Wirtschaft

Jobs, Schulden, Handelsdefizit Eine(r) gewinnt das marode Frankreich

Marine Le Pen und Emmanuel Macron treten in einer Stichwahl ums französische Präsidentenamt gegeneinander an.

Marine Le Pen und Emmanuel Macron treten in einer Stichwahl ums französische Präsidentenamt gegeneinander an.

(Foto: AP)

Wenn Präsident Hollande den Platz an der Spitze des französischen Staats räumt, hinterlässt er eine wirtschaftliche Großbaustelle. Auf Marine Le Pen oder Emmanuel Macron wartet harte Arbeit.

Französische Staatsoberhäupter sind nicht zu beneiden. "Wie kann man ein Volk regieren, das 246 Käsesorten besitzt?", soll Charles De Gaulle einmal gesagt haben. François Hollande hat auf diese Frage keine passende Antwort gefunden. Und egal, wer ihm nachfolgt: Marine Le Pen oder Emmanuel Macron wird es nicht leicht haben. Denn der bisherige Hausherr im Élysée-Palast hinterlässt eine malade Wirtschaft, ein Land im Reformstau und hohe Schulden.

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Am Sonntag werden etwa 47 Millionen Wahlberechtigte in einer Stichwahl darüber abstimmen, wem sie am ehesten zutrauen, die einstige Grande Nation zu alter wirtschaftlicher Größe zurückzuführen. Sie haben die Wahl zwischen der Rechtsextremen Le Pen mit ihrem protektionistischen Programm und dem Pro-Europäer Macron, der für einen sozialliberalen Kurs wirbt. Bereits jetzt steht fest: Auf einen der beiden Präsidentschaftskandidaten wartet ein Mammutprojekt.

Großbaustelle Nummer 1: Arbeitsmarkt

Die wohl größte Herausforderung für das neue Staatsoberhaupt ist die Arbeitsmarktreform. Vor seinem Amtsantritt versprach Hollande, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. Das Vorhaben ist gescheitert: Während seiner Ära stieg die Zahl der Arbeitssuchenden von rund 2,8 auf nun fast 3 Millionen. In den vergangenen Monaten stagnierte die Arbeitslosenquote bei 10,1 Prozent.

Insbesondere mit Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit zeigt sich, dass sich Frankreich keinen weiteren erfolglosen Präsidenten leisten kann. Rund 655.000 junge Menschen unter 25 sind derzeit ohne Job - das ist fast jeder vierte. Innenpolitisch birgt diese Lage Sprengkraft: Die Perspektivlosigkeit könnte sich in politischen Unruhen entladen. Außerdem könnten Arbeitskräfte abwandern, die für den Aufschwung nötig sind.

Beide Kandidaten versprechen, das Jobproblem zu lösen - jeder auf seine Weise. In ihrem protektionistischen Programm kündigt Le Pen eine Extrasteuer für Unternehmen an, die ausländische Mitarbeiter einstellen. Zudem will sie an der 35-Stunden-Woche festhalten, damit mehr Menschen die Chance haben, Arbeit zu finden. Macron hingegen will das einstige sozialistische Prestigeprojekt kippen, um mehr Wettbewerb zu forcieren. Außerdem plant der Ex-Wirtschaftsminister, seine umstrittene Arbeitsrechtsreform auszuweiten und den Verhandlungsspielraum zwischen Unternehmen und Gewerkschaften zu vergrößern. Le Pen hält das für Unsinn. Sie will das umstrittene Macron-Gesetz rückgängig machen.

Großbaustelle Nummer 2: Schulden

Eine weitere Baustelle des Hollande-Nachfolgers ist der rasche Abbau des enormen Schuldenbergs. Zwar ist Frankreich die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch dieser Status ist teuer erkauft. 2016 betrug die Staatsverschuldung 96,4 Prozent der Wirtschaftskraft. Experten rechnen damit, dass es nicht mehr lange dauert, bis die 100-Prozent-Marke überschritten wird.

Immerhin ist es dem Zentralstaat in den vergangenen Jahren gelungen, seine Ausgaben kontinuierlich zu drosseln. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat Frankreich sein Haushaltsdefizit seit der Finanzkrise 2009 von gut 7 auf nun 3,3 Prozent mehr als halbiert. Die Drei-Prozent-Grenze aus dem EU-Stabilitätspakt ist damit allerdings immer noch nicht unterschritten. Macron hat im Wahlkampf versprochen, das Defizit der öffentlichen Finanzen unter die Maastrichter Obergrenze zu drücken. Für Le Pen, die sich auf Kollisionskurs zu Europa befindet, ist das kein Thema.

Ein weiteres Ziel Macrons ist es, den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zu verringern. Momentan beträgt die Staatsquote 57 Prozent der Wirtschaftskraft. Ein Grund hierfür ist neben hohen Ausgaben für Sozialleistungen der aufgeblähte Staatsapparat. Macron will ihn verschlanken. Binnen fünf Jahren will er die Staatsausgaben um 60 Milliarden Euro senken, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen und die umstrittenen Sonderrenten für Beamte und Mitarbeiter von Staatskonzernen abschaffen. Für Le Pen spielen Schulden keine Rolle. Sie will das Rentenalter von 62 auf 60 Jahre senken und 15.000 neue Polizisten einstellen. Beim letzten TV-Duell vor der Wahl erklärte "Madame Frexit", dass sie diese Maßnahmen mit den geplanten Milliardeneinsparungen bei den Ausgaben für die EU und für die Einwanderung finanzieren will.

Großbaustelle Nummer 3: Handelsbilanz

Auch Hollande startete 2012 seine Karriere im Élysée mit großen Versprechen. Der anfängliche Reformwille schlug jedoch in eine Verwaltungstaktik um - mit bekanntem Ergebnis. Die französische Wirtschaft erlahmte. Heute hat Frankreich im europäischen Vergleich ein unterdurchschnittliches Wachstum. 2016 betrug es lediglich 1,2 Prozent. Terroranschläge haben die Situation verschlimmert.

Hauptsächlich sind die wirtschaftlichen Probleme jedoch hausgemacht. Die Lohnkosten und Steuern sind im Vergleich zu anderen EU-Ländern mitunter deutlich höher. Das behindert einen Aufschwung. Hier versäumte es Hollande, die nötigen Reformen anzuschieben. Dabei ist laut Experten genug Potenzial für einen Sprung aus der Krise vorhanden. In der zweitgrößten Industrienation Europas sind wirtschaftliche Schwergewichte wie der Ölriese Total, der Pharmakonzern Sanofi oder der Luxusgüterkonzern LVMH beheimatet. Zudem verfügt Frankreich über eine weltweit einflussreiche Auto- und Rüstungsindustrie. Doch die gelenkte Volkswirtschaft schöpft zu wenig aus diesen Möglichkeiten.

Frankreich ist laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat die sechstgrößte Exportnation der Welt. Trotzdem ist die Handelsbilanz negativ. Seit Jahren führt der Staat mehr Waren und Dienstleistungen ein, als er exportiert. Le Pen propagiert deshalb einen "intelligenten Protektionismus", der französische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz schützen soll. So sollen Importe mit einer Steuer in Höhe von drei Prozent belegt werden. "Frankreich zuerst" lautet ihr Motto. Macron hingegen pocht mit seinem liberalen Wirtschaftsmodell auf eine Intensivierung der europäischen Handelsbeziehungen.

Beide Kandidaten werden um tiefe und schmerzhafte Reformen nicht herumkommen. Für die europäische Wirtschaft steht der Favorit für diese Aufgaben fest: Nachdem Macron den ersten Wahlgang für sich entschied, atmeten die Aktienmärkte spürbar auf. So kletterte der deutsche Leitindex Dax auf ein neues Allzeithoch, das französische Pendant CAC 40 stand zwischenzeitlich so hoch wie seit elf Jahren nicht mehr. Insbesondere hierzulande hofft die Wirtschaft auf einen Macron-Effekt - Frankreich ist der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands.

Quelle: ntv.de

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