Wirtschaft

Staatsbankrott in Argentinien "Natürlich kann es soziale Unruhen geben"

Demonstranten protestieren am Mittwoch vor dem argentinischen Werk des US-Autozulieferers Lear in Buenos Aires. Einige Argentinier machen die amerikanischen Anteilseigner, die sich im Rechtsstreit mit ihrem Land befinden, für die drohende Zahlungsunfähigkeit verantwortlich.

Demonstranten protestieren am Mittwoch vor dem argentinischen Werk des US-Autozulieferers Lear in Buenos Aires. Einige Argentinier machen die amerikanischen Anteilseigner, die sich im Rechtsstreit mit ihrem Land befinden, für die drohende Zahlungsunfähigkeit verantwortlich.

(Foto: REUTERS)

Argentinien ist pleite, im Streit mit US-Investoren mag die Regierung in Buenos Aires nicht nachgeben. Und nun? Argentinien-Experte Klaus Bodemer vom Giga-Institut für Lateinamerika-Studien prophezeit dem Land schwere Jahre - und warnt sogar vor drastischen Folgen für die europäische Wirtschaft.

n-tv.de: Was ist da los in Argentinien?

Klaus Bodemer: Es gab seit Wochen Gespräche mit den US-Fonds, die argentinische Staatsanleihen besitzen. 93 Prozent der Anteilseigner hatten sich 2005 und 2010 darauf eingelassen, auf 70 Prozent zu verzichten. Um die restlichen sieben Prozent geht es jetzt. Die prozessieren seit Jahren, dass sie ihre vollen 100 Prozent kriegen. Dadurch kam es nun zu diesen Vermittler-Gesprächen in New York.

Was kam dabei heraus?

Das Schlimme für Argentinien ist, dass das Gericht den Anteilseignern Recht gegeben hat. Der Richterspruch besagt: Argentinien kann die fälligen Raten, für diejenigen, die sich damals auf den 70-Prozent-Deal eingelassen haben, nur ausbezahlen, wenn vorher die 100 Prozent für die Minderheit bezahlt werden. Doch das will Argentinien nicht. Die Regierung weiß: Wenn sie zahlt, gibt es aufgrund einer Klausel, die erst zum Jahresende ausläuft und besagt, dass jeder Vorteil, der einer Minderheit gewährt wird, auch von der Mehrheit beansprucht werden kann, eine Kettenreaktion. Dann kommen die alten Anteilseigner, die sich damals auf den Deal eingelassen haben, und wollen auch 100 Prozent. Weil man sich in dieser Frage nicht einigen konnte, sind die Verhandlungen abgebrochen worden. Das Mindeste, was die argentinische Regierung wollte, war, bis zum 1. Januar 2015 Zeit zu gewinnen.

Es kursieren nun Begriffe wie Staatspleite und -bankrott. Welche Bezeichnung ist richtig?

In der Fachsprache ist das ein technischer oder selektiver Staatsbankrott. Einen richtigen Bankrott hat man nur, wenn man gar nicht zahlen kann, wie in der Krise 2001 und 2002. Die Argentinier könnten noch bezahlen, aber sie wollen nicht, weil sie Angst vor den Folgen haben. Wenn alle Anteilseigner ankommen und auch 100 Prozent fordern, könnten sich die Verbindlichkeiten in den kommenden Monaten auf 120 Milliarden Dollar summieren. Das wäre das Sechsfache der Devisenreserven und definitiv unbezahlbar.

Was heißt das nun für die Menschen in Argentinien? Wird sich die Rezession verstärken?

Die Situation ist nichts Neues. Die Regierung steckt seit Jahren in der Klemme, die Rezession ist da, die Inflation liegt zwischen 25 und 30 Prozent und die Arbeitslosigkeit wächst. Es heißt, dass die Gewerkschaften einen Generalstreik planen. Der Wirtschaft geht es gar nicht so schlecht, aber bei dieser Inflation trifft es immer vor allem die unteren Schichten. Argentinien hat schon seit Jahren keinerlei Zugang zum Kapitalmarkt und zum Dollar. Die Dollarreserven sind inzwischen auf rund 30 Milliarden US-Dollar geschmolzen. Inflation und Rezession werden sich jetzt verstärken, weil die internationalen Ratingagenturen Argentinien auf Ramschniveau abwerten. Dadurch gehen dann auch die Investitionen zurück, die Kapitalflucht wird zunehmen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Gefahr ist groß, dass aus einer technischen eine echte Staatspleite wird. In den bisherigen Verträgen von 2005 und 2010 mit den Anteilseignern gibt es eine Klausel, die besagt, wenn aus den Verträgen resultierende Verpflichtungen nicht eingehalten werden, kann wieder alles neu verhandelt werden. Die Devisen dürften noch für vier bis fünf Monate ausreichen, um die anfallenden Rechnungen für Energieimporte, industrielle Vorprodukte und andere Importe zu bezahlen. Vermutlich wird die Regierung die Druckerpresse anwerfen, das aber lässt die Inflation weiter anwachsen, verteuert die Importe und lässt das Haushaltsdefizit weiter anwachsen.

Gibt es noch andere Ursachen dieser Staatskrise?

Argentinien hat schon seit Jahren mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Die einzigen Deviseneinnahmen, die das Land noch hat, kommen durch die Rohstoffe, die es ausführt, vor allem Soja an China. Das wird vorne und hinten nicht reichen. Zumal die Regierung auch über Jahre viele öffentliche Ausgaben wie die Transporttarife und die Strom-, Gas- und Benzinrechnungen subventioniert hat und den Staathaushalt künstlich aufgebläht hat, um die eigene Klientel zufrieden zu stellen. Dazu kommen umfangreiche Sozialprogramme. Das kostet alles viel Geld und ist künftig nicht mehr bezahlbar. Das kann natürlich zu sozialen Unruhen führen.

Deutschland importierte 2013 zwar nur Waren im Wert von rund 1,7 Milliarden Euro aus Argentinien und exportierte Güter für 2,8 Milliarden Euro. Gibt es dennoch Folgen für die deutsche oder die europäische Wirtschaft?

Ja, natürlich. Man wird sich überlegen, ob man überhaupt noch in Argentinien investiert. Die Unternehmen, die bereits im Land sind, werden sich überlegen, ob sie bleiben wollen, wie jüngst der brasilianische Multi Petrobras, der seine Anteile verkauft hat. Der Zugang zu importierten Vorprodukten und Technologie wird infolge des weitgehend blockierten Zugangs zu Dollars immer schwieriger. Multis mit Niederlassungen im Lande, wie zum Beispiel Autofirmen wie Renault oder Ford, müssen, wenn sie Autos verkaufen wollen, einen Gegenwert an argentinischen Produkten kaufen. Hinzu kommt der psychologische Effekt der Herunterstufung durch die internationalen Rating-Agenturen, der den Brandsatz noch beschleunigt. Das Image Argentiniens, das sich in den letzten Jahren durch pünktliche Zinszahlungen und die Einigung mit dem Pariser Club im Mai dieses Jahres zu bessern begann, geht somit erneut in den Keller. Wie will sich das Land denn auf Dauer finanzieren, wenn es weiterhin keinen Zugang zu internationalen Krediten hat?

Wie kommt die argentinische Regierung wieder raus aus der Krise?

Das wird ganz schwierig. Es könnte sein, das sich Privatbanken mit einem Teil der Hedgefonds noch einmal an einen Tisch setzen und nach einer Lösung suchen. Dazu muss allerdings die Regierung ihre Zustimmung geben. Einige Hedgefonds haben offensichtlich das Signal gegeben, auf Mehrforderungen zu verzichten. Die Regierung will vor allem erstmal Zeit gewinnen. Somit wird sich die Krise eher schleichend verstärken und dann im nächsten Jahr, einem Wahljahr, voll ausbrechen. Spätestens die nächste Regierung muss dann die Suppe auslöffeln. Sie ist nicht zu beneiden.

Der argentinische Aktienindex Merval hat positiv auf die Staatspleite reagiert. Er stieg heute um sieben Prozent an - warum ausgerechnet heute?

Die Regierung bestreitet den Staatsbankrott. Sie sagt: Wir haben Devisen, aber das Geld ist blockiert. Zudem hat man gestern immer noch gedacht, dass es einen Deal geben würde. Der Merval wird mit einer gewissen Verzögerung reagieren. Die Papiere an den Börsen werden runtergehen.

Mit Klaus Bodemer sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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