Wirtschaft

"Das ist Terrorismus" Portugal im Schock

Auch wenn große Teile der Bevölkerung schwer zu kämpfen haben, will sich Portugal nicht mit Griechenland vergleichen lassen.

Auch wenn große Teile der Bevölkerung schwer zu kämpfen haben, will sich Portugal nicht mit Griechenland vergleichen lassen.

(Foto: REUTERS)

Die Portugiesen verstehen die (Finanz-)Welt nicht mehr. Das gebeutelte Euro-Land steht wieder am Pranger der umstrittenen Ratingagenturen. Dabei hatte man am Tejo zuletzt mit den jüngsten Sanierungs- und Reformbemühungen nur für gute Nachrichten gesorgt.

Die kalte Dusche kam ohne Vorwarnung: Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Portugals auf Ramsch-Niveau versetzte das pleitebedrohte Euro-Land auch deshalb prompt in Angst und Schrecken. "Das ist Terrorismus!", schimpfte etwa der frühere Industrieminister Luís Mira Amaral. Die seriöse Wirtschaftszeitung "Diario Económico" titelte groß und apokalyptisch auf Seite eins: "Ratingagentur (Moody's) treibt Portugal in den Bankrott".

Der Börsenindex PSI20 fiel in Lissabon am frühen Nachmittag um mehr als 2,5 Prozent, die Renditen für die Staatsanleihen kletterten auf neue Rekordmarken. Wenige Stunden nach dem Ramsch-Urteil konnte Lissabon wieder dreimonatige Anleihen im Wert von immerhin 848 Mio. Euro an den Mann bringen. Für frisches Kapital muss das ärmste Land Westeuropas allerdings immer tiefer in die Tasche greifen.

Investoren tief verunsichert

"Man wollte eigentlich eine Milliarde einnehmen, aber für mehr Kapital wurden Zinsen von über fünf Prozent verlangt", erklärt Filipe Silva von der Carregosa-Bank. Die Investoren seien aufgrund der Moody's-Entscheidung verunsichert wie nie zuvor. Der angesehene Ökonom Luis Nazaré sprach von einer "Attacke" auf das Land.

Das Unverständnis ist am Tejo riesengroß. Die neue liberal- konservative Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho, erst seit gut zwei Wochen im Amt, hatte bei der Sanierung der Staatsfinanzen doch sofort kräftig aufs Gas getreten. Dieser Tage waren unter anderem eine Beschleunigung der Privatisierungen sowie auch eine Sonderbesteuerung des Weihnachtsgeldes angekündigt worden, mit der man sich dieses Jahr Mehreinnahmen von 800 Mio. Euro erhofft. Das habe Moody's ignoriert, klagt nun das Finanzministerium.

"Portugal ist nicht Griechenland"

Auch der "breite politische Konsens" für die nötigen Sparaktionen sei von der Agentur nicht berücksichtigt worden, bedauerte Lissabon. In der Tat: Während bei Schuldensünder Griechenland innenpolitisch die Fetzen fliegen, zeigen in Portugal nicht nur die wichtigsten Parteien und die meisten Unternehmer, sondern vor allem auch die ärmsten Menschen weitgehend Verständnis dafür, dass man nicht länger über seine Verhältnisse leben kann. Gewalttätige Proteste gab es bisher nicht. "Portugal ist nicht Griechenland, unsere Situation ist viel, viel besser", beteuerte Präsident Anival Cavaco Silva dieser Tage erneut.

Das kann sich, auch wegen Moody's, aber schnell ändern. Vor allem auch deshalb, weil den meisten Portugiesen, die mehrheitlich mit Gehältern zwischen 500 und 1000 Euro auskommen müssen, nach den drastischen Kürzungen und Steuererhöhungen der vergangenen eineinhalb Jahren kaum weitere Opfer abverlangt werden können. Die Zeitung "I" rechnete groß auf Seite eins vor: "Wir alle werden dieses Jahr 3,57 Prozent mehr an Einkommens-Steuern zahlen".

Soziale Explosion befürchtet

Dabei dürfen sich diejenigen, die arbeiten und Steuern zahlen können, glücklich schätzen. Die Arbeitslosenquote erreichte die Rekordmarke von 12,6 Prozent, unter den Jüngeren sind sogar schon rund 30 Prozent beschäftigungslos. "Früher sind wir im Urlaub alle auch mal nach New York geflogen, heute können meine Eltern sich und uns drei Kinder gerade noch ernähren", erzählt der arbeitslose Fabio (22), der in Lissabon bei brütender Sommerhitze in einer langen Schlange vor einer Jobvermittlungstelle wartet.

Als Gegenleistung für das 78 Milliarden schwere Hilfspaket von EU und IWF muss Portugal dieses Jahr das Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent (2010) auf 5,9 Prozent senken. Gehälter und Renten wurden gekürzt, Steuern angehoben und unter anderem auch zahlreiche Gelder für den Gesundheitsbereich gestrichen. Nicht nur die linke Opposition und die Kirche warnen vor einer sozialen "Explosion".

Ganz scharfe Worte findet Mario Soares. Der legendäre frühere Regierungschef und Präsident führte nach der Nelkenrevolution von 1974 die Demokratisierung Portugals an. Er fürchtet, dass es nicht nur um die Zukunft Portugals geht: "Wir müssen den Euro retten, sonst geht alles den Bach runter", eine "schlimme Weltkrise" mit Kriegen könne die Folge sein, warnte er vorige Woche in der Zeitung "Público". In einer Art Vorahnung forderte der 86-Jährige: "Die EU muss Ordnung in die Märkte bringen, und auch bei den Ratingagenturen".

Quelle: ntv.de, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen