggeld-Ära in den USA - mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die ein solcher "Exit" in diesen Ausmaßen mit sich bringen wird.

Welche Auswirkungen die Konstellation aus billigem Öl, Euro-Geldschwemme und fallendem Euro-Kurs auf die Kurse an der Börse haben, lässt sich zurzeit am deutschen Aktienmarkt besichtigen. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres schwebt der Leitindex Dax weiter durch bislang nie gekannten Höhen. Das bisherige Jahrestief liegt noch immer deutlich über der Marke von 9300 Punkten - ein Kursniveau, das vor zwei Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. Und der Dax ist nicht alleine: Zum Stichtag Ende März notieren die Pegelstände der Nebenwerte-Indizes MDax und TecDax ebenfalls nahe ihrer Allzeithochs.

Historischer Höhenflug

Für Anleger, die bereits Aktien halten, übersetzt sich der außergewöhnliche starke Auftrieb an den Börsen in kräftige Kursgewinne. Seit Jahresbeginn liegen die Performance-Werte von Dax und MDax klar jenseits der 20-Prozent-Marke. Selbst der etwas gemäßigtere TecDax weist zum Ende des ersten Quartals noch ein Plus von knapp 18 Prozent auf. Für Sparer jedoch, die angesichts eines Zinsniveaus nahe Null eine schleichende Entwertung ihres Vermögens fürchten, verheißen die Daten insgesamt nichts Gutes. Deutschland zeigt alle Anzeichen eines ungewöhnlich starken Booms. Für immer, so viel ist sicher, kann es so nicht weitergehen.

Quelle: ntv.de

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