Wirtschaft

Kehrtwende eingeleitet Zulieferer finden Autobauer wieder chic

Ein Bosch-Mitarbeiter prüft die Bremsscheibe eines Autos.

Ein Bosch-Mitarbeiter prüft die Bremsscheibe eines Autos.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Zulieferer sehen wieder die Fahrzeugbauer als wichtigste Kunden. Marktwachstum und Internationalisierung machen die Pkw-Branche wieder interessanter. Auch IT-Konzerne treten auf den Plan.

Nur Autobauer als Kunden? Das war so manchem Zulieferer in der Vergangenheit zu wenig. Diversifizierung hieß das Zauberwort, man wollte vom Wachstum in anderen Industriezweigen profitieren und das Risiko streuen. Als in der Krise die Automärkte in der westlichen Welt jahrelang schwächelten, schien sich die Strategie auszuzahlen, auch die Luftfahrt-, Medizintechnik- oder Solarbranche zu beliefern.

Allerdings ging währenddessen der Autoboom in China trotz Gegenwind weiter, und die USA kamen überraschend schnell wieder auf die Beine. Die Industrie dagegen schwächelte immer mehr. Das ist Grund genug für eine Kehrtwende bei vielen Zulieferern: Die Fahrzeugbauer als Kunden rücken wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Leoni etwa, einer der größten Bordnetzebauer in Europa, wollte lange Zeit seine Abhängigkeit von der Autobranche reduzieren. 60 statt rund 75 Prozent Umsatzanteil dieser Kundengruppe strebte der Konzern an - vergeblich. In einer großen Krise wie nach der Lehman-Pleite "waren alle Märkte tot", erläutert Vorstandschef Klaus Probst. Das Kerngeschäft mit den angestammten Abnehmern aus der Fahrzeugbranche nahm indes schnell wieder Fahrt auf. "Die Automobilnachfrage ist weiterhin hoch, auch in Europa." Sein einstiges Ziel warf Probst inzwischen über den Haufen.

Ähnlich der Wälzlagerhersteller Schaeffler, bei dem 73 Prozent der Erlöse von Kunden aus der Fahrzeugbranche kommen. "Wir gehen nicht davon aus, dass wir 60:40 wieder erreichen können", sagt Interims-Vorstandschef Klaus Rosenfeld. Das genaue Verhältnis sei aber inzwischen zweitrangig. Er betont: "Das Automotive-Geschäft ist der Wachstumstreiber für uns." Hohe Stückzahlen und mehr Wertschöpfung als anderswo locken den Zulieferer. Beim Roboter- und Anlagenbauer Kuka haben sich schon mehrere Chefs am Ziel der Ausgewogenheit abgearbeitet. "General Industry kostet viel Kraft", räumt der amtierende Konzernchef Till Reuter ein. Allein die Zahl der potenziellen Kunden aus den unterschiedlichsten Industriezweigen ist weitaus größer als in der Autobranche.

Einmal um die ganze Welt

Natürlich will kein Lieferant das gute und meist margenstarke Geschäft mit den Pkw-Konzernen links liegen lassen. Die Konjunktur- und Marktbedingungen unterstützten das Wachstum der meisten globalen Autozulieferer, heißt es in einer Analyse der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P). In der Branche wird erwartet, dass die Verkaufszahlen in diesem Jahr nahezu überall auf der Welt steigen. "Die Automobilindustrie ist mittlerweile wirklich eine globale Industrie", ergänzt Leoni-Lenker Probst. Seit große Absatzregionen wie China für die Hersteller aus dem Westen dazugekommen seien und Länder wie Russland oder Brasilien zusätzliche Chancen böten, habe sich die Zyklizität des Geschäfts "sehr stark abgeschwächt". Dass weltweit gleichzeitig die Nachfrage nach Autos einbreche, sei weniger wahrscheinlich, als dass dies parallel in den Triade-Märkten USA, Europa und Japan passiere.

In vielen aufstrebenden Ländern wächst mit dem Wohlstand der Hunger nach Mobilität - und nach Statussymbolen. Vor allem deutsche Automarken sind begehrt; je teurer, desto lieber. Die Zulieferer haben die westlichen Pkw-Bauer auf ihrer Expansion rund um den Globus begleitet und produzieren jetzt überall dort, wo die Kunden ihre Werke haben. Internationale Präsenz bleibe zentraler Faktor für europäische Zulieferer, schreiben die Fachleute von S&P. Einmal vor Ort, umwerben die Zulieferer in allen Winkeln der Welt außerdem lokale Fahrzeugbauer als mögliche Abnehmer. Daneben liebäugeln viele mit Herstellern von Land- und Baumaschinen oder kleinen Nutzfahrzeugen etwa für den Golfplatz.

Elektrische Extras für alle

Von ihren Stammkunden, den großen Autobauern, werden die Konzerne unterdessen stärker gefordert, vor allem bei neuen Antriebsformen wie Elektro, Brennstoffzelle oder Wasserstoff. "Manche Autozulieferer wie Continental oder Bosch spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Technologien zur Abgasreduzierung", heißt es bei S&P. In den Krisenjahren hätten die Pkw-Bauer nämlich die Zahl ihrer Lieferanten reduziert und sich auf die strategisch wichtigen konzentriert. Anbieter von Sicherheitsausstattung, etwa der Airbag- und Gurthersteller Autoliv, verbuchten ebenfalls wachsende Nachfrage. Es stecke immer mehr Technik von Zulieferern im Auto, sagt Schaeffler-Technologievorstand Peter Gutzmer. Damit lasse sich der Wert pro Produkt steigern.

Auch der wachsende Anteil an elektronischer Ausstattung freut die Zulieferer. Geht es bei großen Modellen vor allem um Vernetzung und teilautomatisiertes Fahren, steigt bei kleineren Pkw der allgemeine Standard. "Elektrische Fensterheber und Sitzverstellung gibt es nicht mehr nur in Oberklasse-Fahrzeugen", sagt Leoni-Chef Probst, dessen Konzern kilometerweise Kabel pro Pkw liefert.

Neben den klassischen Zulieferern wollen auch Chiphersteller von den guten Geschäften mit der Autobranche profitieren. Infineon, Deutschlands größter Halbleiteranbieter, macht fast die Hälfte seines Umsatzes mit Chips für den Einsatz auf der Straße - vom Reifendrucksensor bis zur Ansteuerung von Elektromotoren. Das Autogeschäft ist einer der wenigen Märkte, in denen europäische Chipunternehmen noch eine bedeutende Rolle spielen. In einem deutschen Oberklasseauto werden inzwischen mehr als 100 Mikrochips verbaut. Auch der US-Chipriese Intel will am wachsenden Elektronikanteil im Auto mitverdienen. Die Amerikaner gründeten eigens in Karlsruhe ein Entwicklungszentrum für Fahrzeugchips, die vorrangig im Infotainmentsystem eingesetzt werden sollen.

Auch Wacker Chemie und G&D suchen Nähe zur Autobranche

Der Leuchtmittelhersteller Osram nutzt die Autobranche, um seine neuesten Entwicklungen bei Scheinwerfern und Beleuchtung zu etablieren. So greift etwa BMW auf das neue Laser-Fernlicht des Münchner Unternehmens zurück. Seine brandneuen, flexiblen OLED-Lampen wird Osram zuerst im Interieur oder am Heck eines Autos verwenden.

Auch Spezialisten, die bislang kaum Kontakt zur Autobranche hatte, erhoffen sich aus den Neuerungen der Kfz-Bauer Zuwächse für das eigene Haus. So peilt etwa der Silizium- und Silikonexperte Wacker Chemie neue Aufträge von Fahrzeugzulieferern an. Der Banknotendrucker Giesecke & Devrient (G&D) hofft, mit eigenen Angeboten die empfindlichen Elektronik- und Netzschnittstellen der neuesten Automodelle gegen Angreifer abzusichern.

Quelle: ntv.de, Irene Preisinger und Jens Hack, rts

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