Wirtschaft

Welt-Systemstressindex Trügerische Ruhe?

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Weltwirtschaft und Finanzmärkte erscheinen stabil. Dieser Zustand könnte durchaus länger andauern. Doch im Hintergrund lauern Risiken.

Dr. Markus C. Zschaber

Dr. Markus C. Zschaber

Die Ereignisse wie beispielsweise der Brexit oder die deflationären Schockwellen zu Beginn des Jahres ausgelöst durch China, belegen eindeutig, dass die Welt sich auf einem Pfad befindet, in dem systemische Krisen und Herausforderungen zunehmen - zum einen hervorgerufen durch die experimentelle Politik der Zentralbanken, zum anderen aufgrund des Anstiegs der globalen Verschuldung durch noch größere Haushaltsdefizite in den Industrienationen und höhere Kreditaufnahmen des Privatsektors in führenden Schwellenländern.

Hinzu kommt, dass durch schlechtes Risikomanagement der Regierungen, im Falle ökonomischer oder gesellschaftlicher Krisen, die Stabilität der Konjunkturzyklen dynamisch abgenommen hat. "Dieses ist der Hintergrund warum die Herausforderungen, denen wir in einer Welt mit einer steigenden Polarisierung, zunehmendem Populismus und einer wachsenden Politisierung gegenüberstehen, mittelfristig zunehmen, erklärt Dr. Markus C. Zschaber, Chef des Instituts für Kapitalmarktanalyse (IFK) in Köln, welches den "Welt-Systemstressindex" monatlich veröffentlicht.

Ganz aktuell scheint aber die Stresskurve etwas abzunehmen, welches nach Angaben des IFK Köln daran festzumachen ist, dass noch Unklarheit darüber besteht, welche zukünftigen Risiken systemische Qualität aufweisen werden, und welche eher unbedeutend sein werden. "Wir befinden uns derzeit an einem Scheideweg, der für die kommenden Jahre sehr wichtig sein wird. Seitens der Finanzmärkte und deren Konditionalitäten sieht es derzeit nach höherer Stabilität und daraus ableitend höherer Risikofreude aus, welches aber in direktem Zusammenhang der Maßnahmen und Aktivitäten der Notenbanken weltweit zu sehen ist. Derzeit existieren auf den relevanten Geld- und Kreditmärkten keine beunruhigenden Implikationen. Auch die Prämien für Kreditausfallversicherungen der Sorgenkinder wie Italien, Frankreich oder seitens der teilweise maroden Banken, deuten bis auf weiteres auf Entspannung hin - doch diese Ruhe kann trügerisch sein", konstatiert Zschaber.

Das Thema Brexit hatte erst vor einigen Wochen einmal mehr gezeigt, welche Art von Irritationen durch politische Unsicherheiten auftreten können. Das Thema ist im Übrigen nicht aufgehoben, sondern nur in die Zukunft vertagt. Was bleibt ist die Ungewissheit, und diese besagte Ungewissheit hat wiederum negative wirtschaftliche Folgen! Investoren und Konsumenten reagieren im Regelfall darauf mit einer Reduzierung ihrer Ausgaben. "Es fehlt an fundamentaler Zuversicht in Wirtschaft. Der Glaube, dass die Politiker die richtigen Entscheidungen treffen werden und Lösungsstrategien finden, die sowohl nachhaltig funktionieren als auch die großen Probleme beseitigen, wie unter andere die Flüchtlingskrise, die Verschuldungskrise, die Wettbewerbskrise in der Eurozone, die Bankenkrise in Italien, etc. nimmt von Monat zu Monat ab", so die Experten des IFK Köln weiter.

Das systemische Risiko einer langandauernden Stagnation für die Weltwirtschaft ist gemessen an der gefährlichen Gemengelage aus brüchigem Vertrauen, schwachem Wachstum, niedriger Inflation und steigender Verschuldung real. Noch kann aber eine Zuspitzung dieses systemischen Risikos abgewandt werden, führen die Strategen aus. Systemische Risiken basieren auf Unsicherheit, die so immens ist, dass die Schwierigkeit die Zukunft in erkennbare Wahrscheinlichkeiten einzuteilen sehr hoch ist. Man ist sich ganz sicher, sollte die Politik hingegen jetzt nicht beherzt handeln, ist in maximal fünf Jahren ein ganzes Jahrzehnt an Wachstum verloren. Dieses würde dazu führen, dass die Schuldenlast für viele Staaten nicht mehr zu bewältigen ist. Die offiziellen Zahlen belegen, dass die Verschuldung der Industrieländer in diesem Jahr auf durchschnittlich 107,6 Prozent ansteigen wird, ein Nachkriegsrekord! Dieses ist unter dem Gesichtspunkt mehr als bemerkenswert, weil die Welt heute anders als vor gut sieben Jahrzehnten keinen derart zerstörerischen Krieg hinter sich hat.

Zentralbanken geben Preise vor

Das IFK Köln warnt ebenfalls vor den wachsenden Risiken seitens der wackeligen Banken in vielen Teilen der Welt. So sei die schwache Kapitalkraft einiger Geldhäuser mit dafür verantwortlich, dass weltweit die Kreditvergabe an Unternehmen nicht wirklich anspringt. Doch gerade diese sei eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Weltwirtschaft wieder neuen Schwung bekomme. Der Schlüssel dazu liegt bei der Politik. Diese muss dafür sorgen, dass die Bankenbilanzen wieder solider werden. Italien stellt nach Angaben die größte Gefahr in diesem Kontext dar, hier müssen noch deutlich mehr Rettungsstrukturen folgen als bisher geschehen, denn das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Jedem sollte aber bewusst werden, dass es am Ende Steuergelder sind, die verwendet werden und nicht die Gelder der italienischen Sparer, wie eigentlich vorgesehen. Würden diese Sparer haften, wäre sicherlich der politische Druck in Italien erneut so groß, dass man damit erneut den Zerfall der gesamten Eurozone riskieren würde.

Neben den beschriebenen politischen Problemen kann erkannt werden, dass eine ähnliche Skepsis mittlerweile auch den Zentralbanken als Retter der letzten Instanz entgegengebracht wird. Es werden vermehrt Fragen gestellt, ob der geldpolitische Weg, der eingeschlagen wurde, wirklich zu mehr Nachfrage führt, oder ob die gesamtgesellschaftlichen Kosten nicht viel zu hoch sind, die dafür in Kauf genommen werden. "Wir haben planwirtschaftliche Strukturen in vielen Bereichen des Finanzmarktes bekommen. Zentralbanken geben heute die Preise in vielen Märkten quasi vor", so Zschaber weiter. Die Mittel hierfür sind vielfältig und nennen sich quantitative Lockerungsprogramme, was nichts anderes darstellt, als große Mengen von Vermögenswerten zu kaufen – ganz gleich zu welchem Preis.

Infolge dieser bedingungslosen Käufe verlieren die Preise ihren qualitativen Informationswert. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung der Marktrenditen von Staatsanleihen. Aktuelle notieren weltweit Anleihen in Wert von 13,4 Billionen US-Dollar mit negativen Renditen. Das ist so viel wie die gesamten BIPs von Japan, Deutschland, Großbritannien. Frankreich und Indien zusammen. Fakt ist, negative Renditen langfristiger deutscher Staatsanleihen ergeben genauso wenig Sinn wie die Tatsache, dass italienische Renditen niedriger sind als ihre US-amerikanischen Pendants. Risiken werden hier nicht mehr richtig gepreist.

Die Schlussfolgerungen aus dem Datenbild des "Welt-Systemstressindex" legen nahe, dass die aktuell ruhigere Gesamtlage daher auch sehr trügerisch sein könnte und sich nur als Ruhe vor dem nächsten Sturm herauskristallisieren könnte.

"Wir sind anscheinend in eine Ära eingetreten, in der die Politik die Wirtschaft bei der Ausgestaltung von Marktergebnissen nachhaltig dominiert. Die politischen Variablen haben wir innerhalb des 'Welt-Systemstressindex' signifikant in den letzten Monaten erhöht. Unsere Überzeugung ist, dass primär die großen politischen Überraschungen für bedeutende Entwicklungen der Weltwirtschaft in naher Zukunft verantwortlich sein sollten", konstatiert der Geschäftsführer des IFK Köln. Der Brexit, Donald Trump und der zunehmende Populismus sind nur drei der politischen Variablen, welche besondere Relevanz im Stressindex zugeordnet bekommen.

Fakt ist, dass die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte im kurzfristigen Kontext recht stabil erscheinen. Dieser Zustand könnte durchaus länger andauern, vielleicht sogar in das Jahr 2017 hinein. Im Hintergrund lauern aber Risiken, die beständig zunehmen, von denen die wichtigsten bereits genannt wurden. "Das sind die Risiken, die wir gegenwärtig identifizieren können. Die Risiken, welche wir zukünftig noch lokalisieren müssen, können wir nur erahnen", resümiert Markus Zschaber.

Funktionsweise Welt-Systemstressindex:

Da sich Finanz-, Währungs- und realwirtschaftliche Krisen typischerweise deutlich voneinander unterscheiden, muss für die Identifikation von systemischen Risiken eine Vielzahl an Variablen dynamisch herangezogen werden um eine Determination zu ermöglichen. Der „Welt-Systemstressindex“ operationalisiert die Interdependenzen zwischen den Finanzmärkten und den makroökonomischen Entwicklungen auf Basis von Veränderungen bzw. der Veränderungsgeschwindigkeit. Bis zu 6.500 Variablen werden für die weltweite Bewertung berücksichtigt. Der Index bietet damit ein Gesamtbild über die Verfassung und Anfälligkeit der Weltkonjunktur, der Weltfinanzmärkte sowie deren wechselseitige Abhängigkeit. Indexstände oberhalb eines Niveaus von 20 Punkten (maximaler Stress 100 Punkte) bedeuten ein Stressniveau, welches bereits hohe Belastungen für die Realwirtschaft und die Finanzmärkte suggeriert. Bewegt sich die Stresskurve dagegen unterhalb einem Indexstand von -20 Punkten (minimaler Stress -100 Punkte) bedeutet dies, dass eine Entspannung erfolgt, in der ein Umfeld für positive Entwicklungen und Normalverteilung vorherrscht. Die Niveaus zwischen +20 und -20 quantifizieren das neutrale Umfeld. In diesem Bereich ist Wachsamkeit gefordert, da hier, je nach Richtung (zunehmender oder abnehmender Stress), dynamische Anpassungen in der Weltkonjunktur und an den Finanzmärkten bereits auftreten können.

Quelle: Die „Vermögensverwaltungsges. Dr. Markus C. Zschaber mbH“ und das „Institut für Kapitalmarktanalyse (IFK) Köln“ stellen den Index monatlich exklusiv der „Wirtschaftswoche“ und dem "Nachrichtensender n-tv" zur Verfügung. Informationen zum Index finden Sie unter www.zschaber.de und www.kapitalmarktanalyse.com.

Quelle: ntv.de

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