Wirtschaft

Trügerische Idylle in Portugal Steht die nächste Euro-Krise vor der Tür?

Catarina Martins: "In Portugal lebt heute ein Drittel der Kinder in Armut, mehr als die Hälfte der älteren Mitbürger haben unzureichende Ernährung."

Catarina Martins: "In Portugal lebt heute ein Drittel der Kinder in Armut, mehr als die Hälfte der älteren Mitbürger haben unzureichende Ernährung."

(Foto: REUTERS)

Die Lockerung der Sparschraube in Portugal macht die Märkte zunehmend nervös. Braut sich am Tejo eine neue große Eurokrise zusammen? Sorgen bereitet vor allem Catarina Martins.

Proteste und Krawalle gibt es in Portugal nur im Fernsehen, etwa wenn aus Griechenland berichtet wird. In Lissabon geht das Leben trotz der Rekordzahl an Touristen beschaulich seinen Gang. Die Cafés sind voll, aus einem Restaurant ertönt leise ein Fado. Doch die Idylle im früheren Euro-Krisenland trügt. Denn die angespannte Lage am Tejo macht den Spitzenpolitikerin in Brüssel und Berlin fast noch größere Sorgen als das Athener Schuldendrama. Doch Klartext reden die Entscheidungsträger in Europa bisher nicht - anders als der im Herbst abgewählte konservative Regierungschef Pedro Passos Coelho.

Die Regierung des sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa stecke "den Kopf in den Sand", das werde Portugal "noch teuer zu stehen kommen", sagte Passos dieser Tage. Der 51-Jährige warnt vor einem ähnlichen Szenario wie vor rund fünf Jahren, als der Sozialist José Sócrates inmitten einer schlimmen Finanzkrise zurücktrat und Neuwahlen ausrief. "Die Regierung wird die Fehler, die sie derzeit macht, irgendwann korrigieren müssen. Ich hoffe, dass sie sich dann nicht wieder davonstiehlt wie 2011", so Passos.

"Das würde neue große Euro-Krise auslösen"

Damals war das Land von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 78 Milliarden Euro vor dem Bankrott bewahrt worden. Nach drei Jahren unter dem EU-Rettungsschirm steht Portugal seit Mai 2014 zwar finanziell wieder auf eigenen Beinen. Doch die Alarmglocken schrillen wieder. Umso größer war die Erleichterung Ende April, als die kanadische Ratingagentur DBRS die Kreditwürdigkeit Portugals noch knapp über Ramschniveau hielt.

Damit ist DBRS die einzige der großen Agenturen, die das Land noch mit Investment-Grade-Rating listet. Das bedeutet: Falls DBRS nicht mehr «mitspielt», würde Portugal den Zugang zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) verlieren. "Das würde eine neue große Euro-Krise auslösen", warnte Bloomberg-Kolumnist Mark Gilbert. Was Passos, DBRS und auch europaweit Regierungschefs und Finanzminister stört, ist die Lockerung der Sparschraube. Der neue Chef im Regierungssitz Palácio de São Bento hat unter anderem die Mehrwertsteuer für Restaurants gesenkt, Pensionen, Subventionen und das Mindestgehalt erhöht und Kürzungen der Beamtenbezüge rückgängig gemacht. Vier Feiertage, die 2013 zur Krisenbekämpfung abgeschafft worden waren, werden wieder eingeführt.

Gesprächsbereit und pragmatisch

Dennoch verspricht Lissabon, dass man das Defizit von 4,4 Prozent der Wirtschaftsleistung im letzten Jahr auf 2,2 (2016) und 1,4 (2017) reduzieren werde. Für 2020 sieht das «Stabilitätsprogramm 2016-2020» sogar ein Novum für Portugal vor: Keine Neuverschuldung mehr! Erreicht werden soll das mit Wirtschaftswachstum, dem Abbau des Staatsapparats sowie mit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Sozialbetrugs.

Während Ministerpräsident Costa in Brüssel Etatdisziplin zusagt, verspricht er daheim den linken Gruppierungen, die seine Minderheitsregierung stützen, dass die "Austeridade" - der Sparkurs - weiter konsequent zurückgeschraubt werden soll. So zeigen sich die beiden Partner - das grün-kommunistischen Bündnis CDU und der marxistische Linksblock BE - denn auch erstaunlich gesprächsbereit und pragmatisch. Forderungen etwa nach einem Austritt aus Euro und Nato sind nicht mehr zu hören. Das erleichtert den Sozialisten den Spagat zwischen Brüssel und Lissabon.

Beobachter erwarten aber, dass das politische Klima wieder zunehmend rauer wird. Die extreme Linke "fordert nicht den Mond. Noch nicht", schrieb etwa der angesehene Kolumnist Nuno Rogeiro in der jüngsten Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Sábado".

"Schuldenschnitt unumgänglich"

Wie instabil die Stimmung ist, zeigt der Auftritt von BE-Chefin Catarina Martins am Montag auf einem Parteitag. "Wir vom Linksblock wollen mehr. Wir sind hier, um den Bogen bis zum Äußersten zu spannen", rief sie den Delegierten zu. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erklärt sie ihre Unnachgiebigkeit: "In Portugal lebt heute ein Drittel der Kinder in Armut, mehr als die Hälfte der älteren Mitbürger haben unzureichende Ernährung."

Die Ex-Schauspielerin kann "die Leier der faulen Südeuropäer nicht mehr hören". Ganze Völker würden "gequält, um die Probleme eines unersättlichen Finanzsystems zu vertuschen", klagt die 42-Jährige. Und sie fügt hinzu: "In Portugal geben wir mehr Geld für Zinsen aus als für Gesundheit und Bildung zusammen." Ein Schuldenschnitt sei daher unumgänglich, das sei auch im Interesse der gesamten EU. "Die Schulden sind für alle unbezahlbar, deshalb muss eine Umschuldung so schnell wir möglich her."

Quelle: ntv.de, Emilio Rappold, dpa

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