Wirtschaft

Touristen oder Wale? Island am Scheideweg

Wild-herbe Schönheit: Island ist reich an Attraktionen, Rohstoffen und eigenen Ideen.

Wild-herbe Schönheit: Island ist reich an Attraktionen, Rohstoffen und eigenen Ideen.

(Foto: REUTERS)

Die isländische Wirtschaft droht trotz des wirtschaftlichen Wachstums und des ausbaufähigen Potentials zu stagnieren. Grund sind die seit der Krise 2008 geltenden Kapitalverkehrssperren. Eine Öffnung erfolgt nur schrittweise und kontrolliert.

Die Straße, die vom internationalen Flughafen Islands zur Hauptstadt Reykjavik führt, liegt im Dämmerlicht der nordischen Nacht. Nur eine Plakatwand ist hell erleuchtet und begrüßt die ankommenden Touristen unmissverständlich: Auf ihr sind die isländische und die europäische Flagge zu sehen, darunter steht "Nei Takk", zu deutsch "Nein, Danke".

Island ohne EU

Nein, die Isländer wollen nicht in die EU. Die im vergangenen Jahr gewählte Regierung der Fortschrittspartei in Koalition mit der euroskeptischen Unabhängigkeitspartei hat den EU-Mitgliedsantrag zurückgezogen. An den seit der Finanzkrise 2008 geltenden Kapitalverkehrskontrollen hält sie fest und schottet das Land von fremden Einflüssen ab.

Die Bucht der Hauptstadt Reykjavik ist eine Skyline aus Baukränen, schicke Bürotürme und Wohnhäuser wachsen hier neuerdings in den wolkenverhangenen Himmel. Da investieren die isländischen Anleger hinein – außerhalb des Landes dürfen sie nicht.

Die Selbstisolation ist eine Reaktion auf den Schock vom September 2008, als die drei größten Banken Kaupthing (heute Arion), Glitnir (heute Islandsbanki) und die Landsbanki verstaatlicht werden mussten. Die Auslandsverschuldung lag bei den erst 2002 privatisierten Banken zu dem Zeitpunkt bei rund 40 Milliarden Euro, dem etwa Vierfachen des damaligen BIPs.

Nach der Verstaatlichung stieg die Inflation auf 18 Prozent und die Tilgung der Devisenkredite wuchs den Isländern über den Kopf. Die Arbeitslosigkeit stieg in den darauffolgenden Jahren auf bis zu neun Prozent, eine Dimension der Armut, die den Isländern neu war.

Seither ist es die größte Angst der Isländer, die Kontrolle zu verlieren. Die Sperren bleiben, weil die Regierung Kapitalflucht befürchtet. Damit würde die isländische Krone weiter entwertet. Investitionen aus dem Ausland sind nur mit einer Sondergenehmigung möglich.

Zurück zur alten Stärke?

Das ging in den letzten Jahren gut, die Wirtschaft brummt. Die isländische Notenbank prognostiziert für 2014 ein BIP-Wachstum von 3,7 Prozent, das liegt deutlich über dem Durchschnitt der anderen europäischen Volkswirtschaften. Die Arbeitslosenquote hat sich seit der Krise halbiert, von etwa neun Prozent auf zuletzt 4,5 Prozent und die Wirtschaftsabteilung der Landsbanki prognostiziert einen weiteren, allerdings verlangsamten Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Das Haushaltsdefizit ist seit 2008 von 13 Prozent auf nunmehr drei Prozent des BIPs geschrumpft.

Doch sollte sich Island nicht bald öffnen, wird die Wirtschaft stagnieren. Die Börse in Reykjavik legte 2013 noch um 26 Prozent zu, doch nach drei Börsengängen im vergangenen Jahr bleibt es 2014 ruhig, nur der Versicherer Sjova hat sich bisher aufs Parkett gewagt. Der OMX-Iceland-Allshare-Index listet derzeit zwar 15 Titel. Aber das Ziel, bis in fünf Jahren 40 Titel zu führen, wird wohl genauso wenig erreicht werden, wie die Verdopplung der Börsenkapitalisierung.

Eine leichte Öffnung – ganz kontrolliert – ist nun zu spüren. So hat Island als erstes europäisches Land ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen. Zusammen mit den Asiaten und Norwegen suchen die Isländer nach Gold und Öl. Ab 2016 könnte es in der sogenannten Drachen-Zone um Island die ersten Bohrungen stattfinden.

Alcoa, Elkem und die Chinesen

Ein weiteres Beispiel dafür ist der Walfjord, etwa 60 Kilometer nördlich von Reykjavik. Dort graben sich zwei industrielle Anlagen in die raue Idylle des mit nur flaumigen Grün überzogenen Vulkangesteins: eine Aluminiumhütte der US-Firma Alcoa und ein Ferrosiliziumwerk des norwegischen Unternehmens Elkem, das einer chinesischen Holding gehört.

Betrieben werden die energieintensiven Anlagen mit regenerativem Strom aus einem Wasserwerk, genauso wie zwei weitere Aluminiumhütten des kanadischen Konzerns Rio Tinto Alcan und dem US-Verarbeiter Century Aluminium.

Die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Landsvirkun erzeugt derzeit mit 13 Wasserkraftwerken, mehreren geothermischen Anlagen und Windrädern im Hochland der Insel etwa 75 Prozent der in Island benötigten Energie. Und holt mit dem grünen Strom weitere Schwerindustrie auf die Insel, im Walfjord plant die US-Firma Silicon Materials neuerdings ein Solarsilikonwerk.

Strom- und Datenkabel nach Europa

Der Reichtum an regenerativen Energien birgt aber noch weitaus mehr Potenzial. So arbeitet etwa das Unternehmen Farice an einem Hochleistungskabel, um Strom von Island nach Europa exportieren zu können. Die eigentliche Aufgabe Farices ist allerdings der Bau von Hochleistungskabeln für Daten. Und davon hängt wiederrum der Erfolg von Verne Global ab.

In der Nähe des internationalen Flughafens, auf einem ehemaligen Militärgelände der Amerikaner, hat Verne Global seinen Sitz. Das Unternehmen will riesige elektronische Speicheranlagen bauen, denn die Gesamtbetriebskosten für Rechenzentren sind auf Island 50 bis 70 Prozent geringer als in den USA oder Europa.

Um das Wachstum nicht auszubremsen, wird nach unkonventionellen Lösungen gesucht. Der isländische Premierminister Sigmundur David Gunnlaugson denkt etwa über die Einführung einer zweiten Währung nach, den kanadischen oder den US-Dollar. "Ob wir die Krone behalten oder etwas anderes, wir müssen an der gleichen Stelle anfangen und die Wirtschaft stärken, die Schulden der Regierung senken und die Inflation unter Kontrolle halten", sagt Gunnlaugson.

Nicht alles Gold, was glänzt

Die wirtschaftliche Quarantäne hat allerdings noch andere Nachteile: Sie befördert laut des jüngst veröffentlichten Wahrheitsfindungsberichts des isländischen Parlaments die Korruption. Es sind Gruppen von Familien, die auf der 320 000 Einwohner zählenden Insel die Wirtschaft kontrollieren. Etwa den Fischfang.

Der Tourismus hat mittlerweile ein ähnliches Volumen wie der bislang wirtschaftlich dominierende Fischfang. Trotzdem wird dieser noch deutlich stärker subventioniert. Dazu zählt auch der Walfang, obwohl das Walfleisch ohnehin kaum Absatz findet und dem isländischen Warenexport im Ganzen schadet.

Tote Wale behindern den Export

Lediglich Japan kaufe das Fleisch der Isländer noch und der Transport dahin müsse direkt erfolgen, da sich Häfen in den USA und Europa weigern, die Container umzuladen oder mit Wal beladene Schiffe zu betanken. Eine Ansage des US-amerikanischen Lebensmittelkonzerns High Liner Food, keine isländischen Fischereiprodukte mehr kaufen zu wollen, falls der Walfang nicht stoppe, verhallt auf der nordischen Insel ungehört.

Dagegen ist die Bereitschaft, den Tourismus auszubauen, derzeit gering: Die Vorsitzende der isländischen Tourismusvereinigung, Olöf Yrr Atladottir, ist der Ansicht, dass Island mit mehr Touristen nicht umgehen könne: "Der Wirtschaftszweig kann langfristig nicht so schnell wie in den vergangenen Jahren wachsen, als er um 20 Prozent gestiegen ist", sagt sie.

Derzeit dürfen Landbesitzer, auf deren Land sich etwa heiße Quellen oder Attraktionen wie Geysire befinden, keinen Eintritt verlangen. Dazu müssten sie den laut staatlicher Vorgabe Touristen neben Sicherheitsabsperrungen zusätzliche Bildungsangebote machen. Doch das hat nur zu einer Klagewelle der Landbesitzer untereinander geführt.

Auch wenn Island als Vorbild in der Bewältigung seiner Krise gilt – ganz ausgestanden ist die Situation noch nicht. Island wird sich entscheiden müssen, inwieweit es dem Rest der Welt gegenübersteht. Mit einem "Nei Takk" oder doch einem Willkommen.

Quelle: ntv.de

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